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NAHOST/1593: Syrien-Konflikt - Raketenangriff zielt auf die Schutzallianz ... (SB)


Syrien-Konflikt - Raketenangriff zielt auf die Schutzallianz ...


Am späten Abend des 29. Aprils ist es zu heftigen Explosionen auf drei Militärstützpunkten in Syrien - einem bei Aleppo und zweien nahe Hama - gekommen, die so gewaltig waren, daß die Erderschütterungen in den benachbarten Staaten Libanon und Türkei mit 2,6 auf der Richterskala gemessen wurden. Hinter der Aktion wird die israelische Luftwaffe vermutet. An allen drei Standorten waren schiitische Milizionäre bzw. Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden stationiert. Die Heftigkeit der Explosionen wurde von der Pro-Hisb-Allah-Zeitung Al-Akhbar dahingehend erklärt, daß die Israelis bunkerknackende Raketen eingesetzt hatten, die umfangreiche Waffendepots zur Zündung brachten.

Laut der liberalen israelischen Tageszeitung Ha'aretz wurden durch die Aktion eine nicht geringe Zahl iranischer Boden-Boden-Raketen zerstört. Bereits in der Nacht grassierten im Internet per Mobiltelefon aufgenommene, angsteinflössende Videomitschnitte, wie riesige Feuerbälle den Himmel über den Provinzen Aleppo und Hama beleuchteten. Über Verluste gab es zunächst keine verläßlichen Angaben. Syrische Medien meldeten bis zu 40 Tote, die Hälfte davon iranische Militärs bzw. Milizionäre, während gegenüber der halbstaatlichen iranischen Nachrichtenagentur Tasmin eine nicht namentlich genannte Quelle bei der Führung in Teheran "Berichte vom Märtyrertod mehrerer iranischer Militärberater in Syrien" als "ohne Grundlage" abtat. Fest steht, daß diese Operation die Gefahr eines richtigen Krieges - im Vergleich zu begrenzten Schlägen und Gegenschlägen - zwischen dem Iran und Israel erheblich erhöht hat.

Die Eskalationsspirale war am 10. Februar in Bewegung geraten, als die israelischen Streitkräfte eine iranische Drohne über dem von ihnen besetzten Teil der syrischen Golanhöhen abschossen (später behaupteten sie, das unbemannte Flugzeug sei mit Sprengstoff bestückt und keine einfache Spähdrohne gewesen). Bei einer anschließenden Vergeltungsaktion der israelischen Luftwaffe gegen den Stützpunkt, von wo die Drohne angeblich gekommen war bzw. gesteuert wurde, war ein israelischer Kampfjet vom Typ F-16 auf dem Heimweg kurz vor der eigenen Staatsgrenze abgeschossen worden. Zwar konnte sich der Pilot mit dem Schleudersitz retten und von den eigenen Kameraden lebend geborgen werden, dennoch war es für die Israelis der erste Abschuß einer Kampfmaschine seit dem Libanonkrieg im Jahre 1982 gewesen.

Wegen des entstandenen Schadens an dem von Israel beanspruchten Ruf, im Nahen Osten militärisch unbezwingbar zu sein, dauerte es nicht lange, bis Premierminister Benjamin Netanjahu wieder auftrumpfte. Am 9. April griffen israelische Kampfjets den Stützpunkt Tiyas, auch T-4 genannt, nahe Palmyra, von wo aus das iranische Militär Drohnenflüge über Syrien koordiniert, an. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben, sieben von ihnen Mitglieder der iranischen Revolutionsgarde, darunter Oberst Mehdi Dehghan, der angebliche Chef des Drohnenprogramms in Syrien.

Überschattet wurde dieser, in seiner Tragweite möglicherweise viel größere Vorfall vom gemeinsamen Raketenangriff der Amerikaner, Briten und Franzosen auf Stellungen der syrischen Streitkräfte am 14. April, die sich angeblich eines Giftgasangriffs auf Rebellen eine Woche zuvor in Douma schuldig gemacht hätten. In der New-York-Times-Ausgabe von 16. April zitierte deren Kolumnist und Scharfmacher Thomas Friedman eine nicht namentlich genannte Quelle beim israelischen Militär mit dem Bekenntnis zum Angriff auf T-4. Diese Person bezeichnete das angebliche Eindringen der iranischen Drohne in den israelischen Luftraum im Februar als "Beginn einer neuen Periode".

Seitdem reißen die gegenseitigen Verbalangriffen nicht ab. Gleich zwei Berater des iranischen Revolutionsführers Ajatollah Ali Khamenei haben in den letzten Tagen Israel mit der völligen Ausradierung gedroht, sollte Tel Aviv weiterhin seine Provokationen fortsetzen. Am 26. April wurde der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman in der arabisch-sprachigen Zeitschrift Aleph mit den Worten zitiert, die Mullahs in Teheran wüßten, daß das iranische Regime "seinen letzten Tagen" entgegensehe und "bald kollabieren" werde.

Es sieht alles danach aus, als wollten die Verantwortlichen in Tel Aviv die "letzten Tage" der Islamischen Republik Iran aktiv herbeiführen. Premierminister Netanjahu steht vor seinem größten politischen Erfolg, nämlich dem Rückzug der USA aus dem von ihm verhaßten Atomabkommen mit den Iran. Unfähig, Barack Obama von der Schließung des Joint Comprehensive Plan Of Action im Juli 2015 abzubringen, hat Netanjahu den neuen US-Präsident Donald Trump überzeugen können, daß es sich hier um den "schlechtesten Deal aller Zeiten" handelt. Wahrscheinlich wird Obamas Nachfolger, der bis Januar 2017 in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht die geringste Erfahrung vorzuweisen hatte, wie angekündigt am 12. Mai den Ausstieg Washingtons aus dem JCPOA erklären und die früheren drakonischen Finanz- und Wirtschaftssanktionen der USA gegen Teheran erneut verhängen.

