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BERICHT/239: Erwerbslosennetzwerk Baladre - zarte Blüte, starkes Gift ... (SB)


Kollektiver Kampf gegen Kapital und Patriarchat

Veranstaltung in Hamburg-Ottensen am 22. Juni 2016


Baladre lautet der spanische Name für Oleander, ein prächtig blühendes, aber giftiges Gewächs. Baladre nennt sich treffenderweise auch eine seit mehr als 30 Jahren aktive Basisorganisation in Spanien, die als landesweites und inzwischen auch internationales Netzwerk für die Interessen der Erwerbslosen eintritt. Zu den bemerkenswertesten Charakteristika dieser autonomen Initiative gehört eine in Anspruch und Praxis durchgängige Ablehnung von Professionalisierung und politischem Karrierestreben, die zwangsläufig zu einer Entfremdung von der eigenen Herkunft, nämlich einer Existenz in Armut und dem kollektiven Kampf zu deren Überwindung führen würden. Auf Grundlage einer dezidiert antikapitalistischen und antipatriarchalen Positionierung sieht sich Baladre einer libertären Ausrichtung verpflichtet, die der Herausbildung übergeordneter Strukturen und Hierarchien abhold ist.

Der lange Atem und die Unbeugsamkeit dieses Streits sind vonnöten, zählt Spanien doch neben Griechenland zu den größten Verlierern bei der Abwälzung der Krisenlasten in die Peripherie der EU. Während sich Deutschland dank der europaweit rigorosesten Durchsetzung von Niedriglohn und prekärer Beschäftigung nach innen und des daraus resultierenden Produktivitätsvorsprungs beim Niederkonkurrieren anderer Volkswirtschaften nach außen im Zuge der Krise die Vorherrschaft in Europa gesichert hat, leidet die spanische Bevölkerung massiv unter dieser ökonomischen und politischen Aggression.

Spanien hatte sein Wirtschaftswachstum jahrelang maßgeblich mit einem von nationalen wie internationalen Spekulationen angefachten Bauboom angeheizt. Als die kapitalistische Verwertungskrise 2007 das Land erfaßte, zeitigte das Platzen der Immobilienblase dramatische Folgen wie Insolvenzen, einen rasanten Anstieg der Arbeitslosigkeit sowie die Verwendung enormer Summen an Staatsgeldern für Bankenrettungen. Die von EU, EZB, IWF und der nationalen Regierung erzwungenen Austeritätsmaßnahmen führten zu massiven Einschnitten im Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystem wie auch zu einer tiefgreifenden sozialen und politischen Erschütterung der Gesellschaft.

Die soziale Situation ist dramatisch. Um die 25 Prozent der Spanier leben an oder unter der Armutsgrenze. Menschen hungern, haben die Wohnung verloren oder können ihre Wohnräume nicht angemessen beheizen. Besonders die Kinderarmut hat massiv zugenommen, rund 2 Millionen Kinder leiden unter Mangelernährung. Die Jugendarbeitslosigkeit beläuft sich auf über 50 Prozent, seit 2012 haben mehr als eine Million junger Menschen das Land verlassen, so daß von einer "verlorenen Generation" die Rede ist. Wer noch bezahlte Arbeit hat, ist zumeist prekär beschäftigt, was den Aufbau einer eigenen Existenz nicht zuläßt. 2011 lebten zirka 70 Prozent der 18-34jährigen in einem Haushalt mit Eltern oder Großeltern.

