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ARMUT/195: Entwicklung - China bei der Armutsbekämpfung führend (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Juli 2013

Entwicklung: China bei der Armutsbekämpfung führend - Die größten Erfolge vor Verabschiedung der MDGs

von Thalif Deen


Bild: Mitch Moxley/IPS

Chinas Netz an Hochgeschwindigkeitszügen ist das größte der Welt
Bild: Mitch Moxley/IPS

New York, 2. Juli (IPS) - Die Vereinten Nationen haben China als die größte Erfolgsgeschichte im Kampf gegen die Armut herausgestellt. So ist es dem mit 1,3 Milliarden Menschen bevölkerungsreichsten Land der Erde gelungen, die extreme Armut von 60 Prozent 1990 auf 16 Prozent 2005 und zwölf Prozent 2010 zu drücken.

Im Subsahara-Afrika und in Südasien hingegen sei die Armut noch weit verbreitet, obwohl die zweite Weltregion substanzielle Fortschritte erzielen konnte, heißt es in dem am 1. Juli in Genf veröffentlichten Bericht über die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) 2013. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon würdigte die MDGs als den "erfolgreichsten globalen Anti-Armuts-Vorstoß der Geschichte".

Die Untersuchung widmet sich den Erfolgen und Misserfolgen der im Anschluss an den New Yorker UN-Millenniumsgipfel im Jahr 2000 formulierten MDGs. Sie sehen bis 2015 die Halbierung von Armut und Hunger, Grundschulbildung für alle, die Gleichstellung der Geschlechter und Stärkung der Rolle der Frau, die Senkung der Kindersterblichkeit und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung von Müttern vor, ebenso die Bekämpfung schwerer Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria, die Sicherung der ökologischen Nachhaltigkeit und den Aufbau einer globalen Entwicklungspartnerschaft zwischen den Ländern des Nordens und Südens.


Gemischte Erfolgsbilanz

Trotz bemerkenswerter Fortschritte auf globaler Ebene etwa in den Bereichen Gesundheit und Hungerbekämpfung leben dem MDG-Bericht zufolge nach wie vor 1,2 Milliarden Menschen in extremer Armut. Auch sind die Fortschritte bei der Umsetzung der MDGs zum Teil sehr ungleich verlaufen. Das gilt sowohl für die Weltregionen als auch für Bevölkerungsgruppen in einzelnen Ländern.

In der Studie heißt es ferner, dass sich der Zugang zu sauberem Trinkwasser für mehr als zwei Milliarden Menschen verbessert habe. Ebenso konnten im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose bedeutsame Erfolge erzielt werden. Doch auf der Soll-Seite ist von einer ernsthaften Gefahr für die ökologische Nachhaltigkeit die Rede, von viel zu vielen Kindern ohne Zugang zu Bildung und von überall versiegenden Hilfsgeldern, was sich besonders in den ärmsten Ländern der Welt bemerkbar mache.

Roberto Bissio, Koordinator der internationalen Entwicklungsorganisation 'Social Watch', wies im IPS-Gespräch darauf hin, dass sich die Verringerung der Einkommensarmut, der einzigen größeren Errungenschaft der MDGs, fast exklusiv auf China beschränkt. "Allerdings vollzog sich diese Entwicklung zum größten Teil bereits vor dem Jahr 2000 und kann nicht wirklich als MDG-Erfolgsgeschichte verkauft werden", sagte er.

Bissio sprach zudem von einem rein statistischen Sieg, weil die Zielvorgaben gelockert worden seien. "Während die Millenniumserklärung von 2000 klar festhält, dass 'mehr als eine Milliarde Menschen derzeit der extremen Armut ausgesetzt sind' (Paragraph elf)" und deshalb fordert, 'den Anteil der Armen, die über Einkommen von unter einem US-Dollar pro Tag verfügen (Paragraph 19), bis 2015 zu halbieren', bezieht sich das erste MDG auf einen Zeitraum von 1990 bis 2015."


Wirklichkeitsverzerrendes Zahlenspiel

Auf diese Weise sei die Messlatte niedriger gehängt worden, kritisiert Bissio. Dies wiederum habe der Weltgemeinschaft die Gelegenheit gegeben, die Umsetzung des Ziels, die Armut zu halbieren, bereits 2010 bekannt zu geben. Dabei lebten zu diesem Zeitpunkt 1,3 Milliarden Menschen in extremer Armut - 30 Prozent mehr als noch im Jahr 2000.

Shobha Das, Programmleiterin der 'Minority Rights Group' (MRG) mit Sitz in London, erklärte gegenüber IPS, dass die MDGs erfolgreich dazu genutzt worden seien, einen weltweiten globalen Diskurs in Gang zu bringen. "Auch wenn eine Menge erreicht werden konnte, haben die MDGs jedoch, was die Verbesserung der Lebensbedingungen von Minderheiten und indigenen Völkern angeht, versagt", monierte sie.

