Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAGEN/008: Schwarze Frauenbewegung in Deutschland - Interview mit Peggy Piesche, Teil 1 (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 125, 3/13

"Euer Schweigen schützt euch nicht"
Interview mit Peggy Piesche (Teil 1)[*]

Von Jule Fischer



Im Juni 2013 war die Wissenschaftlerin und Autorin Peggy Piesche auf Einladung von der Frauensolidarität und dem Referat für Genderforschung in Wien. Aus diesem Anlass führte Jule Fischer von der Frauensolidarität mit Peggy Piesche ein Interview über die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland, die "Kinderbuchdebatte", über Scham, Schuld und Tabus und das Schweigen weißer Frauen. Der zweite Teil wird in der kommenden Ausgabe (Nr. 126) der "Frauensolidarität" erscheinen.


Jule Fischer: Peggy, vor zwei Tagen hast Du aus der von Dir herausgegebenen Anthologie "Euer Schweigen schützt Euch nicht: Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland" gelesen. Davor hast du viel zur "Kritischen Weißseinsforschung" in Deutschland gearbeitet. Woran arbeitest du momentan, was interessiert dich gerade theoretisch?

Peggy Piesche: Ich fange gerade eine neue Stelle in Bayreuth in der Academy for Advanced African and Diaspora Studies an, und das finde ich eine ganz wunderbare Herausforderung, denn ich hab so das Gefühl, dass alles, woran ich in den letzten Jahren gearbeitet habe, gerade kulminiert und sich in einem theoretischen Raum fokussiert. Es geht bei dieser Arbeit um eine "notion of future from an African-diasporic perspective", bearbeitet von einer interdisziplinären internationalen Forschungsgruppe. Mein Arbeitstitel lautet dabei: "Diasporas on the move". Es geht also darum, wie die Übergänge von diasporischen Communities sich gerade - auch im Internet - in den verschiedenen Medien gestalten. Das finde ich momentan sehr aufregend. Wir fangen gerade damit an. Das interessiert mich schon seit Längerem und trifft den transnationalen Aspekt von Diaspora, den Audre Lorde mit einem Schwarzen Internationalismus gemeint hat.


Jule Fischer: Du hast in den letzten sechs Jahren in den USA gelebt. Wie ist die Verbindung zur Schwarzen Frauenbewegung in Deutschland während dieser Zeit gewesen, wie ist sie heute?

Peggy Piesche: Ja, vielleicht ist das schon eine Referenz, zum einen, dass dieses Theorem einer transnationalen Diaspora stimmig ist und auch funktioniert, und zum anderen, dass wir auch leben, was wir theoretisieren oder worüber wir schreiben, wie wir Bewegung auch kulminieren. Ich würde fast sagen - und das ist überhaupt nicht mein Verdienst -, dass ich in einer sehr sehr positiven Form gar keine andere Chance hatte, als weiterhin in Kontakt zu bleiben. Das ist schon ganz kraftvoll, ganz "powerful". Ich komme jetzt zurück und habe meine Schwarzen ADEFRA-Räume, in aller Komplexität. Sie haben zu Recht auch über all die Jahre den Anspruch an mich gestellt, dass ich mich nicht einfach ausklinken kann und dann irgendwo im Hinterland verschwinde. Das ist ja auch gerade das Schöne an politischen Communities. Ich habe da mein Korrektiv, das mich wieder zurückholen kann. Kontakt hatte ich immer: das ist meine Familie, meine selbst gewählte Familie.


Jule Fischer: In Berlin hat sich viel getan, es gibt viel mehr Räume für Schwarze Frauen. Wo bündelt sich die Schwarze Frauenbewegung derzeit?

Peggy Piesche: Eigentlich kann man die Frage so nicht stellen, denn mit dieser normativen Verortung, der Frage, wo die festen Stellen der Bewegung sind, kann sie nicht beschrieben werden. Die Bewegung ist in Generationen gewachsen, also die Bewegung aus den Anfängen, und sie hat keine physischen Räume in dem Sinn. Es gibt nicht diesen Raum mit Vereinsstruktur, wo man anklingeln kann. Das hat sich eigentlich für uns von ADEFRA als nicht so produktiv herausgestellt, weil es unsere Kräfte auf eben diese sehr normativen Strukturen bündelt und diese füttert. Was wir stattdessen sehen, ist, dass diese Bewegung in Diskurs gegangen ist, und das finde ich viel, viel einflussreicher, viel, viel nachhaltiger.