Seit 2007 wurden weit mehr als 500.000 Zwangsräumungen vollstreckt, wobei das Konfliktfeld Wohnen durch zwei Aspekte verschärft wird. Zum einen mangelt es an sozialem Wohnungsbau, so daß nur wenige Menschen Wohnraum mieten können. Zum anderen führt die Gesetzeslage dazu, daß Zwangspfändungen, bei denen Immobilien in Bankenbesitz übergehen, nicht automatisch zur Schuldentilgung führen. Wegen des Preisverfalls der Immobilien bleiben daher viele Zwangsgeräumte weiterhin für die Schulden haftbar. [1]

Wollte man von einer Geburtsstunde der landesweiten spanischen Protestbewegung sprechen, so sind die massenhaften Demonstrationen in zahlreichen Städten am 15. Mai 2011 zu nennen. Dieses Datum wurde namensgebend für die Bewegung 15M, die auch als Bewegung der Empörten (Indignados) bezeichnet wird. Es folgten wochenlange Platzbesetzungen, eine flächendeckende Mobilisierung gegen Zwangsräumungen oder für Gesetzesinitiativen, die Einrichtung sozialer Zentren in besetzten Häusern und privat organisierte Essensausgaben für Hungernde. Rasch forderte die Bewegung zudem Veränderungen der nationalen politischen Agenda. Gefordert werden Transparenz und Partizipation, Bekämpfung der Korruption sowie ein Zugriff auf die Verursacher der Krise. Wenngleich der Schwung der Bewegung inzwischen nachgelassen hat, bildete diese doch ein dichtes Netz an Initiativen, Arbeits- und Protestgruppen heraus. Neben jenen Akteuren, die schon vor 15M politisch aktiv waren, sind es insbesondere junge Menschen, die sich erstmals im Kontext der Mobilisierung politisch engagierten und radikalisierten.

Die spanische Regierung reagierte auf die Mobilisierung mit restriktiven Sicherheitsbestimmungen und einer Sanktionierung von Aktivistinnen und Aktivisten auf Grundlage des 2014 massiv verschärften "Gesetzes zur Sicherheit der Bürger". So werden beispielsweise Geldbußen gegen Menschen verhängt, die an Demonstrationen teilnehmen, das gewalttätige Vorgehen der Polizei fotografisch dokumentieren oder Essen aus Abfallcontainern entnehmen. Obgleich Spanien mit der Einschränkung von Grundrechten gravierend gegen EU-Standards verstößt, erhebt Brüssel keinen Einspruch, sind diese Standards doch auch andernorts wie etwa beim Ausnahmezustand in Frankreich zunehmend Fiktion.

Empfanden zu Beginn der Krise viele Menschen Scham angesichts der als individuelles Verschulden aufgefaßten Arbeitslosigkeit und Armut, so wandelte sich diese im Zuge der Bewegung zunehmend in kollektive Wut. Es wuchs das Mißtrauen gegenüber der politischen Kaste und staatlichen Strukturen wie auch den europäischen Institutionen und Führungsmächten wie Deutschland, da die Radikalisierung den Blick für die Verursacher und Nutznießer der Misere schärfte. Basisinitiativen fordern unter anderem eine fundamentale Umverteilung, ein Ende der Austeritätspolitik, die Annullierung der Staatsschulden, eine Stärkung des Sozial- und Bildungssystems, eine strikte Kontrolle der Finanzmärkte sowie nicht zuletzt ein Grundeinkommen. Viel wird davon abhängen, ob die Bewegung in der Auseinandersetzung auf ihren Positionen beharrt und sie weiterentwickelt oder sich im Gegenteil durch die Herausbildung parteipolitischer Strukturen und anderer Formen der Rückbindung befrieden und in die Teilhaberschaft manövrieren läßt.


Gesprächsrunde am Tisch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Treffen in einem selbstverwalteten Zentrum in Hamburg-Ottensen
Foto: © 2016 by Schattenblick


Zusammenarbeit und Positionierung als politisches Instrument

Am 22. Juni 2016 waren fünf Genossinnen und Genossen des Netzwerks Baladre in Hamburg zu Gast, wo sie ihr langjähriges selbstorganisiertes Engagement vorstellten und alle Fragen ausführlich beantworteten. Dank der kompetenten Übersetzung Lars Stubbes [2], der seit vielen Jahren Kontakte mit der Basisinitiative unterhält, stellten sprachliche Hürden keinen Hinderungsgrund dar, sich mit diesem - zumal aus deutscher Sicht - erfrischenden Phänomen auseinanderzusetzen. Wie schon die kurze Vorstellung seitens der weitgereisten Gruppe zeigte, die zuvor in Paris und anschließend bei der Arbeitslosenselbsthilfe in Oldenburg [3] gewesen war, zeugen die verschiedenen Herkunftsorte und Aktivitäten von der breiten Vernetzung und inhaltlichen Vielfalt Baladres.


