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BERICHT/253: EU Gleichung - Primat der Verteilungsökonomie ... (SB)


Aggressiver Akteur in globaler Krisenkonkurrenz

"EU am Abgrund? Wohin steuert die EU zwischen Brexit, CETA, Euro- und Flüchtlingskrise?

Podiumsdiskussion am 13. Dezember 2016 im Museum der Arbeit in Hamburg-Barmbek


Die Frage, wohin die EU "zwischen Brexit, CETA, Euro- und Flüchtlingskrise" steuert, ergänzte Norman Paech in seiner Eröffnung mit dem Verweis auf die schleichende Militarisierung des Staatenbündnisses. Dieses Feld exekutiver Politik wird nicht nur von Ökonomen, wie er anmerkte, häufig übersehen, sondern leidet generell unter allzu geringer Beachtung. Vor wenigen Wochen wurden Geschütze der Bundeswehr in Richtung russische Grenze transportiert, die schon aufgrund ihrer großen Reichweite als Offensivwaffen zu gelten haben. Es gibt noch Menschen, die den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion miterlebt haben, und doch scheint dieses epochale Blutbad, in dem ein Staat seinen "Lebensraum" zu Lasten einer anderen Bevölkerung zu erweitern trachtete, fast vergessen zu sein. Millionen Menschen in der Sowjetunion wurden planmäßig ausgehungert und vernichtet, um Platz zu machen für die Versorgung eines Staates, der den Ressourcenhunger seiner Industrie und die Ernährung seiner Bevölkerung auf räuberische Weise befriedigen wollte.


Auf dem Podium vor Transparent - Foto: © 2016 by Schattenblick

Norman Paech eröffnet die Veranstaltung
Foto: © 2016 by Schattenblick

Auch heute geht es um Rohstoffe und Arbeitskraft, deren kostengünstige Verfügbarkeit zu sichern essentieller Zweck der EU-europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist. Die Schlacht um die knapper werdenden globalen Ressourcen hat längst begonnen, wovon auch das von Paech erwähnte Vorhaben der EU kündet, Handelsrouten militärisch zu verteidigen. Die Bundesrepublik als hochproduktives, aber rohstoffarmes Land hat allemal Interesse an einer Militarisierung der EU, die ihre beanspruchte Rolle als globaler Akteur von Rang mit dementsprechender Durchsetzungsgewalt untermauert. Paechs kurze Schilderung der Geschichte der EU-europäischen Aufrüstungspolitik, die allen Mitgliedstaaten ein Militärbudget in Höhe von zwei Prozent BIP abverlangt, den Aufbau hochmobiler Interventionstruppen forciert vorantreibt, die dauerhafte Installierung eines europäischen Hauptquartiers vorsieht und auf EU-Ebene durch keinen Parlamentsvorbehalt behindert wird, macht deutlich, daß die außereuropäischen Handlungsfelder der Europäischen Union zusehends mit "robusten", wie im interventionistischen Neusprech verharmlosend genannt, Mitteln beackert werden sollen. Und das nicht nur als flankierendes Mittel zum Zweck, denn für Paech beansprucht das Sicherheits- und Verteidigungskonzept der EU Priorität gegenüber anderen Politikfeldern wie Handel, Energie oder auch Entwicklungspolitik.

Letzteres verweist auf eine Logik politischen Handelns, der die Machtfrage, auch wenn im Hintergrund des alltäglichen Konflikt- und Krisenmanagements verborgen, stets implizit ist. Jeder theoretisch durchdachte Entscheidungsprozeß antizipiert die Eskalation des politischen Streites bis zur unverhüllten Frage, wie die eigene Position gegen das Interesse anderer Akteure durchzusetzen wäre, zumindest als Fluchtpunkt, von dem aus mögliche Schritte in ihrer zu erwartenden Konsequenz besser beurteilt werden können. Zwar lassen zivilgesellschaftliche Moderation und demokratische Willensbildung anderes vermuten, und die politische Entschärfung kruder physischer Gewalt als Leistung zivilisatorischer und menschlicher Höherentwicklung zu feiern, ist eine Grundkonstante anthropologischer Vergewisserung. Schaut man sich in der Welt um, dann bezahlen Milliarden Menschen die Folgen räuberischer Aneignung und kriegerischer Durchsetzung mit ihrem Leben oder zumindest schwerwiegenden Einbußen physischen wie seelischen Wohlbefindens, was erklärt, warum Scheuklappen aller Art zur Grundausstattung des politischen Personals gehören.

