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BERICHT/160: Quo vadis NATO? - Ohne Not und Gründe (SB)


In der Denkfalle von "Terrorismus und Anti-Terrorismus"

I. und II. Plenum am 27. April 2013 in Bremen



Beim Feindbild des "Terroristen" hat man es mit einem ideologischen Konstrukt zu tun, das der ausschließlichen Deutungshoheit und Exekutivgewalt seiner Schöpfer unterliegt. Wenngleich die Aussage geläufig ist, daß der Befreiungskämpfer des einen der "Terrorist" des anderen sei, mangelt es doch selbst im Lager erklärter Gegner des sogenannten Antiterrorkriegs und geheimdienstlicher Allmachtsansprüche oftmals an einer konsequent durchgetragenen Kritik dieser Begrifflichkeit und Zugriffsgewalt, die sie vollständig zurückweist und mithin auch aus dem Repertoire eigenen Denkens und Gebrauchs streicht. Die bloße Umkehr der Anwendung, nämlich der Gegenseite vorzuwerfen, sie selbst bediene sich verwerflicherweise "terroristischer" Praktiken, singt zwangsläufig das Hohe Lied eines davon zu unterscheidenden und positiv konnotierten staatlichen oder überstaatlichen Gewaltmonopols, unter dessen Schutz und Schirm man sich sicher wähnt.

Das Konzept der "Terrors" als eine der wirkmächtigsten Waffen im Dienst legalistischer Bahnung und Rechtfertigung der Repression im Innern und Angriffskriegführung nach außen hat seine Wurzeln tief in den öffentlichen Diskurs und das Alltagsdenken der Bürger geschlagen. Es zielt darauf ab, dem Bezichtigten die Menschlichkeit zu nehmen und seine Interessen auf zutiefst bösartige Motive zu Lasten von Freiheit, Fortschritt und Humanität zurückzuführen. Auf diese Weise leugnet man fundamentale gesellschaftliche und zwischenstaatliche Widerspruchslagen, da man den Opfern des eigenen Übergriffs jegliche Gründe entschiedenen Widerstands abspricht. Folglich läßt sich "Terrorismus" nur angemessen analysieren und abschließend bewerten, sofern man zu seiner Genese im Kontext bestehender Herrschaftsverhältnisse in Gestalt kapitalistischer Verwertung und imperialistischer Expansion vordringt.

Wie die jüngere deutsche Geschichte lehrt, wurde der Angriff auf das Gewaltmonopol in Gestalt des bewaffneten Kampfs unter Anwendung des "Terror"begriffs kriminalisiert und damit aus der Sphäre der Klassenauseinandersetzung verdrängt. Die in diesem Zusammenhang zentrale Gleichsetzung von linkem und rechtem "Terror" zielt darauf ab, Klassenbegriff und Klassenkampf endgültig zu entsorgen, indem sogenannter Extremismus jeder Couleur für irrational erklärt und strengster Strafverfolgung unterworfen wird. Daß man diese vor allem gegen die Linke in Anschlag bringt, jedoch die Rechte auf scheinbar unerklärliche Weise verschont, bestätigt die einseitige Stoßrichtung des permanenten Ausnahmezustands. Neonazis weisen beträchtliche Schnittmengen mit den herrschenden Verhältnissen auf, die sie verschärfen, aber keineswegs grundlegend ändern wollen. Weder rühren sie am Kapitalverhältnis noch haben sie prinzipielle Einwände gegen den starken Staat, dessen glühende Protagonisten sie sind. Zudem sind Arbeitszwang, Sozialrassismus, Nationalchauvinismus und Fremdenfeindlichkeit längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, so daß das Alleinstellungsmerkmal der Rechten erheblich schrumpft.

Reaktionäres Gedankengut war in der Bundesrepublik, die im Grundgesetz den Fortbestand der Eigentumsverhältnisse und damit die ökonomische Basis der Gesellschaft fortschreibt, stets virulent. Rechtsgerichtete Bestrebungen blieben in mehr oder minder großem Umfang durchweg ein instrumentalisierbares Potential in Händen der Funktionseliten, die von ihnen durchsetzt waren oder sich ihrer zu unterschiedlichen Zwecken bedienten. Wie weit das reicht, dokumentiert die Mordserie des sogenannten Nationalsozialisten Untergrunds: Obgleich die rechte Szene vom Verfassungsschutz so tiefgreifend unterwandert war, daß kaum noch zwischen ihren eigenständigen Aktivitäten und den geheimdienstlich initiierten Manövern zu unterscheiden war, scheut die Aufklärung den naheliegenden Schluß, daß der NSU vom Inlandsgeheimdienst beobachtet und gesteuert wurde. Frühzeitig und durchgängig schworen Politik und Medien sich selbst und die Öffentlichkeit auf die Formel ein, es habe sich um eine eklatante Häufung von "Fehlern, Versäumnissen, Fehleinschätzungen" der verschiedenen Sicherheitsbehörden gehandelt, wie es nun auch im Abschlußbericht des NSU-Untersuchungsausschusses heißt. [1]

