Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

BERICHT/176: Herrschaft in der Krise - Krieg der Janusköpfe (SB)


"Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus"

Veranstaltung mit Freerk Huisken am 14. November 2013 an der Universität Hamburg



Am 3. Dezember 2013 reichte der Bundesrat einen Antrag auf Verbot der NPD nach Artikel 21 des Grundgesetzes beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Antragsteller stützen sich auf den fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Charakter der Partei, auf Verbindungen zu militanten Kameradschaften und zum NSU wie auf eine weitreichende Identität des politischen Programms der NPD mit der Ideologie der NSDAP. Dabei ist die zentrale Norm zur Durchsetzung eines Parteiverbots seit dem Verbotsverfahren gegen die KPD 1956 enger gefaßt, als daß der bloße Nachweis des Propagierens verfassungswidriger Inhalte zur Durchsetzung dieser Maßnahme ausreichte:

"Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkennt; es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen."

Ob man einer von V-Leuten des Staatschutzes durchsetzten Partei, die sich derzeit in aller Öffentlichkeit zerlegt, derartiges wird nachweisen können, ist keineswegs gesichert. Doch auch die Absicht einer Restauration des NS-Staates wird von den Strategen der NPD bestritten, um ihren Gegnern keine Munition zu liefern, die die eigene Existenz als Partei beenden könnte. Schlußendlich steht die Glaubwürdigkeit der Antragsteller selbst zur Disposition, wenn man in ihren Reihen lupenreine Ausländerfeinde und Nationalisten findet, deren Forderungen große Schnittmengen mit der Programmatik der NPD aufweisen.

Die Nähe der NPD zum NSU wirkt ebenfalls als Verbotsgrund wenig überzeugend. So legt die Untersuchung bisher bekanntgewordener Aktivitäten geheimdienstlicher und staatsschützerischer Agenturen nahe, daß der Staat nicht nur im Fall der NPD, sondern auch des NSU zumindest insofern mit von der Partie war, daß man von keinem ausschließlich neofaschistischen Phänomen sprechen kann. In gewisser Weise wiederholt sich hier die Geschichte des Verbotsantrags 2001, der an einer nicht mehr auseinanderzudividierenden Einflußnahme in staatlichem Auftrag handelnder Parteimitglieder scheiterte. Wenn ein Staat nur in den Verdacht gerät zu produzieren, was er als Anlaß für repressive Maßnahmen nimmt, dann ist es um seine demokratische Glaubwürdigkeit schlecht bestellt. Wenn V-Leute ihre Honorare in den Aufbau der Vorläuferorganisation Thüringischer Heimatschutz stecken, wenn zahlreiche Informanten im Umfeld des NSU die Verstrickung ihrer V-Leute-Führer in dieses Milieu belegen, wenn Akten kurz nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie im großen Stil vernichtet werden und sich staatliche Beamte selbst der Inkompetenz bezichtigen, weil es sonst keine Erklärung für die angeblichen Pannen im Umgang mit dem Rechtsterrorismus gäbe, dann fällt es schwer, allein der NPD die Verantwortung für die relative Sicherheit zuzuschanzen, aus der der NSU heraus jahrelang Anschläge gegen nichtdeutsche Mitmenschen begehen konnte.