Dieser Widerspruch zwischen politischen Idealen und ihrer verfassungsrechtlichen Normierung auf der einen und der zerstörerischen Logik kapitalistischer Wertproduktion und privatwirtschaftlicher Eigentumsordnung auf der anderen Seite ist gerade für Linke von Bedeutung, gehen sie doch nicht sehenden Auges an den Problemen anderer Menschen vorbei, sondern beanspruchen ihre prinzipielle Gleichbehandlung ohne Ansehen von Person, Nation, Herkunft und Klasse. Die in der Hamburger Veranstaltung, zu der mit Sahra Wagenknecht die Spitzenkandidatin der Partei Die Linke für die Bundestagswahl und der Europaabgeordnete Fabio Di Masi auf das Podium geladen waren, von der Gruppe Gegenstandpunkt aufgeworfene Frage, was denn an dem imperialistischen Staatenbündnis EU so erhaltenswert wäre, daß man sich um seinen Absturz Sorgen machen müsse, rührt mithin am Selbstverständnis einer parlamentarischen Linken, deren Politik den Bestand herrschender Widerspruchslagen zumindest nicht stört, wenn keine internationalistischen und antikapitalistischen Positionen bezogen werden.


Podium im Museum der Arbeit - Foto: © 2016 by Schattenblick

Diskussion vor einer Signatur des historischen Industriekapitalismus
Foto: © 2016 by Schattenblick

Linke Positionen gegen rechte Anwürfe

Bis zu 500 Personen hatten sich an diesem Dienstagabend zum Museum der Arbeit im traditionsreichen Arbeiterviertel Hamburg-Barmbek aufgemacht, doch der Veranstaltungssaal faßte nur 300 von ihnen. Angesichts der üblichen Zahl von einigen Dutzend Interessierten, die entsprechende Treffen linker Organisationen und Parteien in der Hansestadt üblicherweise besuchen, geht man sicher nicht fehl in der Annahme, daß viele eigens gekommen waren, um die Vorsitzende der Linken im Bundestag einmal direkt zu erleben. Des Promi-Faktors ungeachtet ging es auf dem Podium, wo Luc Jochimsen mit pointierten Fragen durch des Gespräch führte, durchaus inhaltlich zur Sache. Da Wagenknecht wie De Masi über einschlägige Erfahrungen als Abgeordnete im EU-Parlament verfügen, wurde mit entlarvenden Einblicken in die privilegierte Position der Parlamentarier, das opportunistische Abnicken von Entscheidungen, zu deren Beurteilung mitunter die Sachkompetenz fehlt, und die aggressive Einflußnahme vor allem von der Industrie angestellter Lobbyisten nicht gespart.

Daß letzteres der prinzipiellen Vormachtstellung großer transnationaler Konzerne in Brüssel zuarbeitet, deren Vertreter in parlamentarischen Ausschüssen sitzen, an Gesetzen mitschreiben und auch sonst nichts unversucht lassen, um jedes nur denkbare Steuerschlupfloch und jede Regulationslücke auszunutzen, war dem Publikum sicherlich nicht in jedem geschilderten Detail bekannt, aber auch nicht im Grundsatz neu. Interessant für Menschen, die ihre Absichten im Rahmen der repräsentativen Demokratie durchsetzen wollen, ist allerdings, wie Die Linke bei dem Versuch, eine sozial gerechtere Verteilungspolitik durchzusetzen, unter den gegebenen Mehrheiten auf fast unüberwindliche Machtverhältnisse stößt und dennoch versucht, diese mit demokratischen und parlamentarischen Mitteln zu erschüttern.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Auf dem Weg von Brüssel nach Berlin - Fabio De Masi
Foto: © 2016 by Schattenblick