Die entscheidende Folgekonsequenz der zur Affäre verharmlosten Entfesselung rechtsgerichteter Mordtaten, denen weit über die Umtriebe des NSU hinaus seit 1990 in Deutschland fast 200 Menschen zum Opfer gefallen sind, ist der Ruf nach einem noch effektiveren Inlandsgeheimdienst und insbesondere einer engeren Zusammenarbeit aller Sicherheitskräfte. Dem Albtraum jedes Menschen, dem repressive Staatlichkeit ein Greuel ist, und insbesondere der Linken, deren potentiell gesellschaftsverändernden Intentionen der Generalangriff gilt, wird unter dem Beifall sämtlicher Protagonisten legitimierter Staatsgewalt nahezu widerstandslos der Weg bereitet.

Vor aller Augen wird das klandestine Wirken des Inlandsgeheimdienstes in den Rang eines gesellschaftlich präsenten und weithin akzeptierten Werkzeugs überwachungsstaatlicher Zugriffssicherung überführt. Es geht um nichts geringeres, als diffuses Unbehagen, konkrete Ängste und fundierte Kritik an einer Observierung privatester Sphären und intimster Ansprüche eigener Gesinnung aus dem Feld zu schlagen. Der negativ konnotierte Sammelbegriff "Schlapphüte", worunter man all jene ausforschenden Übergriffe subsumierte, die man intuitiv oder dezidiert ausgewiesen als feindliches Eindringen entschieden zurückwies, hat ausgedient. An seine Stelle tritt ein im Feuer allseits geforderter Effizienz geläuterter Behördenapparat, der Geheimdienstarbeit nicht nur wirksamer macht, sondern auch legalistisch als unanfechtbares Instrument zur präventiven Sicherung der herrschenden Verhältnisse festzurrt.

Der Konsens, wonach der Verfassungsschutz kläglich versagt habe, weil ihm in einer als unerklärlich mystifizierten Serie von Pleiten und Pannen das jahrelange Morden, Bomben und Rauben des NSU entgangen sei, schneidet apodiktisch alle anderen Bewertungen ab. Man fordert nichts weniger als einen effektiveren Einsatz der Sicherheitsbehörden, eine funktionierende Zusammenarbeit der Dienste samt Einbindung der Polizeien, eine griffige Informationsbeschaffung vor Ort, die flüssige Weiterleitung aller Erkenntnisse, eine bessere personelle Ausstattung der Dienststellen, eine fundierte Schulung des Personals - kurz ein entuferndes Arsenal sicherheitsstaatlicher Konzentration.

Unter den 49 Untersuchungsausschüssen in der Geschichte des Bundestags war der NSU-Ausschuß der erste, der von allen Fraktionen eingesetzt wurde. Gemeinsam legen Union, SPD, FDP, Grüne und Linke den 1357 Seiten starken Abschlußbericht vor, der 47 Empfehlungen ausspricht. Die SPD erhebt zusätzliche Forderungen und spricht unter anderem von "rassistisch geprägten Verdachts- und Vorurteilsstrukturen" in der Polizei. Dies wurde von der Gewerkschaft der Polizei (GDP) umgehend als "inakzeptable, wahlkampfgeschwängerte politische Schwafelei" zurückgewiesen. [2] Dieser auch von den Nebenklägern im Münchner NSU-Prozeß erhobene Vorwurf eines institutionellen Rassismus in den Behörden markiert die Grenze dessen, was der interfraktionelle Konsens der im Bundestag vertretenen Parteien einzuwenden wagt. So bleibt der Geheimdienst, dessen Zweck auf seiner Unkontrollierbarkeit gründet und nach uneingeschränkter Interessenwahrung der gesellschaftlichen Eliten strebt, in seiner Natur unbegriffen und geht gehärtet aus der Schmiede aktueller Turbulenzen hervor.