Mit der Ernennung von Klaus-Dieter Fritsche zum Staatssekretär für Geheimdienste der neuen Bundesregierung wird ein Beamter zum wichtigsten Sachwalter der deutschen Geheimexekutive, der bei den Ermittlungen der NSU-Morde eher auf die Bremse getreten hat. Es sieht ganz danach aus, als ob die für die Bundesrepublik peinliche Verstrickung staatlicher Stellen in die NSU-Affäre vollends ausgesessen und dem Vergessen überantwortet werden soll. Daß dies im objektiven Interesse deutscher Regierungspolitik liegt, ist nicht nur dem Ansehensverlust geschuldet, den der laxe Umgang des Staates mit die Restauration des NS-Staates anstrebenden neonazistischen Gruppen gezeitigt hat. Die strikte Distanzierung von neofaschistischer Ideologie ist schon deshalb erforderlich, weil im Kapitalismus menschenverachtende Praktiken aller Art gang und gäbe sind. Für die vielen Menschen, die täglich verhungern, an den Auswirkungen imperialistischer Kriege sterben oder der Unterversorgung mit medizinischen und anderen Formen der Daseinsvorsorge erliegen, ist es nicht mehr wichtig, ob sie ihren Tod ideologischen Gründen zu verdanken haben oder sie als Kollateralschäden der marktwirtschaftlichen Organisation des Welthandels ausgewiesen werden.

Wo die sozialrassistischen Ansichten eines Thilo Sarrazin bis in die Linkspartei hinein gesellschaftlich hegemonial werden, wo der angeblich positive Patriotismus zur Fußball-WM begeistert als vermeintliche Befreiung von den Schatten der Vergangenheit aufgenommen wird und eine neurechte Partei wie die AfD auf Anhieb fast fünf Prozent Wählerstimmen erhält, bedarf es keiner aufwendigen Recherche, um strukturelle Übereinstimmungen zwischen den fremdenfeindlichen Argumentationen bürgerlicher Parteien und denjenigen sogenannter Rechtsextremisten festzustellen. Die Extremismusdoktrin orientiert sich nicht umsonst an einer politisch unbestimmt bleibenden Mitte, um davon abweichende Tendenzen sanktionieren zu können, ohne dies in letzter Konsequenz qualitativ begründen zu müssen.

Was die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen staatstragender und neofaschistischer Ideologie für die antifaschistische Linke bedeuten und woher die Schwierigkeiten rühren, die bürgerliche Demokraten bei der Kritik von Neonazis haben können, war Gegenstand eines Vortrags, der im Rahmen der Hamburger Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" an der Universität Hamburg stattfand. Als Referent eingeladen vom Sozialforum Eimsbüttel warf der emeritierte Professor Dr. Freerk Huisken die Frage "Was verbindet die demokratischen Anhänger des bürgerlichen Staates mit den Faschisten?" auf und brachte "Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus" in Zusammenhang mit einer Schwäche der Linken, die nicht zuletzt Versäumnissen und Kurzschlüssen eigener Theoriebildung geschuldet ist.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Freerk Huisken
Foto: © 2013 by Schattenblick

Positionsbestimmung im Treibsand ideologischer Frontverläufe

Zum Einstieg wählte der Referent die nur scheinbar paradoxe Situation, daß viele Bürger, die gegen die Einrichtung von Asylbewerberheimen protestieren, im gleichen Atemzug behaupten, mit der NPD nichts am Hut zu haben. Während sie von der Politik verlangen, in der Bundesrepublik Schutz und Hilfe suchenden Menschen das Bleiberecht zu verweigern, wollen sie sich dennoch nicht mit Neonazis gemein machen, da diese zur Diskreditierung Deutschlands als Hort des Nazismus beitragen. Wenn sich also rechtsgewirkte deutsche Patrioten im Namen des Patriotismus von den neuen Nazis distanzieren, während sie sich in der ausländerfeindlichen Sache einig sind, dann grenzen sie sich vom Faschismus ab und unterstützen gleichzeitig sein ideologisches Fundament.