Das ist mir noch mal richtig deutlich geworden bei der Arbeit an der Anthologie, wie viele Diskurse beeinflusst wurden, Diskurse überhaupt erst mal geschaffen wurden, im Sinne von "in die Sichtbarkeit getragen wurden". Das wird in Texten deutlich. Und es ist auch wichtig, sich immer mehr an der Akademie, an den Universitäten zu verorten, weil wir ja auch wissen, wie die Mechanismen von Wissensproduktion und Wissensreputation funktionieren. Wissensproduktion findet überall statt, aber Wissensreputation nicht. Das ist bedeutungsvoll für nachfolgende Generationen.

Wenn wir jetzt Schwarze Student_innen sehen, die in einer so angenehmen Selbstverständlichkeit Themen bearbeiten können oder zum Beispiel Maisha Eggers als Professorin ansprechen können, ob diese Arbeiten betreuen könnte von Bachelors, Masters bis hin zu Dissertationen, und wir dann zurückdenken an die 1980er-Jahre, dann ist das schon beachtlich. Ein Teil von "Farbe bekennen" war ja auch May Ayims Diplomarbeit, die nicht angenommen wurde, die einfach mit einem "Damit können wir hier nichts anfangen, damit kannst du in die USA gehen" abgespeist wurde. Ich mag zwar die Phrase "Wir sind einen langen Weg gekommen" nicht so, aber daran sieht man den Einfluss dieser Bewegung. Und das ist mir viel wichtiger: Diskurse, sich darin zu verankern, Geschichtlichkeit auszugraben. Ich finde ja immer, dass wir wie Archäologinnen sind. Wir graben etwas aus, was mutwillig verdeckt und mit Dreck überschüttet wurde. Und wir machen es zugänglich für nachfolgende Generationen. Das funktioniert gerade an den Universitäten, weil dies oft die Wege sind, wo Wissensakkumulation sich bewegt, aber auch in anderen Settings wie in der Malerei, im Theater, in der Musik, im Tanz - das finde ich sehr wichtig.


Jule Fischer: Angestoßen wurde durch die Schwarze Frauenbewegung in den letzten Monaten auch die Debatte um rassistische Benennungen in Kinderbüchern. Die Reaktionen in den deutschen Medien waren hauptsächlich "jenseitig". Vor allem ging es um das Herausstreichen rassistischer Begriffe, wie des N-Wortes. Bleibt nicht eher zu hinterfragen, ob nicht das gesamte Setting, die Beschreibungen an sich rassistisch sind, es also nicht reicht, einzelne Wörter zu streichen? Sollten diese Bücher besser nicht verlegt und lieber gewartet werden, bis politisch sensible Kinderbücher erscheinen? Oder sollten sie weiter verlegt werden, zum Beispiel mit einem entsprechenden Zusatz, der Erwachsene und Kinder in die Reflexion einspannt?

Peggy Piesche: Erstmal finde ich ja diese Debatte um die Kinderbücher auch ein sehr gutes Beispiel dafür, wie die Community funktioniert bzw. für die emotionale und intellektuelle Kraft, die darin steckt. Aber es ist auch ein Beispiel, das uns zeigt, was wir alles immer noch tun müssen. Letztendlich sieht man darin sehr schön - und darauf hat Maisha Eggers auch verwiesen -, dass es keine intellektuelle Debatte war, die von irgendwelchen "abgedrehten entzogenen Theoretiker_innen" kam, sondern vor allem Schwarze Kinder, Schwarze Familien haben gesagt, es kann ja wohl nicht angehen, dass wir immer noch damit konfrontiert werden. Die Reaktionen zeigen nicht nur, wie tiefgreifend banal und widerlich der Rassismus in der deutschen Gesellschaft immer noch ist, sondern sie verweisen uns auch noch mal darauf, was eigentlich Schwarzen Menschen in so einer Gesellschaft abverlangt wird. Das sind Familien, das sind Menschen, die wollen einfach nur abends ein Kinderbuch vorlesen. Die haben einen Job gemacht wie du und andere, die haben ein Alltagsleben und genug damit zu tun. Und dann müssen sie abends noch in Personalunion im Prinzip Rassismusdebatten kindgerecht herunterbrechen, einen deutschen Literaturkanon auseinandernehmen und, wenn das Kind endlich eingeschlafen ist, sich auch noch als "intellektuelle Redakteur_innen" hinsetzen und sich dann auch noch gefallen lassen, dass sie ja sowieso nichts dazu zu sagen hätten. Das Ganze zeigt, welche enorme Leistung Schwarze Menschen jeden Tag aufbringen, um hier einigermaßen menschenwürdig existieren zu können. Auf den ganz normalen Job, der oft ein Doppel- bzw. Dreifach-Job ist, folgen diese Arbeiten. Das ist enorm!