Aida, Manolo, Ruth, Mariano in der Runde - Foto: © 2016 by Schattenblick

Manolo erzählt die Geschichte Baladres
Foto: © 2016 by Schattenblick

Manolo Saez Bayona, der Mitbegründer und wohl bekannteste Aktivist der Initiative, lebt in Vitoria-Gasteiz im Baskenland, wo er in der Koordination Baladres tätig ist. Er befaßt sich insbesondere mit allen Aspekten der Verbreitung des Netzwerks wie auch dem Ausbau der Zusammenarbeit mit ökologischen Gruppen und der Gewerkschaft CGT [4]. Ruth Lopez Herrero engagiert sich in Irun an einer Schnittstelle der Aufklärungsarbeit und sozialen Mobilisierung sowie in einer lokalen Initiative gegen die Zwangsräumungen, zudem auch in sozialökologischen Zusammenhängen. Aida gehört in Málaga der Gruppe "Sambre" an, die Teil des Netzwerks ist. Sie arbeitet insbesondere mit Menschen aus benachteiligten Stadtteilen und versucht, Verbindungen zwischen ihnen und Studierenden der Universität herzustellen. Auch Themen des Feminismus und deren Umsetzung sind ihr ein besonderes Anliegen. Mariano ist in Irun seit langem vor allem mit Webhosting-Arbeiten bei Baladre und anderen Organisationen beschäftigt. Roberto Mesa arbeitet auf Teneriffa und damit am entgegengesetzten Ende des spanischen Territoriums in einem sozialen Zentrum mit, das die Verteilung von Reichtum fordert. Zudem wird dort schon seit zehn Jahren einmal die Woche ein Radioprogramm zu Baladre produziert und ausgestrahlt.

Wie Manolo ausführte, sei Baladre als ein Raum der gegenseitigen Unterstützung insbesondere für Menschen geschaffen geworden, die erwerbslos sind und in der Prekarität leben. Mit einer antipatriarchalen und antikapitalistischen Perspektive praktiziere man eine horizontale Arbeitsform, die stets darauf ausgerichtet sei, mit anderen Personen und Gruppen zusammenzuarbeiten. Viele Ideen, die anfangs noch recht intuitiv dahergekommen seien, hätten in den Diskussionen der 90er Jahre zu einer Klarheit der eigenen Vorstellungen geführt und schließlich im neuen Jahrtausend in vielen gesellschaftlichen Organisationen ihren Niederschlag gefunden, wie beispielsweise die Forderung nach einem Grundeinkommen oder Existenzgeld (renta basica) [5]. Darüber hinaus sei auch eine Positionierung gegen die EU erarbeitet worden, die in gemeinsamen Bündnissen mit der CGT wie auch den Ecologistas en Acción Gestalt angenommen und sich im Zuge der Anti-Maastricht-Proteste zunehmend gesellschaftlich verbreitet habe.

Baladre erachte die Art und Weise der Zusammenarbeit und Positionierung als ein politisches Instrument. Man habe gelernt, mit der Verschiedenheit zu leben und gemeinsam zu arbeiten. Wer etwas unternehmen wolle, könne das eigenständig tun, ohne daß sich die Teile dem Ganzen unterordnen müßten oder eine Minderheit der Mehrheit. Diese Form, Leben zu gestalten und Politik zu machen, werde als horizontale Koordination bezeichnet. Das Zentrum der alltäglichen Aktionen seien Personen oder Gruppen, und dabei sei Baladre der Raum, der es ermögliche, die Kräfte zu bündeln und zu vervielfältigen, um diesen Kampf zu führen. Ihr Motto laute: Allein gehen wir nirgendwo hin, doch gemeinsam können wir womöglich irgendwo hingelangen.

