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ARMUT/151: Zahl der ärmsten Länder hat sich verdoppelt (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 48 vom 3. Dezember 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Zahl der ärmsten Länder hat sich verdoppelt
Mehr als 421 Millionen Menschen in "extremer Armut", Zuwachs von drei Millionen pro Jahr

Von Georg Polikeit


Die Zahl der ärmsten Länder der Welt hat sich in den letzten dreißig Jahren verdoppelt, und ebenso ist die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, heute doppelt so hoch wie 1980. Das sind die jüngsten Zahlen aus dem offiziellen "Report 2010" der UNO-Organisation UNCTAD ("Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung") über die "am wenigsten entwickelte Länder" ("least developed countries" LDC).

"Leider beheben die internationalen Unterstützungsmaßnahmen, die sie erhalten, faktisch weder ihre strukturellen Schwächen noch die Art und Weise ihrer Interaktion mit dem Weltwirtschaftssystem. Es ist also kaum überraschend, dass es im Lauf der letzten dreißig Jahre nur zwei Staaten gelungen ist, aus der Kategorie der LDC auszuscheiden und dass sich in der gleichen Zeit die Zahl der in dieser Kategorie verzeichneten Länder verdoppelt hat", heißt es wörtlich in der vom Generalsekretär der UNCTAD am 25. November 2010 am Sitz der Organisation in Genf veröffentlichten "Allgemeinen Übersicht" (Seite 3-4)

Die Liste der "am wenigsten entwickelten Staaten" umfasst gegenwärtig 49 Staaten. In sie aufgenommen werden Staaten, in denen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf der Bevölkerung weniger als 900 Dollar pro Jahr beträgt. Außerdem werden bei der Einstufung zusätzliche Kriterien wie Ernährungs- und Gesundheitsdaten, Grad des Schulbesuchs, Agrarproduktion und Außenhandelssituation berücksichtigt.

Selbst in den Jahren vor der jüngsten Weltwirtschaftskrise, als in der Weltwirtschaft ein starkes Wachstum zu verzeichnen war, heißt es in dem Bericht weiter, hat sich die Zahl der Menschen, die in diesen Ländern in extremer Armut leben müssen, "in der Periode von 2002-2007 um mehr als 3 Millionen pro Jahr" (!) vergrößert. "Die Hauptcharakteristik, die aus dieser Analyse hervorgeht, ist die Omnipräsenz und Dauerhaftigkeit der Massenarmut. Im Jahr 2007 lebten 53 Prozent der Bevölkerung dieser Länder in extremer Armut (das heißt mit weniger als 1,25 $ pro Tag) und 78 Prozent mit weniger als 2 Dollar pro Tag". Insgesamt sind 421 Millionen Menschen weltweit davon betroffen (Quelle wie oben, S. 8 u. S. 15). Die Verfasser ziehen aus diesen Fakten den Schluss, dass "das Entwicklungsmodell, das bisher vorherrschend war, gescheitert" ist und neu durchdacht werden muss. Der Bericht versucht auch, die Ursachen dafür zu benennen. In den letzten dreißig Jahren hätten die LDCs "eine Entwicklungsstrategie verfolgt, deren Ziel es war, die schöpferische Kraft der Marktmechanismen freizusetzen, indem die Rolle des Staates im Entwicklungsprozess reduziert wurde". Doch die damit umschriebene neokolonialistische und neoliberale Ausrichtung der "Entwicklungspolitik", die sich vorwiegend auf den Export von Rohstoffen (Öl, Mineralien) konzentrierte, habe weder zu einem starken Anstieg der Investitionen und zur Kapitalbildung in den Ländern selbst, noch zu einer spürbaren Verringerung der Armut geführt. Statt dessen habe es sie für die Schwankungen der Weltwirtschaft anfälliger gemacht, weil ihre Abhängigkeit von Rohstoffexporten bei gleichzeitigem Zwang zum Import von Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs dadurch größer wurde. Als die Preise für Grundstoffe Ende 2008 plötzlich fielen und eine Rezession der Weltwirtschaft ankündigten, habe es in zahlreichen LDCs "eine brutale Verlangsamung" gegeben, "die schwere soziale Konsequenzen hatte". Dies habe gezeigt, dass die Länder zwar Reichtümer hervorbrachten, die Märkte aber "auc h eine zerstörerische Wirkung hatten".

Die Autoren des Reports verfechten deshalb die Ansicht, dass nicht nur die internationalen Entwicklungshilfemechanismen verbessert werden müssen, sondern eine völlig neue "internationale Entwicklungsarchitektur" für diese Länder notwendig werde. Diese dürfe "nicht allein auf den Handel und insbesondere den Zugang zu den Märkten" orientiert sein, sondern müsse auch "die Entwicklung der produktiven Kapazitäten in den LDCs selbst fördern". Eine stärkere Ausrichtung auf "heimische Produktionskapazitäten" sei entscheidend für die Schaffung von besser bezahlter Beschäftigung. Da die Bevölkerung dieser Staaten expandiere, brauchen viel mehr Menschen jedes Jahr Arbeitsplätze und suchen immer mehr Menschen Arbeit außerhalb der Landwirtschaft. Deshalb sei eine "investitionsorientierte Wachstumspolitik" in diesen Ländern erforderlich. Dass dies allerdings ohne einen entschiedenen Bruch mit den derzeitigen "Wachstumsmodellen" der kapitalistischen Weltwirtschaft und vor allem der wirtschaftsbeherrschenden transnationalen Konzerne nicht möglich sein wird, bleibt in dem UNCTAD-Report allerdings unerwähnt.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 48,
vom 3. Dezember 2010, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Dezember 2010