Es ist wichtig, das im Kopf zu behalten, denn die Frage "Was muss getan werden?" oder "Ist es jetzt nicht an der Zeit, endlich mit diesen Büchern aufzuhören?" ist dann auch wieder an diese Menschen gerichtet. Ja, ich finde auch, dass etwas getan werden muss und wir schon längst einen Punkt erreicht haben, an dem wir nicht einfach mehr Altes tradieren können. Das Problem ist jedoch, dass dies nicht unser Job ist! Das ist der Job der Mehrheitsgesellschaft, der weißen Gesellschaft. Aber da wird natürlich nichts passieren. Wir sehen es ja. Wir sind ja nicht erst letztes Jahr aufgewacht und haben gesehen, was da alles in den Büchern ist.

Und als Literaturwissenschaftlerin geht es mir überhaupt nicht um ein Verbot, sondern um eine Historisierung. Vor allem im deutschen historischen Kontext kann das Ziel nicht sein, etwas auf den Index zu setzten. Aber wie gesagt, ich finde nicht, dass das unser Job sein sollte, sondern der von Verlagen. Das heißt, wenn die sich entscheiden, diese Kinderbücher noch zu verlegen, sollten sie sie auch mit Glossaren versehen. Da können sie entsprechend fitte Leute ansprechen. Das sollten wir nicht hintragen müssen! Es gibt genug Leute, die auf diesen Gebieten arbeiten, die das studiert haben, die dazu forschen, sei es Geschichte, Kolonialgeschichte, sei es zu medialer Repräsentation, sei es Erziehungswissenschaft oder Kindheitsentwicklung. Diese Expert_innen können ein Glossar verfassen, das entsprechend zugänglich ist für das Medium Kinderbuch.

Gleichzeitig gehört dieses Thema, diese Debatte an die Schulen, gehört das in die Schulbücher. Genauso wie wir uns Gedanken darüber machen mussten, wie man den Holocaust herunterbricht und es auch Kindern beibringt, genauso müssen wir uns Gedanken darüber machen, den Kolonialismus so runterzubrechen, dass er kindgerecht verständlich ist, damit Kinder im Alltag verstehen, dass es eben nicht okay ist, irgendwelches Schaumgebäck mit N-Wörtern zu verlangen. Sie sollten die Referenzen verstehen, wenn eine Schokolade buchstäblich eine direkte Kolonialreferenz hat. Sie müssen das nicht schulmäßig runterrattern können, aber ein Verständnis entwickeln können. Dann haben wir vielleicht in einer Generation auch nicht mehr so viele buchstäblich ignorante Reaktionen.

An den Reaktionen in der Kinderbuchdebatte sieht man aber auch diesen Moment der Entlarvung: "Meine Güte, ich bin jetzt ertappt worden bei etwas, wovon ich keine Ahnung habe. Ich kann nicht reagieren." Und dann geht man sofort in das Kontraproduktive und zieht sich auf die Definitionsmacht zurück: "Du hast kein Recht, das anzugreifen, du willst mir meine ganze Geschichte wegnehmen, wer bist du eigentlich..." usw.


Jule Fischer: Eigentlich braucht es "queeres" Denken und Handeln, also den Willen, sich der Unsicherheit auszuliefern, etwa indem die Anker der eigenen Vergangenheit, wie eben diese Kinderbücher, auch herausgerissen werden können.