In Uganda beispielsweise sind die Unterernährungsraten bei den Hirtenvölkern größer als bei anderen Bevölkerungsgruppen. In Peru wiederum liegt der Anteil afroperuanischer Kinder, die die Grundschule beenden, unterhalb des nationalen Durchschnittswerts.

Diese Disparitäten führt Das auf den Umstand zurück, dass Regierungen den leichtesten Weg eingeschlagen haben, um die MDGs möglichst zum Erfolg zu führen. Die Bevölkerungsgruppen, die wie Minderheiten weniger leicht zugänglich seien, habe man weitgehend ausgeblendet.

"Es gilt jedoch diese Ungleichheiten im Auge zu behalten, wollen wir die Nachhaltigkeitsziele (SDGs) zum Erfolg führen", meinte Das. Die MDGs sind die Nachfolgeziele der MDGs. "Ohne konkrete Vorgaben, die Ungleichheit zu reduzieren und die Entwicklungsdividenden gerecht zu verteilen, wird sich das Scheitern der MDGs für die Minderheiten und indigenen Völker nach 2015 wiederholen."

Tom Berry von den 'Development Initiatives' zufolge, einer auf Entwicklungsdaten spezialisierten Organisation, haben die MDGs einen klaren und einfachen Rahmen vorgegeben, der erfolgreich Unterstützung für die Bekämpfung der Armut mobilisieren konnte. Dadurch habe man die finanziellen Zuwendungen erhöhen und die Entwicklungsbemühungen der unterschiedlichen Akteure besser koordinieren können.

Berry zufolge haben die MDGs das Leben vieler Menschen positiv verändert. So sei die Zahl der in absoluter Armut lebenden Menschen um 700 Millionen zurückgegangen. Auch hätten zwei Milliarden Menschen Zugang zu Wasser, und die Sterblichkeitsrate durch Malaria sei um 25 Prozent gesunken.


Entwicklungserfolge verlangsamen sich

Bissio zufolge zeigen die Analysen seiner Organisation und die anderer unabhängiger Forscher, dass sich Fortschritte etwa im Kampf gegen Säuglingssterblichkeit und für Grundschulbildung in den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts schneller eingestellt hätten als nach 2000 mit seinen MDGs.

Die Weltbank und die verschiedenen Entwürfe für die Post-MDG-Agenda halten fest, dass es erstmals möglich sei, die extreme Armut bis 2030 vollständig auszurotten. Doch Bissio erinnert daran, dass der ehemalige Weltbankpräsident Robert McNamara bereits 1973 das "ehrgeizige Ziel" gesetzt habe, die absolute Armut bis zum Ende des Jahrhunderts auszurotten.


Faire Schadensbekämpfung

Damals lag die Armutsgrenze noch bei 0,30 US-Cent pro Tag. Würde sie an die derzeitige Inflationsrate angepasst, würde sie sich auf 1,75 Dollar belaufen. Würde das derzeitige Wirtschaftswachstum ebenfalls berücksichtigt, beliefe sich die Rate auf über zwei Dollar. Doch stattdessen habe man die Messlatte erneut abgesenkt, indem die Armutsgrenze auf 1,25 Dollar festgelegt worden sei, moniert Bissio.

Paradoxerweise ist vom Internationalen Währungsfonds (IWF) derzeit zu hören, dass die Armut in den Industriestaaten und die Ungleichheit überall auf der Welt der Erholung der globalen Wirtschaft hinderlich sind.

"Eine neue Entwicklungsagenda sollte sich auf die Ungleichheiten, auf soziale und Geschlechtergerechtigkeit und den Respekt gegenüber den Grenzen des Planeten fokussieren", so Bissio. Die Kosten für die Behebung der Schäden, die durch nicht nachhaltige Produktions- und Konsummuster entstanden seien, müssten die Verantwortlichen fair untereinander aufteilen.

Auf die Frage, an welchen Punkten die MDGs gescheitert seien, antwortete Berry, dass die ärmsten und marginalisiertesten Gruppen außen vor geblieben seien. Auch seien die MDGs nicht ehrgeizig genug gewesen. Anstatt die extreme Armut zu halbieren, hätte man sich deren Ausrottung zum Ziel setzen sollen. Auch habe es an klaren Verpflichtungen für die reichen Länder gefehlt. Wichtige Themen wir Klimawandel, gute Regierungsführung, Transparenz und Rechenschaftspflichtigkeit seien ignoriert worden. Berry zufolge bieten die Nachhaltigkeitsziele im Anschluss an die MDGs eine gute Gelegenheit für einen ganzheitlichen Ansatz. (Ende/IPS/kb/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2013