De Masi machte dem Publikum keine Illusionen, was die Realisierbarkeit linker Politik auf diesem Wege betrifft, wie seine wiederholte Aufforderung verriet, es nicht bei der vierjährigen Stimmabgabe zu belassen, sondern sich wo auch immer direkt und persönlich in politische Prozesse einzumischen. Zwar wurde nicht über die Relevanz von Stellvertreterpolitik gesprochen, doch dieser EU-Abgeordnete hat noch nicht vergessen, daß es außerhalb des von Parteien betriebenen Politikbetriebs noch eine Gesellschaft gibt, in der Konflikte mitunter auch auf der Straße ausgetragen werden. Für das Gelingen einer von Wagenknecht und ihm propagierten Neuverhandlung der EU-Verträge, die auch Volksabstimmungen möglich machte, gibt es allerdings wenig Anhaltspunkte.

Mit sichtbarer Begeisterung erinnerte De Masi an die lebhaften Diskussionen, die die französische Bevölkerung 2005 in die Lage versetzten, den EU-Verfassungsvertrag in einem Referendum abzulehnen. Während das Wissen um den konstitutionellen Prozeß der EU in der Bundesrepublik marginal blieb, haben die Franzosen einen Kenntnisstand zur Sache erarbeitet, die sich auch heute noch als gutes Beispiel dafür anführen läßt, daß die Menschen keineswegs so desinteressiert und passiv sein müssen, wie häufig behauptet wird. Gleiches gilt für das aktuelle Nein der italienischen Bevölkerung zu der undemokratischen Senatsreform, wie Jochimsen ausführte, die im Vorfeld der Abstimmung selbst miterlebt hatte, wie die Bevölkerung herausfand, was ihr unter Vorspiegelung des gegenteiligen Eindrucks an demokratischen Rechten genommen werden sollte.


Podium mit De Masi, Jochimsen und Wagenknecht - Foto: © 2016 by Schattenblick

Positioniert und interessiert - Luc Jochimsen moderiert das Gespräch
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De Masi führte auch die massenhafte Beteiligung an den Protesten gegen Freihandelsabkommen in der Bundesrepublik als hoffnungsvolles Zeichen für eine Mobilisierung der Bevölkerung für ihre ureigensten Interessen an. Die Frage der Moderatorin, was man denn konkret tun könne, um die EU umzukrempeln, beantwortete der EU-Abgeordnete mit dem Vorschlag, sich auf administrativer Ebene zu verweigern. Um in Bereichen, wo die EU Sozialstaat und Demokratie schwächen, die Regeln zu brechen, indem etwa konzernfreundliche Entscheidungen zu Steuerfragen des Europäischen Gerichtshofs nicht anerkannt werden, bedarf es ebenso parlamentarischer Initiativen wie in allen anderen Bereichen struktureller Veränderung.

Daß diese durch Massendemonstrationen und Referenden anzustoßen wären, ist zwar nicht ausgeschlossen, doch zeigt gerade das Beispiel Griechenland, daß die parlamentarische Linke auch eine Bremserin im Sinne der Herrschenden sein kann. Zweifellos wurde Syriza massiv unter Druck gesetzt, um den Forderungen der Troika zur Fortsetzung des Schuldenregimes zu entsprechen. Das von ihr selbst initiierte Nein der Bevölkerung dann allerdings zu mißachten hat der Glaubwürdigkeit linker Parteien in einem Ausmaß geschadet, das bis heute zur chronischen Schwäche linker Kräfte in der EU beiträgt.


Auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Als Spitzenkandidatin vielgefragt - Sahra Wagenknecht
Foto: © 2016 by Schattenblick

Hier ist die von Wagenknecht an den Tag gelegte Zurückhaltung, mit der Syriza als Opfer einer Erpressung durch EU, EZB, IWF und nicht zuletzt die Bundesregierung entschuldigt wird, fehl am Platz. Gerade das historische "Oxi" hätte die Athener Regierung legitimiert und ermächtigt, den beispiellosen Schritt eines Austrittes zu vollziehen, um ein absehbares Ende mit Schrecken an die Stelle des bis heute anhaltenden Schreckens ohne Ende zu setzen. Wenn die Machtfrage, die an dieser Stelle unverhüllt hervortrat, von einer mehrheitlich linken Regierung nicht im Sinne der Bevölkerung, die sie gewählt hat, beantwortet wird, dann bleibt nur opportunistisches Manövrieren. Von daher hat die Dialektik von Reform und Revolution keinesfalls jegliche Bedeutung aufgrund der Unmöglichkeit letzterer verloren. Gerade weil die Überwindung herrschender Verhältnisse nicht in Reichweite ist, gilt es diesen Horizont aufrechtzuerhalten, um sich nicht aller begrifflichen und konzeptionellen Mittel zu entledigen, die den Blick über ihn hinaus ermöglichen.

Sahra Wagenknecht attestiert, daß europäische Politik nicht in Brüssel, sondern in den europäischen Hauptstädten gemacht wird, und fordert dazu auf, daß einzelne Länder das Brüsseler Regelkorsett durch Mißachtung durchbrechen oder dort in Kraft gesetzte Sanktionsinstrumente aberkennen. Um neue europäische Verträge zu erhalten, müsse man in den einzelnen Mitgliedstaaten beginnen, denn die Musik spielt in den Hauptstädten, so Wagenknecht, allerdings mit dem Nachsatz versehen, daß dies leider vor allem auf Berlin zutreffe. Daraus ließe sich fast ein internationalistisches Credo formulieren, denn die Handlungsmacht der Lohnabhängigenklasse ist selbst im gewerkschaftlichen Bereich weit weniger organisiert und ausgeprägt als das strukturelle und administrative Zusammenwirken der Mitgliedstaaten, die an einer Art EU-Räson arbeiten, wenn sie den Überschuß aus der Summe der Einzelstaaten als effizienten Machtfaktor in der globalen Konkurrenz entwickeln.

Es sei der Job der Linken, für Alternativen einzutreten, daß sei das Beste, was man für ein anderes Europa tun könne, so Wagenknecht auf der Suche nach einem Entwurf, den die klassen- und geostrategische Ratio dieser EU nicht enthalten kann, weil sie von vornherein antikommunistisch und wirtschaftsliberal konzipiert wurde. Die Partei Die Linke hat dies bislang nur unzureichend getan, überläßt sie die EU-Debatte doch ohne Not der AfD. Der anläßlich der Europawahl 2014 nicht nur von SPD-Chef Sigmar Gabriel, sondern auch führenden Mitgliedern der Partei erhobene Vorwurf, Die Linke verrichte mit ihrer Kritik an der EU das nationalistische Geschäft der Rechten, wäre mit dem grundsätzlichen Bekenntnis zu fundamental linken Prinzipien leicht zu kontern gewesen.


Sahra Wagenknecht auf dem Podium - Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Mühen der Ebene politischer Überzeugungsarbeit ...
Foto: © 2016 by Schattenblick

Daß sich die Partei Die Linke heute kaum mehr zu Imperialismus und Kapitalismus äußern mag und schon gar nicht darauf zu sprechen kommt, daß die wesentlichen Absichten EU-europäischer Großmachtambitionen von eben diesen Positionen getragen werden, ist durch ein Bekenntnis zu einem sozial gerechten und friedlichen Europa nicht aufzuwiegen. Das Bemühen Wagenknechts und De Masis, sich zum postnationalen Charakter der EU zu bekennen, verebbt ohne Kritik an den konstitutiven Gewaltverhältnissen ihrer Klassengesellschaften auf einem ideologischen Allgemeinplatz, dem nicht zuzustimmen ausgrenzende Wirkung haben soll. Die EU zu kritisieren, ohne zugleich die Nation stärken zu wollen, muß möglich sein, wenn die EU sich nicht all derjenigen Attribute bemächtigen soll, aufgrund derer Nationalismus ohne wenn und aber zu verwerfen ist.