Das gilt auch für bürgerliche Parteien, die aus Angriffen auf Asylbewerberheime die Konsequenz ziehen, den grundrechtlichen Asylanspruch einzuschränken oder das europäische Grenzregime mit paramilitärischen Gewaltorganen wie Frontex oder dem zeitgleich mit der Lampedusa-Katastrophe eingeführten Überwachungssystem Eurosur aufzurüsten. Auch die Stigmatisierung hilfesuchender Menschen als Armuts- oder Wirtschaftsflüchtlinge fällt unter den Titel einer Flüchtlingsabwehr, die menschenrechtliche Verpflichtungen in ökonomisch selektive Zugangspraktiken verwandelt. Der Vorschlag, unter den Boat People, die an europäischen Stränden anlanden, diejenigen zu identifizieren, die man aufgrund ihrer Ausbildung und Jugend für die eigene Wirtschaft nutzen könnte, läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. So wird, wie es Huisken ausdrückt, die Feindseligkeit domestiziert und bei den demokratischen Parteien eingemeindet, um die NPD nicht vom fremdenfeindlichen Ressentiment profitieren zu lassen.

Da der Staat die Bevölkerung als Arbeitsressource für kapitalistisches Wachstum wie auch als Soldaten im Einsatz für den nationalen Hegemoniezuwachs und die Durchsetzung der Marktwirtschaft in aller Welt benötigt, sind Patriotismus und Nationalismus Produktivfaktoren zur Sicherung seines Bestandes. Wie absurd das Gefühl der Zugehörigkeit zum nationalen Kollektiv auch immer sein mag, weil qua Geburt und Rechtsakt über sie entschieden wird und die jeweiligen Klassengegensätze im Nationalethos konserviert werden, um als Wachstumsfaktor ausbeutbar zu sein, so sorgt schon die systematisch erzeugte Empathie dieser Zugehörigkeit für ein Ausmaß an irrationaler Identifikation, die bekanntermaßen so weit gehen kann, daß sich junge Menschen mit Vaterlandsbegeisterung in Schlachten stürzen, die für Interessen ausgefochten werden, die nicht die ihren sein können.

Was am eigenmächtigen Angriff auf Migrantinnen und Migranten vor allem beanstandet wird, ist die Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols. Allein in dessen Namen und Funktion sollen Abschiebungen erfolgen, Asylsuchende eingesperrt und potentiell tödliche Grenzsicherungen errichtet werden. Die feindselige Gesinnung der Bürger ist operatives Kapital in den Händen der Konsensmanager, sie wird in den Redaktionen der Konzernpresse befeuert und von den PR-Agenturen der Arbeitsgesellschaft gegen vermeintlich unproduktive Menschen in Stellung gebracht. Der Vollzug ihrer Praxis steht jedoch ausschließlich dem Staat zu, und Gruppen wie Parteien, die den direkten Weg der Ermächtigung gehen wollen, bedrohen damit die Institutionen einer Gewaltenteilung, die im ungeteilten Interesse von Staat und Kapital agieren.

Im Falle der Neonazis wird diese Bedrohung vor allem an signifikanten Erkennungsmerkmalen der Kleidung, des Habitus und der Sprachcodes festgemacht. Was der Referent als klassische Steckbriefpolitik kritisiert, bedient sich einer Stigmatisierung, anhand derer, wenn es sich um vermeintlich typische Merkmale der Physiognomie oder des sozialen Hintergrunds handelt, durchaus biologistische oder sozialchauvinistische Stereotypien reproduziert werden können. Auch das trägt zur Verbotspraxis eines demokratischen Antifaschismus bei, dessen Parteien an die Stelle einer fundierten Kritik am Neofaschismus die Ausschaltung einer mißliebigen Konkurrenz stellen.