Baladre stehe seinem Selbstverständnis nach nicht im Zentrum, sondern begreife sich stets als Teil eines politischen Kampfes, den man gemeinsam mit anderen verfolge. Für wesentlich halte man zudem, Arbeit auf eine nicht marktförmig austauschbare Weise miteinander zu vermitteln und das eigene Wissen und Können mit dem Ziel einzusetzen, den Lebensunterhalt aller Beteiligten zu gewährleisten. Das Netzwerk begreife sich inzwischen als internationale Koordination, weil es seit Dezember 2001 Arbeitsbeziehungen zu den Piqueteros in Argentinien unterhalte, die zu Kontakten in Chile, Uruguay und Brasilien geführt hätten. Zudem sei geplant, solche Beziehungen auch im im euromediterranen Raum wieder aufzunehmen.


Am Tisch während des Vortrags - Foto: © 2016 by Schattenblick

Ruth berichtet von den sozialen Kämpfen in Spanien
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fülle an Themen, Vielfalt der Aktionen

Ruth vertiefte in ihren Ausführungen das Prinzip der Arbeitsweise, dem zufolge jede Gruppe ihr eigenes Aktionsfeld frei wählt und sich in Baladre integriert, ohne dabei eine Struktur zu schaffen. Man halte das Thema der Gewalt, das man auf gesellschaftlicher Ebene insbesondere durch die Verarmung und Ausgrenzung massiv erlebe, für zentral, zumal es auch in der feministischen Diskussion insbesondere hinsichtlich der Ermordung von Frauen nicht nur in Spanien, sondern auch in Lateinamerika absolut präsent sei: "Wir erleben die staatliche Repression als Arme und Ausgeschlossene. Wir versuchen, diese Arbeit gemeinsam vor allem aus dem Begriff der Sorge für das Leben, für die Erde zu entwickeln, um das Ganze auf einen positiven Begriff zu bringen."

Gleichzeitig nehme Baladre die Frage der Gewalt in bezug auf die Entwicklung der sozialen Situation angesichts Hundertausender Zwangsräumungen in Spanien und der mit der Krise einhergehenden Verarmung in den Blick. Während entgegen den Erwartungen die Verbrechensrate nicht gestiegen ist, habe die Belegung der Gefängnisse mit armen, kranken oder undokumentierten Menschen zugenommen. Es gehe darum, die Lage der Menschen ohne gültige Papiere, die Abschiebeknäste und die Jugendknäste ins Bewußtsein einer Bevölkerung zu heben, die selbst großen Bedarf hat, ihre sozialen Rechte kennenzulernen und auszuüben. Sie im Kontext der jeweiligen politischen Situation dabei zu unterstützen ist ebenfalls eine Aufgabe Baladres.


Zeigt T-Shirt mit dem Symbol Baladres - Foto: © 2016 by Schattenblick

Roberto kämpft für soziale Amnestie
Foto: © 2016 by Schattenblick

Ein weiteres wichtiges Thema sei das der sozialen Amnestie. Damit reagiere man auf die staatliche Repression, die insbesondere in der Folge der Bewegung des 15. Mai, aber auch lokaler Aktivitäten wie beispielsweise der Schülerbewegung oder der Forderung nach Zugang zum Gesundheitssystem stark zugenommen habe. Die Erwerbslosenbewegung bringe ihre langjährige Erfahrung mit Repression ein und versuche, die Kriminalisierung armer Leute in die sozialen Kämpfen einzubeziehen. Eine dreifältige gesetzliche Entwicklung verschärfe die Repression auf allen Ebenen: Das Gesetz zur privaten Sicherheit, das Gesetz zur bürgerlichen Sicherheit und eine Verschärfung des Strafrechts. Es gehe aber nicht nur darum, diese drei Gesetze zu bekämpfen, die in jüngerer Zeit verabschiedet worden sind, sondern um den gesamten repressiven Weg, der dahingeführt hat.