Ein solcher Schritt würde die Tauben im Iran um Präsident Hassan Rohani, der auf eine Verständigung mit dem Westen und dadurch einen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen gesetzt hatte, schwächen und die Falken um Qassem Soleimani, dem legendären Kommandeur der Al-Quds-Eliteeinheit der Revolutionsgarden, der ein enger Vertrauter Khameneis ist und den Kampf Teherans, Bagdads und Damaskus' gegen die sunnitischen Dschihadisten in Syrien und im Irak koordiniert, stärken. Auch wenn Teherans Vergeltungsdrohungen bislang leer geblieben sind, irgendwann wird der Punkt kommen, sollte Israel weiterhin iranisches Militärpersonal in Syrien töten, an dem sich die Führung der Islamischen Republik gezwungen sehen wird, Tel Aviv seine Übergriffe mit gleicher Münze heimzuzahlen, selbst wenn die Aktion einen größeren Krieg auslöst.

Die Luftangriffe auf iranische Stellungen bei Aleppo und Hama sind als Teil einer ausgeklügelten Strategie zu betrachten, mit der Netanjahu und seine politischen Verbündeten in Washington, allen voran Trumps neuer Nationaler Sicherheitsberater John Bolton, die USA an der Seite Israels in einen militärischen Konflikt mit dem Iran hineinzumanövrieren gedenken. Nur wenige Stunden vor dem Angriff empfing Netanjahu den neuen US-Außenminister Mike Pompeo zu Gesprächen in Jerusalem. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz beklagten die beiden Politiker die von Teheran angeblich ausgehende Gefährdung Israels sowie des Friedens auf der Welt. Ein Tag vor dem Eintreffen in Israel hatte Pompeo beim Besuch in Riad den Iran als "Hauptförderer des internationalen Terrorismus" gegeißelt - und sich damit bei seinen saudischen Gastgebern, welche die "Mullahkratie" in Teheran für den Erzfeind halten, eingeschmeichelt. Noch als Kongreßabgeordneter hatte Pompeo 2014 anstelle von Verhandlungen hin zu einem internationalen Abkommen umfangreiche Raketenangriffe auf die iranischen Nuklearanlagen als bestmöglichen Weg, die Gefahr einer persischen Atombombe zu beseitigen, propagiert.

Gleich am Tag nach dem Besuch Pompeos und der Militäroperation bei Aleppo und Hama wartete Netanjahu mit dem nächsten Paukenschlag auf - eine große Bühnenshow, auf der der Likud-Chef zur besten Sendezeit im israelischen Fernsehen der Weltöffentlichkeit den Inhalt eines großen, dafür aber recht alten iranischen Archivs, das der Mossad 2016 aus Teheran gestohlen haben soll und das frühere Bemühungen der Iraner zur Jahrtausendwende in Sachen Atombombenbau belegt, präsentiert. Zwar haben europäische Spitzenpolitiker sowie die Verantwortlichen bei der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) in Wien Netanjahus vermeintlich große Enthüllung der iranischen Perfidie als längst bekannte Tatsachen abgetan, doch der eigentliche Hauptadressat der durchsichtigen PR-Nummer - Donald Trump - hat auf die gewünschte Weise reagiert. Nur Minuten, nachdem Netanjahu seinen Vortrag abgeschlossen hatte, twitterte der New Yorker Baulöwe in die Welt hinaus, das Archiv über das frühere iranische Atomprogramm belege, daß er, Trump, mit seiner Kritik am JCPOA "100% richtig" gelegen habe.

Beunruhigend in diesem Zusammenhang ist die schwächelnde Position von US-Verteidigungsminister James Mattis. Der Irakkriegsveteran, der bei der Aufstandsbekämpfung im Zweistromland wegen seiner aggressiven militärischen Taktiken den Spitznamen "Mad Dog" erworben hatte, hat in den letzten Tagen sowohl das Atomabkommem mit Teheran als effektiv gelobt, als auch vor der Gefahr eines israelisch-iranischen Kriegs dringend gewarnt - und sich damit in Opposition zur neuen Machtachse Pompeo-Bolton in Trumps Sicherheitskabinett gebracht. Am 27. April berichtete Curt Mills in der konservativen US-Politzeitschrift National Interest vom laufenden "Messerkampf" hinter den Kulissen in Washington, den Mattis scheinbar gegen Bolton verliert. Mills prognostiziert, daß der ehemalige Vier-Sterne-General spätestens Ende des Jahres, möglicherweise aber viel früher das Pentagon verlassen wird.

Eine solche Entwicklung wäre verheerend. Schließlich gehört Bolton zu den Autoren des zionistischen Plans "A Clean Break", in dem bereits 1996 Netanjahu eine Neuordnung des Nahen Ostens zugunsten Israels mittels gewaltsamer "Regimewechsel" im Irak und Iran, Syrien und Libyen empfohlen wurde. Zwischen 2001 und 2009 hat sich in der Regierung von George W. Bush, ausgenommen Vizepräsident Dick Cheney, niemand mehr als Bolton - zuerst als Staatssekretär im Außenministerium zuständig für Terrorismusbekämpfung und Rüstungskontrolle und später als UN-Botschafter - dafür eingesetzt, die Verhandlungen zwischen den EU-3 (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) und dem Iran in der Atomfrage zu torpedieren und so die militärische Option offenzuhalten. Leider sieht es aus, als würde demnächst "Bonkers" Bolton sein stetiges Ziel, nämlich einen Krieg der USA und Israels gegen den Iran anzuzetteln, verwirklichen können.

2. Mai 2018


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