Huisken belegt anhand von Zitaten aus parteinternem Schulungsmaterial der NPD, daß man dort aus dem gescheiterten Verbotsverfahren wie der geringen Attraktivität des Hitlerfaschismus auch bei nationalistischen Bürgern gelernt hat. Die NPD als Neuausgabe der NSDAP darzustellen, um sie verbieten zu können, ist auch mit dem Problem konfrontiert, daß die Bundesrepublik in ihrer Rolle als europäische Führungsnation unter ganz anderen Bedingungen agiert als die Weimarer Republik. Große Teile der Bevölkerung waren in Anbetracht des Versailler Vertrags auf revanchistische Bestrebungen ansprechbar, die Weltwirtschaftskrise hatte weit verheerendere soziale Folgen als die heutige Krise des Kapitals, in der sich viele Bundesbürger noch für Krisengewinnler halten, und die organisierte Arbeiterschaft war weit wehrhafter als das atomisierte Marktsubjekt der ausdifferenzierten Arbeitsgesellschaft. Der NPD die Vorbereitung von antisemitischen Pogromen, der Einrichtung von Vernichtungslagern für Ausländer oder der massenhaften Euthanasie nachzuweisen fällt nicht nur deshalb schwer, weil sich die Partei tarnt, sondern weil sie ihre faschistische Politik aktuellen Bedingungen angepaßt hat, so daß sie sich nicht eins zu eins mit Praxis und Programmatik der NS-Herrschaft gleichsetzen läßt.

Auf der anderen Seite, so die These des Referenten, könnte ein direkter Vergleich des NPD-Programms mit den Programmen der Parteien, aus denen die Antragsteller hervorgehen, letzteren auf die Füße fallen. Sie würden letztlich mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihrer Politik und der NPD entdecken als für deren Absicht, die Bundesrepublik zu beseitigen. Wenn die NPD etwa "Rückkehrpflicht statt Bleiberecht" propagiert, dann sehen sich die herrschenden Parteien genötigt, sich selbst von einem Bleiberecht zu distanzieren, das sie nur einem kleinen Teil der Asylbewerber und Migranten zubilligen wollen. Die Einbürgerung von Nichtdeutschen sei nur im Ausnahmefall gesetzlich vorgesehen, wird beschwichtigend in der Kontinuität einer Fremdenfeindlichkeit ergänzt, deren administrative und exekutive Folgen nicht erst in jüngster Zeit mit aller Härte durchgesetzt werden.

Laut NPD hat jeder Deutsche das Recht und die Pflicht zu arbeiten. Dem entspricht die demokratische Arbeitsgesellschaft, indem sie das Diktat der Arbeit mit der Arbeitsverpflichtung nach Hartz IV vollzieht. In beiden Fällen besteht das Ärgernis in den Kosten, die Arbeitslose erzeugen, und deren negativen Auswirkungen auf das nationale Gesamtprodukt. Nation und Staat sollen damit nicht belastet werden, also wird Erwerbsarbeit ohne jeden Bezug auf den erreichten Stand der Produktivität zum Imperativ kapitalistischer Vergesellschaftung erhoben. Die Freiheit, die Ware Arbeitskraft dem Meistbietenden zu verkaufen, ist in jedem Fall mit dem Zwang gepanzert, in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft nur auf diese Weise überleben zu können. Wer ihr nicht auf eine Weise entspricht, die das Siegel des produktiven Beitrags zum gesamtgesellschaftlichen Produkt verdient, wird zudem ausgegrenzt und diskriminiert, wie die Hetze der CSU gegen angebliche Armutsmigranten aus Bulgarien und Rumänien belegt.

Wenn demgegenüber Kapitaleigner als die Elite der Leistungsträger hofiert werden, dann kritisiert die NPD zwar das Spekulationskapital, nicht jedoch einen Kapitalismus, der zusehends feudale Züge aufweist, weil er den Wert der Arbeit auf die bloße Überlebensnot eindampft und die Verfügungsgewalt des Kapitals über die Lohnarbeiterklasse absolut setzt. Die NPD suggeriert, mit einem solchen Kapitalismus ließe sich eine Basis nationaler Wertschöpfung schaffen, auf der jeder sein Auskommen hätte, wenn nur volksfremde Elemente davon ausgeschlossen würden. In beiden Fällen wird individuelle Unproduktivität als Schädigung des staatlichen Gemeinwesens angeprangert. Läßt sich die Rentabilität der Arbeit, die den nationalen Reichtum am Weltmarkt erwirtschaftet, nicht anders herstellen, dann wird auch im demokratischen Liberalismus darauf gesetzt, ihre Kosten über den ökonomischen Druck hinaus durch mehr oder minder offenen Zwang zu senken.

