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NAHOST/1619: Irak - Washingtons Intrigen fliegen auf ... (SB)


Irak - Washingtons Intrigen fliegen auf ...


Der Irak kommt immer noch nicht zur Ruhe. Auf die Parlamentswahlen im Mai folgte ein monatelanges Ringen um die Bildung einer neuen Regierung. Anfang September schien die Einigung in Sicht. Doch dann kam es in der südlichen Hafenmetropole Basra zu tagelangen gewalttätigen Massenprotesten wegen Korruption sowie Mangels an Strom und sauberem Trinkwasser. Die Proteste werden Haider Al Abadi eine zweite Amtszeit als Premierminister kosten. Abadi, der 2014 nach der Eroberung Mossuls durch den Islamischer Staat (IS) Nuri al Maliki als Regierungschef ablöste, hat zwar erfolgreich den Kampf gegen die sunnitische "Terrormiliz" angeführt, sich jedoch als unfähig erwiesen, die sozialen Probleme des Landes zu lösen. Seine Versprechen auf großangelegte Entwicklungsprojekte, um das verwahrloste und heruntergekommene Basra wieder zum Venedig des Orients zu machen, haben sich nicht einmal in Ansätzen erfüllt.

Ursprünglich wollten die drei erfolgreichsten politischen Gruppierungen bei den Wahlen eine große Mehrparteienkoalition bilden. Beim Urnengang in Front lagen erstens die "Allianz der Revolutionäre für Reform", auch "Al Sairun" ("Die Marschierer") genannt, ein Bündnis zwischen der Al-Ahrar-Partei des einstigen schiitischen "Radikalpredigers" Muktada Al Sadr mit den irakischen Kommunisten; zweitens die von Kommandeuren der 2014 zur Zurückschlagung des IS gegründeten, überwiegend schiitischen Volksmobilisierungskräfte wie Hadi Al Ameri gegründete Allianz Al Fatah (Eroberer); und drittens Abadis Gruppierung Nasr Al Irak (Irakischer Sieg). Nach den Ereignissen in Basra werden zwar Al Sairun und Al Fatah die Regierungsarbeit gemeinsam aufnehmen, doch ob mit der Hilfe von Nasr Al Irak oder vielleicht statt dessen von anderen kleineren Fraktionen muß sich noch zeigen.

Nach dem jüngsten Machtwort von Großajatollah Ali Al Sistani, dem geistigen Oberhaupt der irakischen Shiiten, wird Abadi der neuen Administration nicht mehr angehören. In seiner Freitagspredigt vom 7. September hat Sistani die Bildung einer Regierung ohne diejenigen politischen Persönlichkeiten, die für die aktuelle miserable soziale und wirtschaftliche Lage im Irak verantwortlich sind, angekündigt. Irakischen Medienberichten zufolge hat der 88jährige Geistliche sein Veto gegen eine Vergabe des Postens des Premierministers an Al Abadi, Al Maliki, den ehemaligen Leiter der Volksmobilisierungskräfte Falih Alfajjad, Al-Fatah-Chef Al Ameri und Al Malikis ehemaligen Stabschef Tarik Al Nadschim eingelegt.

Sistani hatte die Proteste in Basra, als sie im Juli begannen, ursprünglich unterstützt und für berechtigt erklärt, doch zuletzt haben diese eine Wendung genommen, die ihm und Al Sadr nicht ganz geheuer sein kann. Nachdem in der ersten Septemberwoche rund 30.000 Menschen an unsauberem Wasser erkrankt waren, kam es in Basra zu schweren Ausschreitungen mit mehr als zwölf Todesopfern. Die Demonstranten verwüsteten die Büros mehrerer politischen Parteien, stürmten das iranische Konsulat und brannten es nieder, verbrannten öffentlich Bilder von Großajatollah Ali Khamenei und Qassem Soleimani, dem Chef der Al-Quds-Brigade der iranischen Revolutionsgarde und skandierten Teheran-feindliche Parolen. Nur durch beherztes Eingreifen und die Verhängung einer vorübergehenden Ausgangssperre konnte die irakische Armee die Lage wieder halbwegs normalisieren.

Kritische Beobachter vermuten, daß die USA die Probleme im Irak instrumentalisieren, um den Einfluß des Irans im Zweistromland zurückzudrängen. Im Mai hatte US-Präsident Donald Trump einseitig das 2015 von der Vorgängerregierung Barack Obamas mit dem Iran geschlossene Atomabkommen aufgekündigt. Anfang Juli, mitten in der sommerlichen Hitzewelle, brachen in Basra die Proteste gegen die Stromknappheit aus. Zuvor hatte der Iran die Menge Strom, die seine Kraftwerke an die Region um Basra liefern, mit der Begründung gedrosselt, die irakische Zentralregierung in Bagdad sei mit ihren Zahlungen in einer Höhe von 1,5 Milliarden Dollar im Verzug. Während sich Saudi-Arabien, Irans größter Feind und Amerikas großer Freund am Persischen Golf, offiziell als Stromlieferant anbot, berichtete am 21. Juli der in Katar ansässige Nachrichtensender Al Jazeera unter Berufung auf eigene Quellen in Bagdad, Washington habe die Regierung Al Abadis dazu veranlaßt, die Zahlung ihrer Stromrechnungen an den Iran zu verschleppen.

Mitte August traten die ersten Finanz- und Wirtschaftssanktionen der USA gegen den Iran wieder in Kraft. Aus irakischen Regierungskreisen hieß es zunächst, Bagdad schließe sich dem Handelsboykott Washingtons gegenüber dem Nachbarland an, da es keine andere Wahl habe. Am 30. August wurde Falih Alfajjad, der Leiter der Volksmobilisierungskräfte, die im "Antiterrorkampf" gegen den IS eng mit der iranischen Al-Quds- Brigade zusammenarbeiten, von Al Abadie entlassen, während Bagdad gleichzeitig zwei russischen Militärmaschinen, die aus dem Iran kamen, den Weiterflug durch den irakischen Luftraum nach Syrien verweigerte. Dabei sind Moskau, Bagdad und Teheran offiziell Alliierte im Kampf gegen den IS, Al Kaida und deren diverse Ableger.

Offenbar hat Abadi seine zu starke Annäherung an die Iran-feindliche Position der USA den Wiedereinzug in Bagdads Grüne Zone gekostet. Im Irak sind die US-kritischen Kräfte zu stark, die Erinnerungen an die grausamen Jahre der Besetzung durch die amerikanischen und britischen Armeen zu frisch. Selbst Muktada Al Sadr muß sich davor hüten, zum Handlanger der USA, Saudi-Arabiens und Israels abgestempelt zu werden. Viele von Al Sadrs schiitische Anhänger waren nicht glücklich, als er im April 2017 den Rücktritt des syrischen Präsidenten Baschar Al Assad forderte und im Juli 2017 in Riad Kronprinz Mohammed Bin Salman, den Hauptverantwortlichen für den aktuellen Völkermord im Jemen, seine Aufwartung machte. Dies erklärt vielleicht, warum Al Sadr noch vor Al Sistani Premierminister Al Abadi zum Rücktritt aufforderte. Fest steht jedenfalls, daß sich der Stellvertreterkrieg der USA und des Iran im Irak aktuell verschärft und bald in eine offene Konfrontation am Persischen Golf eskalieren könnte.

16. September 2018


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