Verzicht auf Gesellschaftskritik produziert Verschwörungstheorien
Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Dieter Deiseroth
Foto: © 2013 by Schattenblick

Auf dem Kongreß "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" vom 26. bis 28. April 2013 in Bremen befaßte sich der Themenblock A mit "Terrorismus und Anti-Terrorismus". Einleitend ging Otto Jäckel als Moderator auf das als Jahrhundertprozeß apostrophierte Verfahren gegen zwei Polizisten in Luxemburg ein, die in Verdacht stehen, Mitte der 80er Jahre Anschläge verübt zu haben. Inzwischen hat diese Affäre, mit der sogar der Bruder des Großherzogs in Verbindung gebracht wird, zum Rücktritt der Regierung geführt. Ein Historiker und ehemaliger Mitarbeiter des Deutschen Bundestages namens Andreas Kramer, der sich als Zeuge zur Verfügung gestellt hat, könnte weitreichende Beweise beisteuern. Er berichtet, daß sein Vater als Offizier der Bundeswehr an diesen Anschlägen beteiligt gewesen sei und ihm die Verbindung zu NATO-Stäben und Nachrichtendiensten, darunter auch dem BND, anvertraut habe. Auch das Münchner Oktoberfestattentat gehe auf das Konto seines Vaters.

Dr. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, erörterte im ersten Plenum in einer Kurzeinführung die rechtliche Relevanz des Themas "Terrorismus und Anti-Terrorismus". Bemerkenswert ist nicht zuletzt die Schlußbemerkung seines Vortrags, die hier als Bewertung am Anfang stehen soll: Täglich verhungern 24.000 Menschen, das sind neun Millionen im Jahr. Das sei eine völlig andere Dimension als das Sterben durch "Terrorismus", welches dennoch in den Mittelpunkt aller Gefahrenabwehr gestellt werde. Die bedeutsamste Problematik aktueller Lebensverhältnisse im Weltmaßstab werde weitgehend ausgeblendet.

Bedauerlicherweise blieb dieser Hinweis einer der eher spärlichen Brückenschläge zwischen Einschätzungen aus juristischer Sicht und der Bewertung gesamtgesellschaftlicher Problemlagen auf dem Kongreß. Dieses Manko beschränkt den Versuch, Recht gewissermaßen aus sich selbst zu erklären, auf eine zweifellos dezidierte Expertise, die aber zwangsläufig an entscheidender Stelle abbricht: Recht bedarf der Gewalt, es durchzusetzen, und ist deshalb untrennbar mit ihr verschränkt, weshalb es nur im Kontext bestehender Herrschaftsverhältnisse angemessen analysiert werden kann. Das gilt um so mehr in Zeitläuften wie diesen, in denen Angriffskrieg, Massaker, Verschleppung, Folter und viele weitere Grausamkeiten im Namen der Menschenrechte vorgetragen werden. Man kann dies mit juristischen Mitteln anfechten, sollte sich aber der Grundsatzfrage nicht verschließen, inwiefern der Streit um Recht und Unrecht einer Legalisierung wachsender Repression den Boden bereiten könnte, indem er die Akzeptanz jeweils geltender Rechtsnormen vertieft.

Der Referent wies den "Terrorismus" als zweite wichtige Legitimationsquelle der NATO neben den Menschenrechten aus. Er fungiere seit dem Gipfel in Rom 1991 als transatlantisches Bindeglied für die USA und befördere die Auflösung der Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die Erweiterung des Bündnisses durch neue Mitglieder, die Eindämmung Rußlands, Interventionen außerhalb des NATO-Gebietes sowie die Bekämpfung von "Schurkenstaaten" mit dem Ziel des Systemwechsels. Dr. Deiseroth streifte verschiedene Grundtypen und Merkmale des "Terrorismus", wobei er es nicht versäumte, zumindest anzureißen, wie umstritten die Frage nach den Akteuren sei, die von dieser Definition erfaßt werden.

Ausführlicher befaßte er sich mit den rechtlichen Fragen unilateraler Kriegseinsätze der USA und problematisierte dabei unter anderem die militärische Reaktion auf den Straftatbestand 9/11 und die Zusammenarbeit mit der Nordallianz bei der Besetzung Afghanistans. Es habe zahllose Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht gegeben: Gewaltsame Verschleppung, unbegrenzte Internierung, Folter und Tötung beim Verhör, Haft ohne Rechtsschutz, gezielte Tötung und vieles mehr. Zugleich seien Aufklärungsbemühungen des Europarats und Europaparlaments mißachtet und nahezu alle Anfragen aus nationalen Parlamenten zu diesem Thema abgeblockt worden, so daß man von einem weitgehenden Ausschluß der kritischen Öffentlichkeit sprechen könne.