Nicht das Schicksal der Verarmten und Verelendeten ist von Belang, sondern die Last, mit der sie den Erfolg von Nation und Staat mindern. Dementsprechend unglaubwürdig ist eine rechte Globalisierungkritik, die Einfluß nichtdeutscher Kapitalakteure zurückdrängen will, ohne die Nationenkonkurrenz als solche zu bestreiten. Solange die in der Bundesrepublik agierenden Kapitale die per Agenda 2010 erwirkte Politik der Lohnsenkung als Erfolgsmodell im internationalen Vergleich verkaufen können, wird eine NPD, die aus nationalistischen Motiven gegen Standortpolitik und ausländische Investitionen polemisiert, erfolglos bleiben. Das gilt umso mehr, als die Zurichtung der Menschen auf die Optimierung ihrer Arbeitskraft als Erfolg einer Marktwirtschaft gefeiert wird, der der Mensch ausschließlicher Faktor ihrer betriebswirtschaftlichen Bilanzierung ist. Den zerstörerischen Charakter kapitalistischer Vergesellschaftung aufzudecken, bedarf mithin einer Analyse der Produktionsverhältnisse, die sich nicht von den Eigentumsansprüchen des herbeihalluzinierten nationalen Kollektivs blind machen läßt, die eben nicht nur von der NPD, sondern auch den demokratischen Parteien erhoben werden.

Freerk Huisken im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Seziert die antifaschistische Verkennung bürgerlicher Nationalmoral
Foto: © 2013 by Schattenblick

Da die demokratischen Parteien, so der Referent, beim Versuch, der NPD aggressive Feindlichkeit zur Abschaffung der BRD nachzuweisen, lediglich auf ihre eigenen nationalistischen Zwecke stoßen, anstatt einander vollständig ausschließende Positionen vorweisen zu können, kommt auch eine inhaltliche Gesinnungskritik des Neofaschismus nicht in Frage. Was fehlt, ist die Kritik an einer Staatspraxis, per Gesetz unliebsame politische Auffassungen aus dem Verkehr zu ziehen, was in der Bundesrepublik der 1950er Jahre bereits an FDJ und KPD mit schwerwiegenden, bis zur Inhaftierung reichenden Folgen für die Betroffenen vorexerziert wurde. Im Resultat wurden genau diejenigen Personen abgestraft, die bereits unter dem NS-Faschismus am meisten zu leiden hatten.

Dies nicht zum Anlaß antifaschistischer Kritik an der herrschenden Repressionspraxis zu nehmen, die gegen Linke immer mit der größten Intensität in Stellung gebracht wird, könnte entschiedenen Antifaschisten selbst auf die Füße fallen. Die Neigung, den Kampf gegen Neonazis etwa anhand der Aussage, daß Faschismus keine Meinung, sondern ein Verbrechen sei, an die Staatsgewalt zu delegieren, ersetzt die Analyse des Zusammenhangs von Kapitalismus und Faschismus durch ein moralisches Urteil, zu dessen Vollstreckung auf den kapitalistischen Staat gesetzt wird. Anstelle einer inhaltlich zu bestimmenden Position, die über die Immanenz des herrschenden Legalismus hinausblickt, wird dieser auf eine Weise reproduziert, die auch seine systemischen Grundlagen affirmiert.