Baladre sei lange eine überwiegend städtisch geprägte Erwerbslosenkoordination gewesen, doch finde auch auf dem Land eine starke soziale Exklusion statt: Dörfer werden entvölkert, während neue Besitzer die vorhandenen Flächen weiter bewirtschaften. Auch in Hinblick auf gesunde Ernährung gelte es, alternative Formen des Anbaus und der Verarbeitung der Produkte zu entwickeln. Allerdings seien dies natürlich bislang kleine Experimente angesichts eines gigantischen Problems. Wesentlich sei in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Essen, um nicht zu hungern, und Ernährung im Sinne einer vollwertigen Versorgung. Wer arm sei, müsse für gewöhnlich essen, was von der industriellen Produktion bereitgestellt wird. Deshalb beschäftige man sich mit der Frage, wie sich Menschen mit wenig Ressourcen dennoch gut ernähren können.

Wie Aida ausführte, gehöre es zu den Grundprinzipien des Netzwerks, auch die Bedürfnisse nach Versorgung, Kindererziehung, Sorge und Pflege kollektiv zu begehen. Dabei frage man nicht nur nach der Bedeutung der Familie im Kapitalismus, sondern auch im Patriarchat, und kritisiere sie als Institution der Geschlechtertrennung wie auch der sexuellen Normierung: "Wir stellen die Frage nach der Versorgung und Sorge ins Zentrum unserer Arbeit und bringen das in die Gruppe ein, was ansonsten im Privaten bleibt."


Am Tisch in der Diskussion - Foto: © 2016 by Schattenblick

Aida spricht über Sorgearbeit und Geschlechtergerechtigkeit im Kollektiv
Foto: © 2016 by Schattenblick


Grundsicherung der Gleichen

Baladre untermauere diesen gesellschaftlichen Kampf mit bestimmten Forderungen wie insbesondere der nach einer "Grundsicherung der Gleichen". Während auch in Spanien verschiedene Modelle einer Grundsicherung diskutiert und teilweise auch angewendet würden, trete man für eine bestimmte Variante ein, die eine antikapitalistische und antipatriarchale Stoßrichtung beinhalte. So definiere man Grundsicherung als das Recht einer Person, ihr ganzes Leben lang regelmäßig einen bestimmten Betrag zu erhalten, mit dem sie ihre materiellen Grundbedürfnisse abdecken kann. Daraus leiteten sich einige unverzichtbare Charakteristika wie auch politische Forderungen ab: Das Grundeinkommen muß individuell sein, an alle ausgezahlt werden, entsprechend hoch sein und unabhängig von einer Präsenz auf dem Arbeitsmarkt gewährt werden. Es darf eine festgelegte Armutsmarke nicht unterschreiten, da es andernfalls eine Sozialleistung und kein Grundeinkommen wäre. Ein bestimmter festzulegender Prozentsatz soll in einen gemeinsamen Fond eingezahlt werden. Dieses Modell der Grundsicherung sei aus Diskussionen und Forderungen der Basis hervorgegangen, nicht jedoch von politischen Parteien oder Organisationen eingebracht worden.

Wenngleich die Initiative für ein Grundeinkommen in der Schweiz im zweiten Anlauf das nötige Quorum erreicht habe, aber in der Volksabstimmung gescheitert sei, habe sie doch eine Debatte in der Gesellschaft angestoßen. Übertrage man dieses Beispiel auf den spanischen Staat, so begrüße Baladre die Diskussionen von Podemos und anderen Gruppen über das Grundeinkommen, auch wenn man deren Vorschläge für nicht weitreichend genug erachte. Gelänge es, auch nur ein relativ geringes Grundeinkommen durchzusetzen, wäre dies für Leute, die ansonsten nichts zu beißen haben, schon ein Fortschritt. Man verwechsle das jedoch keineswegs mit einem weit darüber hinausweisenden Kampf, für den Baladre einstehe.

