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NAHOST/1574: Das Jemen-Desaster - Genetik der Kriegsvorwände (SB)


Das Jemen-Desaster - Genetik der Kriegsvorwände


Im Jemen nimmt das Kriegschaos dermaßen zu, daß sich das Ende des Landes als einheitlicher Staat abzeichnet. Deutlicher Vorbote der unheilvollen Entwicklung sind die blutigen Kämpfe Ende Januar in der Hafenstadt Aden, die mehreren Dutzend Menschen das Leben kosteten. Südliche Separatisten haben mit der militärischen Unterstützung der Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) den Truppen des Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi eine schwere Niederlage bereitet und sie dort quasi als Machtfaktor ausgeschaltet. Das Vorpreschen jener Kräfte, die im Süden offen heraus ein Ende der 1990 herbeigeführten Einigung des schiitisch-geprägten Nordjemens mit dem einst sozialistischen Südjemen propagieren, erfolgt nur wenige Wochen nach dem Tod Al Abdullah Saleh. Dieser war lange Jahre Präsident Nordjemens, wurde danach Staatsoberhaupt des neuen gemeinsamen Staats und ließ 1994 einen Aufstand der Südjemeniten, die sich durch den Vereinigungsprozeß benachteiligt fühlten, brutal niederschlagen.

Infolge von Massenprotesten gegen Vetternwirtschaft sowie aufgrund massiven Drucks der USA und Saudi-Arabiens trat Saleh 2012 äußerst widerwillig aus der aktiven Politik zurück. An seine Stelle trat der bisherige Stellvertreter Hadi, der in vorübergehender Funktion der Ausarbeitung einer neuen Verfassung vorstehen sollte. Als jedoch Hadi den Reformprozeß verschleppte, um länger im Amt bleiben zu können, überrannten Ende 2014 die Kämpfer der schiitischen Huthi-Milizen die Hauptstadt Sanaa. Anfang 2015 setzte sich Hadi nach Aden ab und erklärte diese zur provisorischen Hauptstadt. Um die Einnahme der strategisch wichtigen Hafenmetropole durch die Huthis, die Beistand erhielten von jenem 60 Prozent der jemenitischen Streitkräfte, die weiterhin dem Saleh-Klan die Treue hielten, zu verhindern, griffen im März 2015 Saudi-Arabien und die VAE militärisch ein. Zusammen mit den südlichen Separatisten und der hadi-treuen Präsidialgarde haben die Saudis und die Emirater die Huthi-Saleh-Armee zurückgedrängt.

Seitdem wird erbittert gekämpft, vor allem um die Stadt Taiz, die auf halber Strecke zwischen Sanaa und Aden liegt. Bisher hat sich keine der beiden Seiten als fähig erwiesen, das Territorium des Gegners großflächig oder langfristig zu erobern. Der Jemen-Konflikt ist praktisch zum Stellungskrieg geworden, weswegen Saudi-Arabien und die VAE vor allem mit Luftangriffen und einer Handelsblockade die Huthis in die Knie zu zwingen versuchen - bislang vergeblich. Auch der plötzliche Seitenwechsel Salehs Ende letzten Jahres hat Riad und Abu Dhabi nicht genutzt. Der Ex-Präsident hat sich politisch ins Abseits manövriert und dafür mit dem Leben bezahlt, während die meisten seiner früheren Soldaten von den Huthis doch nicht abrückten. Dies könnte sich aber irgendwann einmal ändern. Medienberichten zufolge ist zur Jahreswende Tarek Mohammed Saleh, der Neffe des verstorbenen Ex-Präsidenten und einst Oberbefehlshaber der jemenitischen Spezialstreitkräfte, nach Aden geflohen und hat sich in die Obhut der Emirater begeben. Es wird erwartet, daß dieser zum potentiellen Huthi-Bezwinger aufgebaut wird.

In den letzten zweieinhalb Jahren haben sich die Verhältnisse unter den verschiedenen Gruppen im Süden und ihren ausländischen Gönnern zum Schlechten entwickelt. An Hadi vorbei haben die Emirater die südlichen Separatisten protegiert, sie militärisch ausgebildet und aufgerüstet. Im April 2017 wurde in Aden der Südliche Übergangsrat (Southern Transitional Council - STC) gegründet, dem unter anderen die Gouverneure der Gouvernements Al-Mahra, Ad-Dali, Hadraumaut, Lahidsch und Sokotra angehören. Es waren STC-treue Streitkräfte, die am 28. Januar in Aden Stellungen der Präsidialgarde angegriffen haben. Anlaß war die Weigerung Hadis, die vom STC als korrupt bezeichnete Regierung um Premierminister Ahmad Obeid Bin Daghr zu entlassen. Mit Hilfe der Emirater, deren Kampfjets entscheidend eingriffen, haben die südlichen Separatisten alle Stützpunkte in Aden erobert. Am Ende war die Regierung und mit ihr die präsidiale Schutztruppe um Hadis Sohn im Präsidentenpalast umzingelt. Auf Vermittlung Riads und Abu Dhabis wurden die Kämpfe eingestellt. Nach der eindeutigen Klärung der Machtverhältnisse hat sich der STC herabgelassen, seine Treue zu Hadi auszusprechen und ein Bekenntnis zur jemenitischen Einheit abzugeben. Wer dem glaubt, wird selig.

Hadi sitzt in Riad, quasi als machtloser Gefangener von König Salman und dessen ehrgeizigen Thronnachfolger Prinz Mohammed. Die Emirater wollen mit dem einstigen Stellvertreter Salehs nichts zu tun. Bei einem Besuch in Abu Dhabi im vergangenen Jahr hat die Königsfamilie Hadi wie einen Laufburschen behandelt und somit aller Welt demonstriert, daß er für sie kein ernstzunehmende Gesprächspartner mehr darstellt. Der einzige Grund, warum Hadi nicht längst fallengelassen wird, ist, daß Saudi-Arabien und die VAE seine Person weiterhin zur Legitimation für ihre anhaltende Kriegsintervention im Jemen brauchen.

Verkompliziert wird die Lage im Jemen durch den im vergangenen Jahr ausgebrochenen Streit Saudi-Arabiens und der VAE mit Katar, das von Riad und Abu Dhabi bezichtigt wird, durch Unterstützung der Moslembruderschaft den "internationalen Terrorismus" zu fördern. Die Konfrontation mit Doha hat die Saudis dazu veranlaßt, auf Distanz zur Islah-Partei im Jemen zu gehen, mit der Riad jahrelang gemeinsam den Säkularismus bekämpft hatte. Dies erklärt, warum Riad offenbar Abu Dhabi grünes Licht für das Vorgehen des STC gegen die Hadi-Regierung in Aden gegeben hat. Aus Sicht Saudi-Arabiens wird die Islah-Partei nicht mehr gebraucht. Doch dieses Kalkül könnte sich rächen, sollte sich die Islah-Partei in Richtung Al Kaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) umorientieren. Für eine solche Entwicklung gibt es bereits erste Anzeichen. Am 30. Januar kamen mindestens 15 Menschen ums Leben, als ein Selbstmordattentäter sein mit Sprengstoff gefülltes Auto vor einem Kontrollpunkt der südlichen Separatisten nahe Atak, Hauptstadt des Gouvernements Schwabwa, in die Luft jagte.

5. Februar 2018


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