Auch der Kampf gegen national befreite Zonen, so notwendig er für die Lebenssituation vieler Nichtdeutscher und Linker ist, läßt leicht vergessen, daß die herrschende Ordnung in den von Nazis befreiten Dörfern und Quartieren die der kapitalistischen Eigentumsordnung mit all ihren Drangsalierungen und Zwängen ist. Die Zwangsräumungen verarmter Familien, die Platzverweise für mißliebige Personengruppen, die rassistischen, am Auftreten und Aussehen bestimmter Menschen orientierten Polizeikontrollen, die Zutrittsverbote für privatisierte Räume, die Überwachung des öffentlichen Raums durch Kameras und Flugdrohnen, das Vorrecht, das eine verwertungsträchtige Stadtentwicklung vor den Interessen einer durch Mietsteigerungen und Umstrukturierungen vertriebenen Wohnbevölkerung hat - dies und vieles andere zeichnet einen kapitalistischen Normalbetrieb aus, dessen Überwindung weit mehr verlangt als die Abwehr faschistischer Gewalt.

Auch bleibt die Frage, wie mit all den deutschen Patrioten zu verfahren ist, die mit der Ausländerfeindlichkeit der Neonazis sympathisieren, ohne sich zu ihnen zu zählen. Die Beherrschung des öffentlichen Raums durch Neofaschisten, zu der es insbesondere nach dem Anschluß der DDR an die BRD kam, wäre mit einer antifaschistischen Bevölkerung ebensowenig zu bewerkstelligen wie das Propagieren nationaler Ideale, denen gegenüber den Bevölkerungen der südeuropäischen Krisenverlierer alle möglichen Nationalpathologien angedichtet werden. In jedem Fall gilt, daß linke Aktivistinnen und Aktivisten bei solchen Gruppen der Bevölkerung weit unbeliebter sind als die Agitatoren einer Fremdenfeindlichkeit, die nichtdeutschen Menschen parasitäre Interessen unterstellt.

Daß Werte der Neofaschisten wie Familie, Volksgemeinschaft, deutsche Ehre, patriarchalische Ordnung, militärische Machtentfaltung, Volksgesundheit als Voraussetzung einer funktionierenden Arbeitsgesellschaft mit dem kapitalistischen Alltag wunderbar verträglich sind, wurde im NS-Staat hinlänglich bewiesen. Im Wertekodex des auf Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit setzenden Neoliberalismus lassen sich äquivalente Ideologeme dingfest machen. Bei der Bezichtigung sogenannter Unterschichten, durch Mängel in der Lebensführung selbstverschuldet in die Misere geraten zu sein, wird sozialrassistisch argumentiert, anstatt die Bedingungen sozialer Verelendung zu untersuchen. In der neuen Eugenik der Life Sciences wird mit biologistischen Kriterien selektiert, während eine demographisch bestimmte Bevölkerungspolitik mit dem Fallbeil ressourcenbedingter Ausgrenzung droht. In dem stets gegen die anderen gerichteten Terrorismusverdacht werden die Ziele interventionistischer Politik rassistisch aufgeladen moralisch letztbegründet.

So bleibt denn auch, wie Huisken ausführt, nur die Sortierung in ein kleineres und ein größeres Übel. Man verbleibt im Komparativ der Bescheidenheit und arrangiert sich mit den herrschenden Verhältnissen, anstatt sie in der Alternativlosigkeit erlebter Ohnmacht zu überwinden. In der Bevorzugung des kleineren Übels folgt, je nach Stand gesellschaftlicher Kompromißbildung, eine opportunistische Wahlentscheidung auf die nächste. Um das kleinere Übel an SPD, Grüne oder PDL zu adressieren, hilft es auf jeden Fall weiter, die Fiktion einer faschistischen Machtergreifung gegen die Realität der kapitalistischen Klassengesellschaft zu halten. Das viel Schlimmere am Horizont legitimiert die weniger schlimme Gegenwart, selbst wenn man große Scheuklappen aufsetzen muß, um die Herrschaft der NPD oder einen von ihr ausgehenden Umsturz überhaupt in die engere Wahl möglicher politischer Entwicklungen der Bundesrepublik zu nehmen. Die Angriffskriege und Vernichtungslager des NS-Staates auf die NPD zu münzen und die realen Verheerungen des kapitalistischen Weltsystems völlig aus dieser fiktiven Gleichung zu streichen, läßt auf ein ausschließlich instrumentelles Verhältnis zu historischen wie zukünftigen Entwicklungen schließen, nicht jedoch auf eine fundierte materialistische Analyse konkreter Machtkämpfe.