So ist der Friede innerhalb der Europäischen Union nicht der zentrale Anlaß zu ihrer Formierung gewesen, sondern Ergebnis der unter maßgeblichem Einfluß der USA zustande gekommenen Nachkriegsordnung in Westeuropa und ihrem Ausbau zur antikommunistischen Front gegen die realsozialistische Staatenwelt. Die europäische Integration fand innerhalb der NATO statt und hatte die Remilitarisierung der Bundesrepublik ebenso zur Folge wie die kriegerische Zerschlagung Jugoslawiens unter Beteiligung des nach neuer Macht strebenden Deutschlands. Was heute mit der von Paech angesprochenen Militarisierung der EU stattfindet, ist sowohl in Konkurrenz zur NATO als in Kooperation mit ihr ein brandgefährliches Unterfangen, das den imperialistischen Charakter des Staatenbündnisses nicht besser dokumentieren könnte.

Warum also an seiner jetzigen Gestalt festhalten und nicht den der EU innewohnenden Nationalismus, der insbesondere in der dominanten, von der ökonomischen Schwäche anderer Mitgliedstaaten zehrenden Stellung der Bundesrepublik hervortritt, zum Anlaß nehmen, ihre Überwindung im Zeichen internationaler Solidarität offensiv zu fordern? Die Antwort liegt auf der Hand, wenn alle Welt weiß, daß die Kämpfe in der globalen Krisenkonkurrenz mit immer härteren Bandagen ausgefochten werden und Staaten, die nicht über erhebliche militärische und ökonomische Rückendeckung verfügen, Gefahr laufen, unter die Räder überlegener Konkurrenten zu geraten. Die erklärte Absicht der EU, Stärke in der globalen Konkurrenz zu entwickeln und zu beweisen, schürt die Angst, in ihr zu unterlegen, gerade auch bei denjenigen, die ohnehin wenig zu verlieren haben.

Es ist denn auch kein Zufall, sondern instinktsicherer Aggression geschuldet, wenn der Linkspartei ein ums andere Mal angelastet wird, vor allem mit der AfD um Wählerstimmen zu konkurrieren und ihr daher wesentlich ähnlich zu sein. Da mag Sahra Wagenknecht, wie auch an diesem Abend in Hamburg, noch so sehr erklären, daß die AfD vor allem aufgrund der neoliberalen und sozialfeindlichen Politik der Koalitionsregierung Zulauf erhält und daß die rechte Partei keinesfalls die Besserstellung der sozial schwachen Bevölkerung im Sinn hat, sondern es sich letztlich um den Wirtschaftsflügel der CDU handelt. Die Linkspartei wird diese Vorhaltungen nicht loswerden, wenn sie versucht, Avancen in Richtung politische Mitte - die aus früherer Sicht eindeutig rechts gelagert ist - zu machen und damit Regierungsfähigkeit zu erlangen, sondern sich dauerhafter ideologischer Disziplinierung aussetzen.

Wagenknecht und De Masi ließen es an Abgrenzungen zur rot-rot-grünen Option für 2017 nicht mangeln und erklärten unisono, kein Teil eines imaginären Lagers zu sein, zu dem mit SPD und Grünen die Konstrukteure der Agenda 2010 gehören. Die Linke selbst müsse stärker werden, und linke Politik sei nur möglich, wenn es eine gesellschaftliche Bewegung gibt, die Druck ausübt, so Wagenknecht, die die bloße Angst vor einer Rechtsentwicklung als unzureichenden, weil letztlich destruktiven Grund für eine Regierungsbeteiligung bezeichnete. Man könnte auch sagen, daß Antifaschismus ohne Antikapitalismus Gefahr läuft, durch die Hintertür hereinzulassen, was an der Haustür mit einem großen Schild abgewiesen wird.


