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NAHOST/1685: Syrien - US-Fehler und -Ausflüchte ... (SB)


Syrien - US-Fehler und -Ausflüchte ...


Anfang Oktober hatte die Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien begonnen, wegen deren Duldung US-Präsident Donald Trump in Washington unter Dauerfeuer steht. Unfähig oder nicht willens, den türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan von seinem Vorhaben, eine "Sicherheitszone" auf der syrischen Seite der Grenze zu schaffen, abzubringen, hat sich Trump dafür entschieden, die US-Streitkräfte aus der Region abzuziehen, in der es nun zur Konfrontation zwischen den Truppen Ankaras und den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) kommt, hinter denen die Türkei die PKK-nahen kurdischen Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel - YPG) sieht. Nun steht Trump selbst unter Beschuß, weil er angeblich die syrischen Kurden verraten und damit die soldatische Ehre Amerikas besudelt hat.

Seit dem Auftakt der internationalen Offensive gegen die "Terrormiliz" Islamischer Staat (IS) im Jahr 2014 arbeiten die SDF mit US-Spezialstreitkräften zusammen. Gemeinsam haben sie in vier Jahren schwerster Kämpfe jenen Teil des "Kalifats", das im syrischen Nordosten lag, darunter auch die einstige IS-"Hauptstadt" Rakka, zurückerobert. Doch schon länger bereitet der Umstand, daß die YPG den längsten Abschnitt der syrischen Grenze zur Türkei kontrolliert, der Regierung Erdogans großes Unbehagen. Ungeachtet der Tatsache, daß in den letzten Jahren von Syrien keine nennenswerten PKK-Aktivitäten in der Türkei ausgegangen sind, war Ankara nicht bereit, das kurdische Autonomiegebiet dort zu akzeptieren, vermutlich allein deshalb, weil es für die türkischen Kurden Symbolcharakter hat. In den zurückliegenden Monaten hat Erdogan deshalb immer wieder mit einem militärischen Eingreifen der Türkei im syrischen Nordosten gedroht. Seit mehr als zwei Wochen setzt er nun die Drohung in die Tat um.

Wegen eines Telefonats mit Erdogan wenige Stunden vor Beginn der türkischen Offensive wird Trump vorgeworfen, grünes Licht für eine Operation gegeben zu haben, bei der Al-Kaida-nahe Islamisten die Drecksarbeit für Ankaras Truppen verrichten, die bereits Hunderte, meist kurdische Menschen das Leben gekostet und Hunderttausende zu Flüchtlingen gemacht hat. Das Repräsentantenhaus in Washington hat mit den Stimmen aller Demokraten und der meisten von Trumps republikanischen Parteikollegen die Rolle der USA in der neuen Krise verurteilt. Im Senat wäre eine ähnliche Resolution verabschiedet worden, hätte der libertäre Republikaner aus Kentucky, Rand Paul, der lieber heute als morgen alle US-Streitkräfte nach Hause holen und die amerikanischen Militärbasen im Übersee schließen möchte, die Abstimmung nicht eigenhändig blockiert.

Seit Tagen überbieten die Politiker und Medienkommentatoren einander, Trumps Syrien-Entscheidung als "strategischen Fehler" sowie als Abkehr Amerikas von seiner vermeintlichen Verantwortung für Frieden und Stabilität im Nahen Osten und der Welt zu kritisieren. Die Mitglieder des prominent besetzten Chors, darunter Ex-Außenministerin Hillary Clinton, der einflußreiche republikanische Senator Lindsey Graham aus South Carolina, die Redaktionen der New York Times und der Washington Post sowie die Generäle a. D. Ex-CIA-Chef David Petraeus, Ex-Verteidigungsminister James Mattis und Ex-SOCOM-Chef William McRaven, blenden dabei natürlich völlig aus, daß es die USA waren, die spätestens seit der Verkündung der Carter-Doktrin 1979 und der aktiven Parteinahme für den Irak im Krieg mit dem Iran ein Jahr später absolutes Chaos in der Region zwischen Mittelmeer und Persischem Golf verursacht und das Blut von Millionen von Menschen an den Händen haben.

Der Höhepunkt der heuchlerischen Bezichtigungskampagne gegen Trump fand bei einer Unterredung am 17. Oktober im Oval Office zwischen dem Präsidenten und den höchsten Kongreßvertretern statt. Als Nancy Pelosi dem Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte vor versammelter Runde vorwarf, mit einer mißratenen Syrien-Politik nicht nur der Türkei, dem "Regime" Baschar Al Assads und dem IS, sondern sogar dem Erzfeind Rußland zuzuarbeiten, platzte Trump der Kragen. Er warf Pelosi an den Kopf, eine ahnungslose "drittklassige Politikerin" zu sein, worauf die Kongreßabgeordnete aus Kalifornien das Gespräch auf der Stelle als "sinnlos" abbrach und die Pennsylvania Avenue hinauf Richtung Capitol Hill verschwand.

Am selben Tag konnten in Ankara US-Vizepräsident Mike Pence und US-Außenminister Mike Pompeo Erdogan zur Verkündung einer fünftägigen Feuerpause bewegen. In dieser Zeit sollten sich die SDF aus der unmittelbaren Grenzregion zurückziehen und die USA ihre rund 1000 Soldaten auf dem Landweg in eigene Stützpunkte verlegen, die gleich jenseits der syrischen Grenze in der westirakischen Provinz Anbar liegen und von wo aus man jederzeit Operationen gegen den IS in beiden Ländern durchführen könnte. Vereinzelten Scharmützeln zum Trotz halten bislang alle Beteiligten die befristete Feuerpause weitgehend ein. Angesichts der geopolitischen Umwälzungen haben Syriens Kurden unter Vermittlung Rußlands einen Deal mit der Regierung in Damaskus gemacht, der eine militärische Zusammenarbeit der SDF mit der Syrischen Arabischen Armee vorsieht. Deswegen rückt nun die SAA in viele Gebiete ein, welche die US-Streitkräfte verlassen. Ob jedoch die Türkei ihren Vorstoß beendet und die Kontrolle auf syrischer Seite der SAA überläßt, muß sich erst zeigen. Nächste Woche trifft Erdogan im russischen Sochi mit Wladimir Putin und dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani zusammen, um über weitere Schritte im sogenannten Astana-Prozeß zur Beilegung des Syrienkriegs zu beraten.

Die Verlogenheit der Trump-Kritiker in Washington wurde rasch offenbar, als der Präsident am 20. Oktober per Twitter mitteilte, die USA würden rund 200 Soldaten der Spezialstreitkräfte, die seit drei Jahren im Osten Syriens die größten Ölfelder des Landes besetzen, dort belassen. Lindsey Graham, der wenige Tage zuvor den Abzug der US-Streitkräfte aus Syrien als "größten Fehler der Präsidentschaft" Trumps bezeichnet hatte, meinte wenige Stunden später bei einem Auftritt im Fersehnachrichtensender Fox News plötzlich, sein "unkonventionell denkender" Parteifreund und Präsident habe sich die einmalige Chance verschafft, "die Sicherheit für die Türkei und die Kurden gleichermaßen zu garantieren". Überschwenglich lobte Graham Trumps Syrien-Plan, "den IS für immer auszuschalten ... die Ölfelder in den Händen unserer Verbündeten zu behalten und unseren Feinden vorzuenthalten" als "Wahnsinnsergebnis", sofern alles klappe. Auch die vermeintlich liberale New York Times, die sich seit Januar 2017 als Teil eines gegen Trump gerichteten "Widerstands" ausgibt, begrüßte in einem am 21. Oktober unter der Überschrift "Trump Said to Favor Leaving a Few Hundred Troops in Eastern Syria" erschienenen Artikel den Entschluß von Weißem Haus und Pentagon, die größten Ölfelder Syriens weiterhin besetzt zu halten und zu betreiben, als positiven "Nebeneffekt" der Fortsetzung der illegalen Stationierung amerikanischer Spezialstreitkräfte im Antiterrorkampf.

22. Oktober 2019


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