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NAHOST/1540: USA bauen Militärpräsenz in Nordsyrien kräftig aus (SB)


USA bauen Militärpräsenz in Nordsyrien kräftig aus

Das Pentagon richtet sich auf einen längeren Verbleib in Syrien ein


Die am 19. Juli durch einen Artikel der Washington Post bekanntgewordene, inzwischen formell bestätigte Entscheidung Donald Trumps, die offiziell seit 2013 laufende CIA-Operation zur Unterstützung aufständischer Gruppen in Syrien zu beenden, hat bei der Kriegstreiberfraktion in Washington einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Vom Krankenbett aus warf der Leitwolf dieser Fraktion, Senator John McCain, bei dem vor kurzem ein Gehirnkrebs diagnostiziert worden war, seinem republikanischen Parteikollegen und Präsidenten per Twitter vor, vor Wladimir Putins Rußland kapituliert und die Interessen Amerikas im Syrien-Konflikt verraten zu haben. So apokalyptisch kann offenbar nur der Vietnamveteran und unverbesserliche Kalte Krieger McCain die strategische Lage ausmalen. Tatsächlich geht die Beendigung der umstrittenen CIA-Aktion mit einer Verstärkung der Umtriebe des Pentagons in Syrien - die noch lange nicht ihr Ende gefunden haben - einher.

Seit Jahren stand die Versorgung "moderater" Gegner des "Regimes" Baschar Al Assads über CIA-Außenposten in der Türkei und Jordanien mit Waffen und Munition in der Kritik, weil sich diese Formationen auf dem Schlachtfeld als zu schwach erwiesen und sich über kurz oder lang den radikal-islamistischen Gruppen wie der Al-Nusra-Front oder Ahrar Al Scham angeschlossen und ihnen ihr modernes Kriegsgerät zur Verfügung gestellt haben. Mehr als einmal ist es in Syrien zu Kämpfen zwischen Gruppen gekommen, die jeweils vom Pentagon und der CIA unterstützt wurden. 2015 berichtete Seymour Hersh in einem Artikel für die London Review of Books, wie mit dem stillen Einverständnis von Barack Obama der damalige US-Generalstabschef Martin Dempsey nachrichtendienstliche Informationen den Russen zukommen lassen mußte, um einen Durchmarsch der Dschihadisten in Syrien und ein Kollaps der Syrischen Arabischen Armee (SAA) zu verhindern. Dempsey und Obama wollten offenbar vermeiden, daß aus Syrien ein zweites Libyen würde und haben deshalb Moskau grünes Licht für eine eigene Intervention zur Rettung der Regierung in Damaskus gegeben.

Mit Hilfe Rußlands hat die SAA weite Teile des syrischen Westens einschließlich der großen Bevölkerungszentren erfolgreich befriedet. Durch eine Reihe von Waffensstillständen mit gemäßigten Gruppen beginnt sich in der Westhälfte Syriens das Leben wieder zu normalisieren. Während sich Al Nusra und Ahrar Al Sham um die Herrschaft im Gouvernement Idlib erbittert bekriegen, befindet sich die SAA in östlicher Richtung auf dem Vormarsch. Aktuell ist sie dabei, die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) aus dem Gouvernement Deir ez-Zor samt der gleichnamigen Hauptstadt zu vertreiben. Vom Süden her nähern sich die syrischen Streitkräfte der IS-Hochburg Rakka, ebenfalls Hauptstadt eines gleichnamigen Gouvernements, welche seit Anfang Juni vom Norden her die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces - SDF) mit der Unterstützung der Luftwaffe und Spezialstreitkräfte der USA vergeblich einzunehmen versuchen.

Bei den SDF handelt es sich um eine Tarnorganisation der syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG), einer Schwesterorganisation der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Abdullah Öcalans. Bei einem Auftritt am 21. Juli auf dem Aspen Security Forum in Colorado hat General Raymond Thomas, der Leiter des Kommando der US-Spezialstreitkräfte (SOCOM), sich damit gerühmt, 2015 die Führung der YPG zur Umbenennung und zur Aufnahme des Begriffs "demokratisch" in ihren neuen Nom de guerre überredet zu haben. Ein "genialer" Einfall sei das gewesen, meinte Thomas. Bei diesem Anlaß rechtfertigte der SOCOM-Chef die Einstellung der CIA-Operation in Syrien mit der Notwendigkeit, die Kräfte der USA im "Kampf gegen IS", so die Tarnbezeichnung bzw. der Vorwand für Washingtons eigene militärische Einmischung im Irak und Syrien, zu bündeln.

Parallel zur Stabilisierung des syrischen Westens mit Hilfe Rußlands unter der Hoheit von Damaskus schicken sich die USA an, den Norden Syriens als eigene Plattform für die "power projection" in die umliegenden Regionen zwischen Schwarzem Meer, Kaspischem Meer und Persischem Golf zu nutzen. Bislang wußte man nur, daß die US-Streitkräfte seit März 2016 einen Start- und Landeplatz für Kampfhubschrauber in Kharab Ishq, nahe Kobane, Hauptstadt des kurdischen Automoniegebiets Rojava, und im November 2016 einen Luftwaffenstützpunkt nahe Rmeilan im nordöstlichen Gouvernement Hasaka unterhielten. Am 18. Juli hat die türkische Nachrichtenagentur Anadolu News sehr zur Verärgerung des Pentagons die Existenz weiterer acht US-Militärstützpunkte im kurdischen Nordsyrien bekanntgegeben. Anadolu hat nicht nur die genaue geographische Position der Stützpunkte bzw. Außenposten genannt, sondern auch die Anzahl der jeweils dort stationierten ausländischen Truppen - an zwei der Standorte sollen sich auch französische Spezialstreitkräfte aufhalten - beziffert sowie ihre Fahrzeug- und Waffensystemtypen identifiziert.

Man kann davon ausgehen, daß die brisante Informationspreisgabe durch Anadolu im Einverständnis mit der Regierung in Ankara erfolgte. Schließlich wirft der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den USA seit langem vor, durch die Zusammenarbeit mit der YPG gemeinsame Sache mit den "Terroristen" von der PKK zu machen. Am 21. Juli berichtete die russische Nachrichtenagentur Sputnik von einem Konvoi schwerer Panzerfahrzeuge und gepanzerter Räumgeräte, die Richtung Rakka rollten. Die beeindruckende Größe des Konvois verleitete Sputnik zu der Vermutung, daß die schwere Kriegsgerätschaft nicht nur der Vertreibung des IS aus Rakka dienen sollte, sondern auch eine Art Präpositionierung "für die Kriege von morgen" darstelle. Der Verdacht klingt nicht abwegig, bedenkt man den Umstand, wie seit Monaten die Trump-Regierung den Iran zum "Hauptsponsor des internationalen Terrorismus" aufbauscht und verzweifelt nach Gründen sucht, das von Obamas Außenminister John Kerry 2015 unterzeichnete Atomabkommen mit Teheran aufzukündigen.

24. Juli 2017


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