Fahne 'Museum der Arbeit' - Foto: © 2016 by Schattenblick

Die Arbeit ins Museum einer virtuellen Zukunft?
Foto: © 2016 by Schattenblick

Den Burgfrieden EU-europäischen Vormachtstrebens aufkündigen

Von Versammlungen dieser Art klärende Diskussionen zu erwarten ist von vornherein verfehlt, bedeutete dies doch, einen ganz anderen Zeitrahmen zu setzen und möglichst auch die wenig egalitäre Struktur von Podium und Plenum aufzuheben. Zur Hervorhebung bestimmter Streitpunkte und Interessendivergenzen taugen sie allemal, wie auch an diesem Abend zu erleben war. Der Bedarf an Aufklärung nicht nur durch berufene und eigens dafür ausgebildete Geister, sondern vor allem eigenem Wissendurst und Erkenntnisstreben entsprechend, wächst im Grunde genommen mit der Virulenz herrschender Widerspruchslagen permanent an.

Diese Widersprüche beschränken sich keineswegs auf die soziale Frage in Deutschland, steht und fällt doch eine gerechtere Verteilungsordnung mit den Erträgen, die der deutsche Imperialismus macht, wenn er mit Kapitalexport, Lohndumping, Ressourcenausbeutung, Externalisierung ökologischer Belastungen und nicht zuletzt kriegerischer Gewalt die Renten und Renditen der Kapitaleigner steigert. Wer die Frage sozialer Reproduktion in einer Welt, die den globalen Markt zum zentralen Bezugspunkt aller Wertproduktion verallgemeinert, lösen will, ohne die massiven Produktivitätsunterschiede zwischen einzelnen Staaten, Regionen und Bevölkerungen einzuebnen, bleibt wohl oder übel Teilhaber an ihrer imperialistischen Zurichtung.

Fairer und gerecher Welthandel, wie von TTIP und CETA kritisierenden Aktivistinnen und Aktivisten verlangt, ist ein Ding der Unmöglichkeit, wenn das grundlegende Problem einer auf Tauschwertprozessen basierenden Marktwirtschaft nicht angegangen wird. Wachstum und Wettbewerb zu steigern, um im nationalen Gesamtprodukt Spielräume für soziale Umverteilung zu erwirtschaften, bleibt einem Kapitalismus verhaftet, in dem die Verwertung des Kapital um seiner selbst willen erfolgt und der sozialökologische Niedergang bestenfalls mit Wundpflästerchen bedacht, aber nicht zum Problem herrschender Produktionsverhältnisse erhoben wird. Das "Weiter so!" des Grünen Kapitalismus ist ebenso als Projekt der herrschenden Klasse zu kritisieren wie der Sozialrassismus einer Rechten, die alle unter ihr Joch preßt, die nicht begreifen wollen, daß das sozialdarwinistische Hauen und Stechen Inhalt und Ergebnis der zu ihren Lasten beantworteten Machtfrage ist. Wie sollte das mindestens 60 Millionen Menschen betreffende Problem notgedrungener Migration angemessen gelöst werden, wenn nicht der eigene Anteil an der ökonomischen und ökologischen Zerstörung ihrer Herkunftsländer aufgearbeitet wird?

Wenn eine im Bundestag vertretene Partei dazu geeignet ist, Prozesse anzustoßen und Strukturen zu schaffen, die emanzipatorische Gegenbewegungen möglich machen, ist es zweifellos Die Linke. Wie Luc Jochimsen aus ihrer Zeit als PDS-Abgeordnete im Bundestag berichtete, ist es ihnen damals durchaus gelungen, die bürgerlichen Parteien aus der Opposition heraus vor sich herzutreiben, indem Themen wie Mindestlohn, Renten und Frieden auf die Agenda gehoben wurden. Fundamentalopposition ist auch und gerade heute, wo der herrschende Block nach globalem Einfluß greift, vonnöten, um eine politische Verbindlichkeit zu schaffen, auf die sich oppositionelle und herrschaftskritische Menschen verlassen können. Warum also nicht den Mut dazu fassen, sich auf linke Prinzipien zu berufen, die nicht mehrheitsfähig sind, aber denjenigen, die sie in dieser Gesellschaft nach wie vor vertreten, auch in den Institutionen des Verfassungsstaates eine Stimme geben, um sich in widriger - und als Störfaktor bourgeoiser Selbstzufriedenheit durchaus widerspenstiger - Art und Weise einzumischen?


Veranstaltungsplakat - Foto: 2016 by Schattenblick

Foto: 2016 by Schattenblick


21. Dezember 2016


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