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NAHOST/1634: Riad - Verzahnung diverser Interessen ... (SB)


Verzahnung diverser Interessen ...


Was genau passierte, nachdem sich Jamal Khashoggi am 2. Oktober kurz nach 13 Uhr in das saudische Konsulat in Istanbul begab, weiß nur ein kleiner Kreis von Menschen. Der Umstand, daß der saudische Exilant und Washington-Post-Kolumnist seitdem nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetaucht ist oder Kontakt zu seiner türkischen Verlobten Hatice Cengiz aufgenommen hat, spricht für die These, daß er in der diplomatischen Vertretung Riads am Bosporus ums Leben gekommen ist. Die türkische Staatsanwaltschaft ermittelt in der Angelegenheit bereits gegen 18 Saudis - 15 von ihnen Mitglieder des Sicherheitsapparats um Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS), die am besagten Tag extra morgens in die Türkei eingereist und abends nach Saudi-Arabien zurückgeflogen sind. Sie versucht zudem, wegen des Verdachts Zugang zur Villa des saudischen Konsuls in Istanbul zu bekommen, die Leiche Khashoggis könnte dort entweder ganz oder in Stücken begraben sein.

Ungeachtet der Tatsache, daß Saudi-Arabien bereits den Tod des prominenten MbS-Kritikers eingeräumt und dessen Ableben als unbeabsichtigte Folge einer mißglückten, weil allzu ruppig gehandhabten Entführung deklariert hat, sollte man in der Angelegenheit größte Skepsis wahren. Der Fall Khashoggi ist zu einem Politikum internationaler Tragweite geworden, bei dem mit harten Bandagen um die Auslegungshoheit gekämpft wird. Man denke nur an die geschickte Informationspolitik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die ganze Welt glauben ließ, er sei im Besitz von Bild- und Tonmaterial, auf dem die bestialische Ermordung Khashoggis und dessen Zerstückelung bei lebendigem Leibe mittels einer elektrischen Knochensäge festgehalten worden sei. Nur weil vor wenigen Tagen die Behörden in Ankara Gina Haspel, der foltererfahrenen CIA-Chefin von US-Präsident Donald Trump, exklusiven Einblick in besagtes Material gewährt haben sollen, heißt das noch lange nicht, daß es existiert. Rußlands Präsident Wladimir Putin zum Beispiel, der als ehemaliger KGB-Agent von Geheimdienstangelegenheiten mehr als jeder andere Regierungschef versteht, hat sich kategorisch geweigert, dem überlauten Ruf der Medien nach der Verhängung von Sanktionen gegen Saudi-Arabien Folge zu leisten, bis ihm juristisch verwertbare Beweise für die Ermordung Khashoggis vorgelegt worden sind.

Seit Wochen grassieren im Internet Gerüchte und Spekulationen um das Geschehen im saudischen Konsulat am 2. Oktober. Sie reichen vom mißlungenen Versuch Khashoggis, die Prätorianer von MbS für eine Palastrevolte zu gewinnen bis hin zur geschickten Inszenierung der CIA und Teilen des saudischen Geheimdienstes, einen "Regimewechsel" in Riad zu erzwingen. Interessant in diesem Zusammenhang sind Meldungen der letzten Wochen seitens der Washington Post und der britischen Tageszeitung Express, wonach die Verantwortlichen bei der CIA und dem MI6 bis zu drei Wochen vor dem Vorfall von der geplanten Entführung Khashoggis wußten, jedoch aus bisher unerklärlichen Gründen nichts dagegen unternahmen. Tatsache ist, daß Trump am 3. Oktober bei einer Wahlkampfveranstaltung eine Fortsetzung der Herrschaft der Familie Saud über den größten Teil der arabischen Halbinsel offen in Frage gestellt hat. Wörtlich sagte der New Yorker Immobilienmagnat, König Salman sowie sein Sohn und designierter Thronfolger Mohammed blieben ohne die USA "keine zwei Wochen an der Macht" und forderte Riad dazu auf, für den militärischen Schutz Washingtons endlich zu "bezahlen".

Was könnte Trump zu einer solchen Drohung gegenüber Saudi-Arabien, einem langjährigen Verbündeten der USA, das er als erstes Land als US-Präsident im Frühjahr 2017 besucht hatte, veranlaßt haben? Damals haben die Saudis Trump - wer erinnert sich nicht an dessen berühmten "Schwerttanz"? - versprochen, der US-Rüstungsindustrie Waffen im Wert von 110 Milliarden Dollar abzunehmen. Doch offenbar sind viele der angebahnten Geschäfte noch nicht so recht unter Dach und Fach - will heißen, die Amerikaner haben ihr Geld nicht bekommen. Wie der Zufall so will, war am 30. September die Frist abgelaufen, derzufolge Riad Lockheed Martins 15 Milliarden Dollar teueres Raketenabwehrsystem namens Theatre High Altitude Area Defense System (THAAD) hätte bestellen sollen. Dazu war es jedoch nicht gekommen, weil sich Salman und MbS angeblich das billigere, lediglich fünf Milliarden Dollar teuere, aber leistungsstärkere S-400-System der Russen kaufen wollten.