So kritisiert der Referent denn auch die strikte Weigerung vieler Antifaschistinnen und Antifaschisten, sich mit der Programmatik der Neofaschisten auseinanderzusetzen, ihre Kapitalismuskritik zu demontieren und das Verhältnis zu ihren historischen Vorläufern zu untersuchen. Dabei geht es nicht um die Verharmlosung drohender Entwicklungen, sondern um die konstruktive Aufdeckung der Unterstellung, daß die Demokratie ein sicheres Bollwerk gegen den Faschismus sei, weil sich beide politischen Systeme prinzipiell ausschlössen. Beides sind für Huisken Formen bürgerlicher Herrschaft, bei denen man das Identische wie das sie Unterscheidende herausarbeiten müsse, um zu einer fundierten Kritik dieser Herrschaftsform und nicht zuletzt des ihr inhärenten Antikommunismus zu gelangen.

In der Demokratie sollen die Zwecke der Nation unter Beteiligung des Volkes bei Wahlen so durchgesetzt werden, daß eine Regierung ans Ruder kommt, die sich diesen Zwecken verpflichtet fühlt, während die Zwecke selbst nicht zur Debatte stehen. Der Referent erinnert zudem daran, daß sich diese Demokratie ihre eigene Aufhebung in Form der Notstandsgesetze in die Verfassung geschrieben hat, also lediglich unter dem Vorbehalt funktioniert, dann, wenn es ernst und eng wird, nicht mehr demokratisch agieren zu müssen. Die antifaschistische Linke habe sich statt dessen einen Feind ausgesucht, der nicht dafür verantwortlich ist, was der Kapitalismus ihnen selbst als Schüler, Arbeiter oder Lehrer antut. Der organisierte Faschismus wie die bürgerliche Demokratie leben von einem Bürgernationalismus, während eine Kritik, die diesen Namen verdient, weil sie sich mit den herrschenden Verhältnissen anlegt, als Störung des Betriebsfriedens kaum mehr wahrgenommen wird. Gelänge es, diesen demokratisch hergestellten und für demokratische Politikzwecke benutzten Nationalismus anzugreifen und den Leuten klarzumachen, daß es sich bei dem, für das sie mit patriotischer Identifikation eintreten, nicht um ihre Interessen handeln kann, dann wäre nicht nur dem Kapitalismus in seiner demokratischen Herrschaft die Grundlage entzogen, sondern dann würde auch ganz nebenbei der Sumpf trockengelegt, aus dem sich die faschistische Gesinnung speist.

Blick auf Plenum und Referenten - Foto: © 2013 by Schattenblick

Herrschaftssicherung enträtselt
Foto: © 2013 by Schattenblick

Dem Teilen und Vergessen in aller Unbescheidenheit die Stirn bieten

Die hier lediglich in groben Zügen wiedergegebene, mit eigenen Gewichtungen und Auslegungen versehene Argumentation Freerk Huiskens läßt sich anhand seines jüngsten, 2012 veröffentlichten Buches "Der demokratische Schoß ist fruchtbar... Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus" detailliert nachvollziehen. Die in seinem Vortrag aufgezeigten Widersprüche dienen nicht dazu, die zahlreichen rassistischen Morde der Neofaschisten zu relativieren oder die Gefahr zu verharmlosen, die vom bewaffneten Terror des NSU ausgeht. Daß sich dieser Rassismus gegen verletzliche Minderheiten wie Ausländer, Obdachlose und Behinderte richtet, während die Konfrontation mit den Sachwaltern staatlicher und kapitalistischer Verfügungsgewalt eher gemieden wird, belegt den affirmativen Charakter dieses Terrors. Im Abglanz einer Stärke, die zu erlangen das bürgerliche Subjekt nicht in der Lage ist, bleibt die Teilhaberschaft an ihr in Form der nach unten gerichteten Durchsetzung sozialdarwinistischer Ordnung ein lohnendes Ziel. Daß der Lohn der Bescheidenheit dafür entrichtet wird, auf die Inanspruchnahme des ganzen, ungeteilten Lebens von vornherein verzichtet zu haben, ist die rechte Variante des kleineren Übels.