Beim Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Daniele Ganser
Foto: © 2013 by Schattenblick

Das zweite Plenum war dem Thema "Erfahrungen mit GLADIO und der Strategie der Spannungen in NATO-Staaten" gewidmet. Dr. Daniele Ganser vom Swiss Institute for Peace and Energy Research befaßte sich in seinem Impulsvortrag mit Geheimarmeen, die es in allen Ländern westlich des eisernen Vorhangs gegeben habe. Ihre Doppelfunktion bestand darin, einerseits im Falle einer sowjetischen Invasion eine Guerilla zu bilden und andererseits Anschläge zu verüben, um Angst zu schüren, bestimmte Gruppen zu bezichtigen und gewünschte politische Veränderungen zu befördern. In Frankreich wurden demnach Anschläge auf Präsident De Gaulle geplant, als er einen Friedensplan für Algerien einleitete. In Italien wollte man die starke KP von der Regierung fernhalten, die Kommunisten schwächen sowie gegen Streiks und Aufstände intervenieren. Diverse Anschläge seien unter staatlicher Beteiligung verübt worden, wofür sich Rechtsextremisten besonders leicht rekrutieren ließen. 1990 bestätigte der italienische Premierminister Andreotti, daß es im Land eine Geheimarmee namens GLADIO gebe, die von CIA und MI6 aufgebaut worden sei und über die NATO koordiniert werde.

In Deutschland seien Ansätze einer Aufklärung abgeblockt worden, da Geheimarmeen unter allen Regierungen existiert hätten. Nach dem Anschlag auf das Münchner Oktoberfest 1980 mit dreizehn Toten wurde der dabei getötete Neonazi Gundolf Köhler als Einzeltäter identifiziert. Später wurde jedoch bekannt, daß er der Wehrsportgruppe Hoffmann angehörte. Diese hatte Verbindungen zu einem Heinz Lemke, der Sprengstoffexperte war und Zugang zu diversen Waffen hatte. Daß damit eine Verbindung zur Geheimarmee bestand, ist Ganser zufolge vorerst seine Arbeitsthese. Die Aussage Andreas Kramers vor dem Gericht in Luxemburg, sein Vater Johannes Kramer habe als Agent von Bundeswehr und BND 50 geheime Waffenlager in Deutschland überwacht und Köhler angeworben, könnte die Aufklärung einen großen Schritt voranbringen.

Ob es in Deutschland Staats"terror" gibt, sei nicht bewiesen, wie der Referent unterstrich. Während diese Diskussion in Europa zwar schwierig, aber zumindest möglich sei, beiße man damit in den USA auf Granit. Der 11. September bleibe das schwierigste Thema, zumal es nach wie vor emotional aufgeladen sei. Der Referent ging in diesem Zusammenhang auf den ungeklärten Einsturz des dritten Gebäudes neben den Zwillingstürmen ein, wobei er eine Reihe von Widersprüchen und Ungereimtheiten nannte.

Grundsätzliches Manko einer solchen Auseinandersetzung mit diesem Themenkomplex bleibt der auch bei Dr. Ganser fehlende Rückbezug auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und staatlichen Interessen. Geheimarmeen und andere geheimdienstlich geschaffene und gesteuerte Organisationen bekommen durch diese Art der Diskussion ein Eigenleben, dessen Einfluß und Grenzen nicht mehr auszuloten sind. Damit droht an die Stelle einer fundierten Gesellschaftsanalyse ein auf gewisse Hintermänner und Geheimzirkel reduziertes Erklärungsmodell zu treten, das bestimmte Strategien der Herrschaftssicherung unzulässig isoliert, überbewertet und der nicht grundsätzlich in Frage gestellten Ordnung gegenüberstellt.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Regine Igel
Foto: © 2013 by Schattenblick

Womöglich noch deutlicher wurden die Konsequenzen dieser Herangehensweise im darauffolgenden Vortrag der Publizistin Regine Igel, die über die Wurzeln des deutschen und italienischen "Terrorismus" im Kalten Krieg sprach. Wie ihre Recherchen zeigten, hätten die östlichen Geheimdienste den westlichen in nichts nachgestanden. Am Anschlag der Roten Brigaden auf Aldo Moro 1978 in Rom seien westliche und östliche Agenten beteiligt gewesen, da keiner der beiden damaligen Blöcke einen eigenständigen dritten Weg Italiens dulden wollte. Die Rotbrigadisten seien paramilitärisch in der Tschechoslowakei ausgebildet worden, für die westdeutschen "Terroristen" sei die DDR zum Land vielfältiger Hilfestellungen geworden. Stasi-Akten belegten weitreichende Formen der Kooperation auch mit Palästinensern, woraus Regine Igel folgert, daß dortige "Terrorismusführer" Agenten der Stasi gewesen seien.

