Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REDAKTION


NAHOST/1564: Kampf um Nachkriegsordnung in Syrien ausgebrochen (SB)


Kampf um Nachkriegsordnung in Syrien ausgebrochen

US-Gesandter führt in Damaskus Geheimgespräche mit dem "Assad-Regime"


In Syrien scheint die Befriedungsstrategie, die Rußland mit den Nachbarstaaten Türkei und Iran verfolgt, zum Erfolg zu führen. Viele Rebellengruppen haben sich auf das Waffenstillstandsangebot der Regierung in Damaskus eingelassen, weswegen in weiten Teilen des Landes die Kämpfe abgeflaut sind, Flüchtlinge nach Hause zurückkehren und mit dem Wiederaufbau begonnen worden ist. Im Osten ist die "Terrormiliz" Islamischer Staat stark auf dem Rückzug. Am 3. Oktober meldete die Syrische Arabische Armee (SAA), die Unterstützung von der russischen Luftwaffe, iranischen Militärberatern und schiitischen Hisb-Allah-Milizionären aus dem Libanon, aber nicht nur, erfährt, die vollständige Einnahme von Deir ez-Zor, der Hauptstadt des gleichnamigen Gouvernements.

Aktuell bereitet die SAA die Rückeroberung von Albu Kamal, der letzten Stadt in den Händen von IS, vor. Begünstigt wird die Operation durch die Tatsache, daß vor wenigen Tagen die irakischen Streitkräfte direkt auf der anderen Seite der Grenze die sunnitischen Dschihadisten aus der Stadt Al Kaim vertrieben haben. Damit dürfte demnächst das länderübergreifende Kalifat, das IS-Chef Abu Bakr Al Baghdadi, im Juni 2014 in der Zentralmoschee zu Mossul ausgerufen hat, der Geschichte angehören. Die irakisch-syrische Staatsgrenze wird sich zum erstenmal seit Jahren wieder vollständig unter der Kontrolle der Truppen Bagdads und Damaskus' befinden. Inwieweit der IS nach dem Verlust allen Territoriums weiterhin aktiv bleibt, hängt davon ab, wie sich die Nachkriegsordnung gestaltet wird. Im Falle Syriens wird darum derzeit heftig gerungen.

Am 18. November soll in der kasachischen Hauptstadt Astana die nächste Runde der Friedensgespräche für Syrien stattfinden. Der Schirmherr Rußland hat bis auf IS und die Al-Nusra-Front quasi alle Rebellengruppen eingeladen, darunter auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Gegen letzteren Umstand regte sich in der Türkei Widerstand. Die Regierung in Ankara sieht in den SDF, die für ein kurdisches Autonomiegebiet im syrischen Nordosten kämpfen und dabei von US-Militär umfassend unterstützt werden, eine Schwesterorganisation der in der Türkei verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) Abdullah Öcalans.

Man weiß nicht, ob die Drohung der Türken, die kommenden Gespräche in Astana zu boykottieren, ernst gemeint ist oder nicht. Schließlich würde eine solche drastische Maßnahme die Zusammenarbeit Ankaras mit Moskau und Teheran auf Spiel setzen, die sich in den letzten Monaten für alle drei Großmächte voll ausgezahlt hat. Auch wenn ihr ursprüngliches Ziel, den Sturz Baschar Al Assads, verfehlt wurde, steht die Türkei als Kriegsgewinnerin da. Durch die eigene militärische Intervention im syrischen Norden hat sie den territorialen Ansprüchen der Kurden dort Einhalt geboten. Türkische Truppen fungieren im nordwestlichen Gouvernement Idlib als Ordnungsmacht - eine Position, die sie wahrscheinlich bald mit Waffengewalt gegen die dort stark vertretene Präsenz der Al-Nusra-Front wird durchsetzen müssen.

Es war nicht zuletzt die Entscheidung der Türkei und des Irans, sich auf die Seite der irakischen Zentralregierung bei deren Streit mit der kurdischen Autonomieregierung Massud Barsanis im Nordirak zu stellen, die Bagdad ermöglicht hat, den Unabhängigkeitsbestrebungen Erbils so rasch und mit so wenig Blutvergießen ein Ende zu bereiten. In Reaktion auf die Durchführung einer entsprechenden Volksbefragung im Kurdengebiet am 25. September haben die Türkei und der Iran ihre Grenzen zum Nordirak geschlossen und die Kurden von einem Moment zum nächsten von der Außenwelt abgeschnitten. Es folgten unmittelbar darauf ein Verbot des internationalen Luftverkehrs und Mitte Oktober der großangelegte Einmarsch irakischer Streitkräfte, begleitet von schiitischen Volksmobilisierungskräften.

Die jüngsten Ereignisse in Nordirak dürften für Syriens Kurden recht lehrreich gewesen sein. Sie haben mitansehen können, wie in der entscheidenden Stunde die diplomatische Rückendeckung, die sich Barsani von den USA erhofft hatte, gar nicht existierte. In der Folge dürfte die Bereitschaft der syrischen Kurden, sich mit der Zentralregierung in Damaskus zu arrangieren, sofern bestimmte wichtige Autonomieregelungen in die neue Verfassung Syriens Eingang finden, stark gestiegen sein. Sie müssen auch davon ausgehen, daß Washington jederzeit mit Damaskus einen "Separatfrieden" schließen kann. Ungeachtet der Tatsache, daß sich US-Außenminister Rex Tillerson zuletzt gegen einen Verbleib Baschar Al Assads als syrischer Präsident ausgesprochen hatte, meldeten am 3. November die libanesische Zeitung Al Akhbar und die britische Nachrichtenagentur Reuters den ersten Besuch eines US-Regierungsvertreters in Damaskus seit Jahren. Die Identität der Person, die offenbar auf dem Landweg von Libanon nach Syrien eingereist ist, wurde nicht bekanntgegeben. Aus den Berichten von Al Akhbar und Reuters geht lediglich hervor, daß sich der Abgesandte der Regierung Donald Trumps mit Ali Mamluk, dem Nationalen Sicherheitsberater Assads, getroffen hat. Sie sollen über die politische Lage im allgemeinen und das Schicksal mehrerer verschwundener Amerikaner in Syrien, bei denen es sich um CIA-Mitarbeiter handeln soll, im besonderen gesprochen haben.

5. November 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang