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NAHOST/1696: Jemen - imperiale Muskelspiele ... (SB)


Jemen - imperiale Muskelspiele ...


Im Jemen sind die im vergangenen Herbst aufgekommenen Hoffnungen auf eine Beendigung des Kriegs verflogen. Das Gegenteil ist der Fall. An mehreren Fronten wird seit Mitte Januar so heftig gekämpft, wie seit Beginn des Kriegs im März 2015 nicht mehr. Selbst aus der Hafenstadt Hudeida am Roten Meer, wo letztes Jahr unter internationaler Vermittlung ein örtlicher Waffenstillstand vereinbart werden konnte, um die Versorgung der Bevölkerung in der von den schiitischen Huthi-Rebellen beherrschten Nordwesthälfte des Landes mit dringend benötigten Medikamenten und Lebensmitteln halbwegs aufrechtzuerhalten, werden wieder Artillerieduelle gemeldet. Hauptinitiatoren der neuen Eskalation im Jemenkrieg scheinen die USA zu sein, die den Konflikt im Armenhaus Arabiens als Teil ihrer großen Konfrontation mit dem Iran betrachten.

Nach dem spektakulären Drohnen- und Raketenangriff der Huthis auf zwei der wichtigsten Ölanlagen Saudi-Arabiens im vergangenen September waren die Kämpfe im Jemen zwischen der Ansarullah-Bewegung der schiitischen Huthis und den Streitkräften des von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützten Interimspräsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi weitgehend abgeflaut. In Muskat, der Hauptstadt Omans, trafen Vertreter Riads und Hadis mit führenden Ansarullah-Ministern zusammen und diskutierten über Auswege aus dem Dauerkonflikt. Gleichzeitig ging die Zahl der saudischen Luftangriffe drastisch zurück, während sich die Huthis in Sachen Drohnen- und Raketenangriffen äußerste Zurückhaltung auferlegten.

Die Entspannungsphase nutzten die Hadi-Regierung und der separatistische Südliche Übergangsrat (Southern Transitional Council - STC), die in den Huthis den gemeinsamen Feind sehen, deren Anhänger sich jedoch im vergangenen Sommer wochenlange Kämpfe in und um Aden, dem provisorischen Sitz der Exil-Regierung Hadis, schwere Kämpfe geliefert hatten, um ihre Differenzen beizulegen. Am 9. Januar vereinbarten Hadi- und STC-Vertreter eine Truppenentflechtung sowie den Austausch von Kriegsgefangenen. Nur fünf Tage später starteten die Huthi-Gegner im Bezirk Nehm, 60 Kilometer nordöstlich von Sanaa, eine Blitzoffensive offenbar mit dem Ziel, die jemenitische Hauptstadt zu erobern und die Huthi-Administration dort ein für allemal zu stürzen.

Den Hintergrund dieser Aktion bildet der CIA-Drohnenangriff, mittels dessen die Regierung von US-Präsident Donald Trump am 3. Januar nahe dem Bagdader Flughafen Qassem Soleimani, den legendären Oberbefehlshaber der Al-Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden, liquidieren ließ. Laut Angaben des inzwischen zurückgetretenen irakischen Premierministers Adil Abd Al Mahdi war Soleimani in diplomatischer Mission unterwegs. Angeblich sollte er der Regierung in Bagdad, die als Vermittlerin agierte, die Antwort Teherans auf eine Friedensofferte Riads überbringen. Dazu sollte es leider niemals kommen. Angeblich haben die USA am selben Tag per Drohnenangriff versucht, im Jemen einen weiteren Al-Quds-Kommandeur namens Abdul Reza Shahlai umzubringen. Dies berichtete am 11. Januar die New York Times unter Verweis auf eigene Quellen im US-Sicherheitsapparat. Shahlai wird seitens CIA und State Department bezichtigt, die geheime militärische Zusammenarbeit des Irans mit den Huthis zu koordinieren. Ob diese Angabe stimmt, läßt sich nicht eindeutig sagen. Auch weiß niemand außer den Beteiligten selbst, ob sich Shahlai zum fraglichen Zeitpunkt überhaupt im Jemen aufhielt oder ob der angeblich fehlgeschlagene Drohnenangriff gegen seine Person überhaupt stattgefunden hat.

Jedenfalls dürfte es kein Zufall gewesen sein, daß eineinhalb Wochen nach der völkerrechtlich als Kriegsakt zu bewertenden Liquidierung Soleimanis und damit nach dem Aus für eine vorsichtige Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran die Anti-Huthi-Koalitionsstreitmacht im Jemen voll in die Offensive gegangen ist. Zum eigenen Leidwesen waren die Verteidiger von Sanaa auf den Sturmangriff bestens vorbereitet, haben ihn innerhalb von nur einem Tag in sein Gegenteil verkehrt und befinden sich seitdem selbst gewaltig auf dem Vormarsch. In zwei Gouvernements, Al Jauf und Marib, die nordöstlich respektive östlich von Sanaa liegen und wo zuletzt die Hadi-Regierung das Sagen hatte, stoßen die Huthis immer tiefer hinein. Marib ist für die Hadi-Leute von großer strategischer Bedeutung, lagern dort doch die wichtigsten Öl- und Gasreserven des Jemen.

Bei einem Raketenangriff der Huthis auf den Stützpunkt der Hadi-Truppen namens Al Nasr in Marib kamen am 18. Januar mehr als 100 Militärangehörige ums Leben. Rund 200 von ihnen wurden dabei schwer verletzt. Für die katastrophale militärische Entwicklung der letzten Wochen machen sich Hadi-Anhänger, südliche Separatisten und sunnitische Stammeskrieger gegenseitig verantwortlich. Von einer offenbar erfolgreichen Unterwanderung der Hadi-Truppe durch Huthi-Überläufer, die gezielt Mißtrauen und Zwietracht unter ihren Gegnern säen, wird auch berichtet. Mit dem bisherigen Verlauf der Militäroperation namens "Feste Struktur" gibt sich die Ansarullah-Bewegung absolut zufrieden. Nach eigenen Angaben haben die Huthis in den letzten Wochen in Marib und Al Jauf mehr als 2500 Quadratkilometer Staatsterritorium "befreit". Zudem wollen sie Drohnen- und Raketenangriffe gegen Ziele in Saudi-Arabien wiederaufgenommen haben. Zu denen am 29. Januar von Huthi-Militärsprecher Yahya Saria genannten, angeblich getroffenen Objekten gehörten eine Raffinerie von Saudi Aramco in der Stadt Jizan, die Flughäfen von Abha und Jizan sowie ein Militärstützpunkt bei Khamis Mushait, die allesamt nahe oder an der Küste des Roten Meers und innerhalb einer Reichweite von 200 Kilometer von der Nordgrenze des Jemen liegen.

3. Februar 2020


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