Erstaunlich, so die Referentin, wie gerade in den drei postfaschistischen Ländern Deutschland, Japan und Italien der große Bogen von der Studentenbewegung hin zu maoistischen und "terroristischen" Gruppen sehr ähnlich verlaufen sei. "Internationale Terroristen" seien von der Stasi bezahlt worden und konnten sich in der DDR der Strafverfolgung in den Ländern, in denen sie Bombenanschläge begangen hatten, entziehen. Auch die sogenannten "terrorismus"müden zehn RAF-Aussteiger in der DDR hätten offenbar für die Stasi gearbeitet. Selbst Helmut Schmidt habe einmal durchblicken lassen, daß "linksterroristische" Gruppen von Verfassungsschutz und BND unterwandert gewesen seien.

Die unreflektierte Verwendung des "Terror"begriffs entufert so zu einer Bezichtigung militanter Fraktionen der Linken, die zu einem bloßen Produkt und Werkzeug östlicher und westlicher Geheimdienste erklärt werden. Damit findet sich die Pseudokritik genau dort ein, wo das "Terror"verdikt seinen Ausgangspunkt nimmt: Im Schoß einer unanfechtbaren Staatsräson, die entschiedene Kritik und Widerstand diskreditiert und kriminalisiert.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Thomas Henne
Foto: © 2013 by Schattenblick

Dr. Thomas Henne, Privatdozent an der Universität Frankfurt/Main, ließ abschließend anhand seines Themas "Erfahrungen mit GLADIO in der BR Deutschland und die Justiz" einen gewissen Dissens zu den beiden vorangegangenen Ausführungen anklingen. Seines Erachtens greife die Kontrastierung von Steuerzahler und Staats"terrorismus" viel zu kurz, wie auch die Wissensanforderungen von Juristen und Historikern unterschiedlich seien, was den Umgang mit Quellen betrifft. Von einer Geheimarmee zu sprechen, führe hierzulande nicht sonderlich weit, so Dr. Henne, der auf die Tradition der Freikorps aus der Weimarer Zeit einging, die sich in der BRD nach 1945 fortsetzte. So habe die Justiz in erheblichen Teilen aus ehemaligen NSDAP-Mitgliedern bestanden, die über gute Netzwerke verfügten. Antikommunismus funktionierte als gemeinsame weltanschauliche Grundlage weiterhin ausgezeichnet. Eine Aufklärung von GLADIO oder der Technischen Dienste war daher nicht zu erwarten.

Zudem habe es wie schon zur NS-Zeit auch in der BRD keinen einheitlich hierarchisch strukturierten Apparat, sondern vielmehr ein ungeregeltes Neben- und Gegeneinander miteinander konkurrierender Organisationen gegeben. Diese Professionseliten konnten ihre Arbeit fortsetzen, so daß es bei der Institutionenkonkurrenz von Armeen, Geheimdiensten und Polizeien blieb. Vor dem Oktoberfestattentat habe es nur geringe paramilitärische Strukturen gegeben, weshalb die gebotene Aufmerksamkeit hinsichtlich solcher Strukturen nicht in Aufgeregtheit münden sollte, wie es der Referent ausdrückte. Demgegenüber sei die offizielle Struktur des Verfassungsschutzes wesentlich erfolgreicher gewesen, wenn man an die Kommunistenverfolgung, die Berufsverbote oder zuletzt den NSU denke.

Es sei die Aufgabe klandestiner Strukuren, Unwahrheit zu produzieren, was die Beschäftigung mit ihnen für Historiker am allerschwierigsten mache. Diese seien auf eine quellengestützte Plausibilität angewiesen und könnten im Unterschied zu Journalisten mit Unwissenheit leben. Einzelne Forscher brächten gelegentlich etwas Licht in die Sache und stießen dabei oft auf ganz banale Vorgänge, was wohl dazu führe, daß sie der Verführung nicht so leicht erlägen, spektakuläre Organisationen zu vermuten, die angeblich hinter allem stehen.

