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ARMUT/225: Die Altersarmut ist sicher (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 44 vom 4. November 2016
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die Altersarmut ist sicher
Da hilft auch die Scheinlösung Betriebsrente nicht

Von Klaus Wagener


Die Herren Schröder, Riester und Müntefering können sich feiern lassen. Einen derartigen Bombenerfolg hatte selten eine Bundesregierung: Die arbeitenden Menschen werden ärmer. "Wir haben den besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt", prahlte Schröder 2005 in Davos "Ja, Glückwunsch". Und er wird immer besser.

Schröder, wie immer von sich selbst begeistert, hätte rufen können: "und einen Niedrigrentensektor gleich dazu!" Und nun muss selbst die erfolgreichste Bundesregierung aller Zeiten den grandiosen Erfolg von Rosa-Oliv einräumen: Auch die alten Menschen werden ärmer werden. Was auch ein Bildungsrepublik-Deutschland-Geschädigter mit dem schlichten Dreisatz ausrechnen kann, hat nun auch die zuständigen Ministerin, Andrea Nahles langwierig ermittelt. Dass nämlich eine Bruttorente von 43 Prozent des Nettolohns, wie in 2030 erreicht, ein Einkommen von Netto 1.900 Euro erfordert, um - als Single - überhaupt aus der Grundsicherung zu kommen. Und das bei einer lückenlosen Erwerbsbiographie von 45 Jahren. Bei Verheirateten wären es schon 3.200 Euro. Jeder, der diese Einkommen nicht realisiert, kann sich das Arbeiten für die Rente komplett sparen. Schröder & Co. haben die Altersarmut mit dem "Riesterfaktor" zielgerichtet vorprogrammiert, um der Exportindustrie mit niedrigen Lohn"neben"kosten und um den Maschmeyers mit Riestersubventionen zu Milliardengeschäften zu verhelfen. Es ist ihnen geglückt.

Frau Nahles möchte natürlich hinter den Heldentaten ihrer berühmten Parteigenossen nicht zurückstehen und beklagt, dass nicht einmal die Hälfte der zukünftigen Rentner privat vorsorgen. Also verlorenem Geld nicht noch weiteres hinterherwerfen. Da Einnahmen aus einer privaten Rentenversicherung in jeder Hinsicht voll angerechnet werden, würde, wenn jeder, der mit seiner Rente nicht ohnehin oberhalb der Grundsicherung liegt, mit seinen teuer erworbenen "privaten Vorsorge" allenfalls die Staatskasse entlasten. Wer also schon zwangsweise sinnlos in die Rentenkasse eingezahlt hat, würde dies noch dadurch toppen, indem er auch noch freiwillig den Maschmeyers sein Geld in den Rachen wirft.

Ab 2030, hat Frau Nahles, vermutlich ebenfalls mit einer teuren Studie, herausgefunden, was jeder ohnehin weiß. Es geht, dank Riester, auch danach weiter abwärts mit dem Rentenniveau. Die aktuell ausgezahlte Durchschnittsrente liegt bei 822 Euro. Also schon jetzt in der Nähe der Grundsicherung. Ein großer Teil der Rentner dürfte seinen Grundsicherungsanspruch wohl nur aus psychologisch-emotionalen Gründen nicht realisieren. Das wird sich bei einem weiteren Absinken des Rentenniveaus wohl kaum durchhalten lassen. Mit Norbert Blüm könnte man sagen: Die Altersarmut ist sicher.

Wie immer, wenn es um reaktionäre Veranstaltungen geht, muss die Bevölkerungswissenschaft, heute verschämt Demographie genannt, herhalten. Mal starben die Deutschen aus, mal brauchten sie neuen Lebensraum. Nun werden sie zu alt und können sich das nicht leisten - seit Thomas Robert Malthus Zeiten ist in solchen Fällen die Bevölkerungswissenschaft mit wunderbaren Statistiken und Modellen zu Diensten.

Die Realität ist eine andere. Das Nettovermögen, derjenigen, die in Deutschland Vermögen haben, liegt laut Bundesbank bei 8.400 Mrd. Euro. Allein der Außenhandelsüberschuss beträgt 310 Mrd. Euro. Deutschland, genauer wir 99 Prozent, leben so sehr unter unseren Verhältnissen, dass das Ausland sich in dieser Größenordnung verschulden muss, damit die Wirtschaft ihre Produktion absetzen kann. Die Effekte der Produktivitätssteigerung haben seit Malthus diejenigen der Demographie um Dimensionen übertroffen.

Eine Gesellschaft kann nicht sparen. Erst recht nicht in Aktien oder Wertpapieren. Die Menschen im arbeitsfähigen Alter müssen zu allen Zeiten immer diejenigen, die noch nicht können und diejenigen, die nicht mehr können, mitversorgen. Wie sie selbst auch jung waren und alt sein werden.

Selbstverständlich könnte sich der Exportweltmeister Bundesrepublik eine zivilisierte Alterssicherung leisten. Er können sich noch weit mehr leisten. Eine exzellente Bildung, ein hervoragendes Gesundheitssystem und eine solide Infrastruktur beispielsweise. Wenn es denn wirklich solidarisch zuginge und sich alle, entsprechend ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten, an der Finanzierung beteiligten. Wir leben in einer Klassengesellschaft. Davon kann natürlich keine Rede sein.

Die Thematisierung des sinkenden Rentenniveaus war bislang immer die propagandistische Begleitmusik zu weiteren Strukturverschlechterungen. Auch jetzt haben sich die Lobbyverbände und Pressure Groups der Unternehmerverbände mit ihren Parolen gegen das wenig-profitverträgliche Ablebeverhalten der Alten in Stellung gebracht. Es gilt eventuelle Sanierungsmaßnahmen der gesetzlichen Rente zu verhindern und stattdessen zu einer Höhersetzung des Renteneintrittsalters (konkret einer Rentenkürzung) über die 67 Jahre hinaus, zu einer Pflicht zu "riestern" oder zum Ausbaus einer (in relevanten Größen nur für wenige real erreichbaren) Betriebsrente aufzurufen. Bedauerlicherweise lässt auch der DGB mit seiner Fokussierung auf die "Kernbelegschaften" eine konsequente Position zum Ausbau und finanziellen Stärkung der gesetzlichen Alterssicherung vermissen. Wie es aussieht hat nach dem Riesterbetrug nun die Betriebsrente die größten Chancen zur nächsten PR-Nummer der Bundesregierung ("Gut leben in Deutschland") aufzusteigen. Wenn sich von unten nichts tut, ist das Elend programmiert.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 48. Jahrgang, Nr. 44 vom 4. November 2016, Seite 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2016

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