Das Recht auf Ressourcen, Gesundheit und Bildung sei universell und müsse in jedem Land gelten. Das Grundeinkommen der Gleichen ziele darüber hinaus darauf ab, aus dem Kapitalismus und dem Patriarchat zu entkommen. Als Instrument diene es durchaus diesem Ziel, weil man ihm bestimmte Grundforderungen voranschicke. Würde nur ein Teil dieses Modells eingeführt, käme es darauf an, es durch soziale Kämpfe in vollem Umfang durchzusetzen und womöglich sogar die Frage der Monetarisierung aufzuwerfen und diese zu beenden: "Das wäre der antikapitalistische und antipatriarchale Virus, den wir setzen wollen."


In der Diskussion - Foto: © 2016 by Schattenblick

Mariano berichtet von Erfolgen bei der Beratungsarbeit
Foto: © 2016 by Schattenblick


Selbstorganisation in der Armut

Wenn das Leben kaputt ist, sei die Selbstorganisation in der Armut eine sehr komplexe Angelegenheit, faßt Manolo die große Aufgabe des Netzwerks Baladre in einfache Worte. Man dürfe die Augen nicht davor verschließen, daß nur wenige Aktivistinnen und Aktivisten in den ärmsten Stadtvierteln geblieben seien: "Es waren viel zu wenige, um soviel Schmerz, so viele Probleme aufzufangen, so daß sich der Aktivismus in eine Richtung bewegt hat und der Schmerz an einer anderen Stelle geblieben ist. Wir brauchen Zeiten und Räume, um einer solchen Beziehung Platz zu geben." "Beziehung" lautet denn auch der bevorzugte Begriff im Kontext Baladres, wo von der Begegnung zwischen Menschen und der Möglichkeit solidarischer Zusammenarbeit die Rede ist. Spreche man heute von Exklusion, meine man eine Vielzahl von Zugehörigkeiten, Nationalitäten, Kosmovisionen, Hintergründen und Ursprüngen, in denen Menschen zusammenleben oder ausgegrenzt werden. Entscheidend scheine ihm zu sein, daß man in dieser Beziehung daran arbeitet, ein Interesse aneinander und Wissen voneinander zu entwickeln, weil nur das die Beziehung voranbringt: "Auf diese Weise versuchen wir, Beziehungen zu entwickeln, die es uns ermöglichen, Momente des gemeinsamen Teilens zu leben."

Die im besten Sinne unbescheidenen Ziele des Netzwerks Baladre kommen offensichtlich ohne demonstrativ kämpferische Parolen, traditionslinke terminologische Versatzstücke und verfrühte Siegesmeldungen aus, wie sie zumeist dort Urständ feiern, wo man sich eilends von jeglicher Schwäche distanziert. Baladre, so scheint es, hat hingegen den Boden seiner Herkunft nicht verlassen und bleibt in ihm verwurzelt - authentisch, glaubwürdig und seines Namens würdig.


Runde am Tisch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Lars Stubbe (links) sorgt für spanisch-deutsche Verständigung
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/opinion/die-soziale-situation-in-spanien-und-die-protestbewegung-15m/

[2] https://filmunion.verdi.de/ueber-uns/kontakt/++co++0fbe7ffa-2454-11e3-a26b-525400438ccf

[3] Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e.V.
http://www.also-zentrum.de

[4] CGT - Die Confederación General del Trabajo ist eine anarchosyndikalistische spanische Gewerkschaft. Sie entstand 1979 nach der Herrschaft Francos aus der CNT und ist derzeit die größte anarchistische Gewerkschaft weltweit. Sie hat ca. 80.000 Mitglieder und vertritt mehr als 2 Millionen Arbeiter.

[5] Siehe dazu:
José Iglesias Fernández: Grundeinkommen der Gleichen
http://www.rentabasica.net/RBisaleman.pdf


9. Juli 2016


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