Damit hatte Dr. Henne die Drift zumindest gebremst, limitierte Erklärungsmodelle zu favorisieren und diese zu alles erklärenden Konstruktionen entufern zu lassen. Den "Terror"begriff mit der Wurzel ausgerissen hatte jedoch auch er nicht, was dazu führte, daß dieser weiterhin wie ein Damoklesschwert über dem Nacken der Kongreßteilnehmerinnen und -teilnehmer schwebte, als wolle er sie unausgesetzt daran erinnern, daß geduldete Debattierlust endet, wo der Streit gegen die Normalität von Staat und Gesellschaft beginnt.


Fußnoten:

[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-untersuchungsausschuss-was-sich-aendern-muss-1.1752636-2

[2] http://www.n-tv.de/politik/NSU-Ausschuss-Ermittlungen-ein-Desaster-article11215446.html

zur Relevanz und Instrumentalisierung des Terrorismusbegriffs siehe auch
REZENSION/314: Ted Honderich - Terrorismus für Humanität (Politik) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar314.html


Bisherige Beiträge zum Kongreß "Quo vadis NATO?" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/148: Quo vadis NATO? - sowohl als auch ... (SB)
BERICHT/149: Quo vadis NATO? - gedehntes Recht und Kriege (SB)
BERICHT/150: Quo vadis NATO ... Schluß damit! (SB)
BERICHT/152: Quo vadis NATO? - Wandel der Feindschaften? (SB)
BERICHT/153: Quo vadis NATO? - Abgründe der Kriegsrechtfertigung(SB)
BERICHT/154: Quo vadis NATO? - Das Auge der Wahrheit (SB)
BERICHT/156: Quo vadis NATO? - vorbei am Grundgesetz (SB)
BERICHT/157: Quo vadis NATO? - Die Drohnenfront (SB)
BERICHT/158: Quo vadis NATO? - recht und billig (SB)
BERICHT/159: Quo vadis NATO? - Der Film ruft zu den Fahnen (SB)
INTERVIEW/166: Quo vadis NATO? - Handgemacht und kompliziert (SB)
INTERVIEW/167: Quo vadis NATO? - Zügel für den Kriegseinsatz - Gespräch mit Otto Jäckel (SB)
INTERVIEW/168: Quo vadis NATO? - Interventionsgefahren (SB)
INTERVIEW/169: Quo vadis NATO? - Desaster der Mittel - Hans-Christof Graf von Sponeck im Gespräch (SB)
INTERVIEW/170: Quo vadis NATO? - Was keiner wissen will - Bernhard Docke im Gespräch (SB)
INTERVIEW/171: Quo vadis NATO? - Hegemonialschaft USA - Nikolay V. Korchunov im Gespräch (SB)
INTERVIEW/172: Quo vadis NATO? - Der Friedensstandpunkt - Gespräch mit Eugen Drewermann (SB)
INTERVIEW/174: Quo vadis NATO? - Hegemonialmißbrauch, Hauke Ritz im Gespräch (SB)
INTERVIEW/176: Quo vadis NATO? - Empire exklusiv - Bill Bowring im Gespräch (SB)
INTERVIEW/177: Quo vadis NATO? - Aufklärungsmangel und Demokratiemüdigkeit - Jörg Becker im Gespräch (SB)
INTERVIEW/178: Quo vadis NATO? - Recht bleibt Recht - Karim Popal im Gespräch (SB)
INTERVIEW/179: Quo vadis NATO? - Kriegsvorwände, Tobias Pflüger im Gespräch (SB)
INTERVIEW/180: Quo vadis NATO? - Trümmerrecht und Pyrrhussiege, Prof. Dr. Werner Ruf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/181: Quo vadis NATO? - Cyberwar, Wissenschaftsethik, Chancen, Prof. Dr. Hans-Jörg Kreowski im Gespräch (SB)
INTERVIEW/183: Quo vadis NATO? - Wege zum Anstandsmilitär, Dr. Thomas Henne im Gespräch (SB)
INTERVIEW/184: Quo vadis NATO? - Blinde Kriege, Volker Eick im Gespräch (SB)
INTERVIEW/185: Quo vadis NATO? - Involvenzen, Konsequenzen, Bernhard Trautvetter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/186: Quo vadis NATO? - Zwirn für die Kettenhunde, Helga Wullweber im Gespräch (SB)
INTERVIEW/187: Quo vadis NATO? - Glaubhafte Gegenwehr, Peter Bürger im Gespräch (SB)

24. August 2013