Auch die US-Finanzindustrie hält MbS nicht mehr für den großen Hoffnungsträger, seit Salman im Sommer einen Strich durch die Pläne des jungen Möchtegern-Reformers machte. Damals hat sich der König gegen die geplante, auf 100 Milliarden Dollar geschätzte Teilprivatisierung des staatlichen Saudi-Aramco, des größten Ölkonzerns der Welt, entschieden. Die Erlöse aus dem Mammutbörsengang entweder in New York oder London oder an beiden Orten zeitgleich sollten den Umbau der saudischen Volkswirtschaft von der Abhängigkeit von Öl und Gas hin zu einer modernen Dienstleistungsgesellschaft finanzieren. Die Restrukturierungspläne stehen nun in den Sternen. Amerikas Großkonzerne, die sich bei der saudischen Privatisierungsorgie als erste bedienen wollten, sind verärgert. Dies erklärt den Vorwurf des einflußreichen New-York-Times-Kolumnisten Thomas Friedman vor wenigen Wochen, es dränge sich bei den Wirtschaftskapitänen in den USA der verstörende Eindruck auf, MbS favorisiere ein "chinesisches Modell" mit stärkerem Staatsdirigismus.

Da Regierungsgegner in mit dem Westen befreundeten Staaten praktisch jeden Tag auf die eine oder andere Weise, mal lautlos, mal mit demonstrativer Brutalität, liquidiert werden, kann man annehmen, daß der Tod Khashoggis nicht die Ursache war, warum sich MbS' falsche Freunde in Washington, London, Paris und Berlin plötzlich von ihm abwenden, sondern daß es darum ging, dem übermächtigen Kronprinzen die Flügel zu stutzen, wenn nicht sogar ihn ganz kaltzustellen. Hatte man im vergangenen November die Festnahme und Folterung von mehr als 200 schwerreichen Saudis im Ritz Carlton in Riad mehr oder weniger ignoriert und als besonders schrille Form der "Korruptionsbekämpfung" abgetan, so sind nun für Kronprinz Mohammed die Messer gewetzt. Nicht umsonst hat am 30. Oktober Susan Rice, die einstige Nationale Sicherheitsberaterin Barack Obamas, in der New York Times den derzeitigen saudischen Thronfolger für nicht mehr tragbar erklärt. Am Vortag hatte US-Außenminister Mike Pompeo ein Ende des von MbS im März 2015 vom Zaun gebrochenen Kriegs im Jemen gefordert. Keine 24 Stunden später gab US-Verteidigungsminister und General a. D. James Mattis der Regierung in Riad 30 Tage Zeit, die Forderung seines Kollegen im State Department zu erfüllen.

Währenddessen ist in der saudischen Hauptstadt eine Neuordnung der Dinge voll im Gange. Am 30. Oktober ist Prinz Ahmed, der letzte lebende Bruder von König Salman, nach mehrmonatigem Exil in London nach Riad heimgekehrt. Nach Angaben der Zeitung Middle East Eye haben die USA und Großbritannien die Unversehrtheit Ahmeds garantiert. Ahmed und Salman sind die letzten der Sudairi-Sieben - jener Söhne, die Staatengründer Abd Al Asis Ibn Saud mit seiner Lieblingsfrau Hasa Bint Sudairi gezeugt hatte. Der ehemalige Innenminister wäre beim Tod Salmans König geworden, hätte sein Bruder ihn nicht letztes Jahr übergangen und den eigenen Sohn Mohammed zum Thronfolger ernannt.

Ahmed ist das einzige Mitglied der saudischen Königsfamilie, von dem bekannt ist, daß er MbS die Gefolgschaft verweigert und es überlebt hat. Ahmed hat sich in Saudi-Arabien beliebt gemacht, als im Frühjahr Bilder in der Heimat ausgestrahlt wurden, wie der 75jährige Prinz vor seiner Residenz in London von Demonstranten wegen des Jemen-Kriegs beschimpft wurde und darauf erwiderte, die Familie Saud habe damit nichts zu tun, das Blutvergießen im Nachbarland sei allein das Werk des Vater-Sohn-Duos Salman und Mohammed. Nachrichten zufolge hat MbS vor zwei Tagen seinen Onkel persönlich nach der Landung in Riad am Flughafen abgeholt. Man darf gespannt sein, wie die Lösung der "Khashoggi-Affäre" und das Ergebnis der aktuellen "Krisengespräche" hinter den Kulissen am saudischen Hof aussehen werden.

1. November 2018


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