Vom Antibolschewismus des NS-Regimes zum Antikommunismus des Kalten Krieges verläuft eine nicht nur ideologisch, sondern auch personell klar gezogene Linie politischer Hegemonie. Gelegentliche Ab- und Ausscheidungen rechts wie links dieser Linie dienen der Legitimation eines Besitzstandes, den es weniger gegen Neonazis, die als Teilhaber an der nationalistischen Sache zu instrumentalisieren ein probates Mittel bürgerlicher Herrschaft war und ist, als eine revolutionäre Linke zu verteidigen gilt, die nichts Geringeres als die gesellschaftliche Grundlage des Kapitalismus überwinden will. Dessen Ordnung fundamental und prinzipiell zu analysieren und kritisieren, läßt Gewaltverhältnisse hervortreten, die zu konfrontieren unbequem bis gefährlich ist. Sich mit ihnen zu arrangieren, beseitigt nicht den Schmerz der Gewalt und Zerstörung, sondern betäubt ihn lediglich vorübergehend im Wechselspiel von Vergessen und Wiederholung. Um nicht aufzugeben inmitten eines gesellschaftlichen und kulturellen Niedergangs, der den Mut zum Widerstand ins Mark treffen soll, bedarf der Verstand aller Nahrung, die gerade dort fruchtbar wird, wo vermeintlich unumstößliche Auffassungen und finale Erkenntnisse zu geistiger Trägheit und bequemer Konsensbildung einladen.

29. Dezember 2013


Fußnote:

[1] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

Bisherige Beiträge zur Veranstaltungsreihe "Bürgerliche Herrschaft in der Krise" im Schattenblick unter INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/165: Herrschaft in der Krise - Wo steht der Feind? (SB)
BERICHT/166: Herrschaft in der Krise - Mangel, Druck und Staatsräson (SB)
BERICHT/167: Herrschaft in der Krise - Zweckform Euro (SB)
BERICHT/173: Herrschaft in der Krise - Die Mehrheitslogik (SB)
BERICHT/174: Herrschaft in der Krise - Synthese im Widerspruch (SB)
BERICHT/175: Herrschaft in der Krise - Populismus, Funktion und Konsequenzen (SB)
INTERVIEW/196: Herrschaft in der Krise - Bündnisse der Arbeit, Hans-Peter Brenner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/197: Herrschaft in der Krise - der Lackmustest, Markus Bernhardt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/198: Herrschaft in der Krise - türkisch-linke Bündnisfragen, Duran Kiymazaslan im Gespräch (SB)
INTERVIEW/199: Herrschaft in der Krise - am linken Schlaf vorbei, Sylvia Brennemann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/201: Herrschaft in der Krise - Wo der Mumm fehlt! Wolfgang Erdmann im Gespräch (SB)
INTERVIEW/202: Herrschaft in der Krise - Ratio des Mehrgewinns, Andreas Wehr im Gespräch (SB)
INTERVIEW/204: Herrschaft in der Krise - Horizont der Mühen, Dr. Heinz-Jürgen Schneider im Gespräch (SB)
INTERVIEW/205: Herrschaft in der Krise - Kampfverstand und Korrektur, Jürgen Lloyd im Gespräch (SB)
INTERVIEW/206: Herrschaft in der Krise - Kurden, Menschen, Repression, Wolfgang Struwe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/207: Herrschaft in der Krise - Probleme und Parolen, Phillip Becher im Gespräch (SB)

29. Dezember 2013