Peggy Piesche: Ja genau, und das ist wieder eine andere Aufklärungsebene. Ich sagte ja schon bei dem Vortrag, dass wir endlich kollektiv verstehen müssen. Geschichte ist eine kollektive Verantwortung und keine persönliche Schuld. Ich bin wirklich nicht an Scham- und Schuldzuweisung interessiert. Manchmal ist Scham ganz gut. Für Sachen muss man sich auch ab und zu schämen, denn dies hat auch ein kathartisches Element. Wenn man das überspringt, dann sieht man nur, dass Reaktionen lediglich künstlich sind. Es ist so schade, dass gerade im deutschen Kontext dies so wenig verstanden wird.

Schauen wir in den US-amerikanischen Kontext und den Umgang mit der Sklaverei: Heutzutage ist niemand mehr persönlich für die Geschichte der Sklaverei verantwortlich, die Verantwortlichen sind alle tot. Aber was ich mit der Geschichte mache, wo ich mich in ihr verorte, da ist eine dünne Linie zwischen Beteiligung, also einer privilegierten Beteiligung und damit auch Reproduktion dieser Machtverhältnisse, oder ob das als kollektive Verantwortung verstanden wird.


Jule Fischer: Es gab nach deiner Lesung eine Meldung, die sehr stark von Scham und Schuld geprägt war - zum einen über eine weiße Frau, die das N-Wort benutzt hat, aber auch über das eigene Sein, Sprechen dort. Was kann die Scham, bzw. was kann sie nicht?

Peggy Piesche: Na ja, die Frage ist: Wer war da eigentlich angesprochen? Wer war da adressiert, an wen hat die Frau sich gewendet? Ich habe ja auch deswegen diese persönliche Scham zurückgewiesen und gesagt, dass es das nicht sein kann, worum es geht, sondern um Transformation im Handeln. Mein Gefühl war eher, dass hier eigentlich die Schwarze Community im Raum gerade als Vehikel benutzt wurde, um sich von der anderen weißen Frau zu distanzieren, die gerade den großen Fauxpas begangen hat. Und ein Fauxpas ist immer nur im Kontext von Tabu denkbar, wenn jemand ein Tabu überschreitet. Und die Person, die darauf hinweist, dass eine andere einen Fauxpas begangen hat, will eigentlich das Tabu aufrechterhalten. Und daran bin ich nicht interessiert. Das ist Macht erhaltend, das ist Macht fortschreibend:

Sie hat im Prinzip in zwei Richtungen geredet. Die offenkundige, aber eigentlich oberflächliche Richtung war zu uns, den Schwarzen Frauen auf der Bühne: zu sagen, ich schäme mich so sehr für diese andere weiße Frau. Aber eigentlich ging es darum, der anderen weißen Frau Bescheid zu geben: Mensch, so geht das nicht, jetzt sind wir hier in diesem peinlichen Setting, und eigentlich bin ich total sauer, dass ich jetzt sagen muss, dass ich mich schäme, denn du hast dieses Tabu verletzt. Ehrlich gesagt, nervt mich das eher. Es ist mittlerweile genug da, oder - wie Belinda Kazeem immer sagt - es liegt alles auf dem Tisch. Ihr könnt euch das alles abholen: Texte, aber auch Diskurse, es liegt ja alles schon vor.

Die Notwendigkeit von so einer Auseinandersetzung beginnt nicht, wenn ein Schwarzes Gesicht in den Raum tritt. Die Notwendigkeit beginnt, wenn weiße Frauen miteinander sind, wenn sie über Backrezepte reden oder irgendwas. Wenn da konstant und kontinuierlich Rasse ausgeschaltet ist und es immer nur reinkommt, wenn ich symbolisch in den Raum trete, dann haben wir ein Problem, und genau das wurde dann deutlich. Diese Diskussion wäre anders verlaufen, wenn die beiden untereinander gesprochen hätten. Ich hätte mir eher eine konstruktive, also eine inhaltlich konstruktive Bemerkung gewünscht, denn das ist nicht mein Job, das ist nicht Belindas Job.


Jule Fischer: Ihr zu erklären, warum das N-Wort nicht zu benutzen sei, wäre in dem Moment schwierig gewesen, weil sie ja gerade darauf hingewiesen hatte, wie gut sie es findet, wie sich die Sprache verändert hat...

Peggy Piesche: Das Ganze hat zwei Ebenen, eine inhaltliche und eine historische. Ich räume gern ein, dass nicht alle alles kennen. Aber wir hatten ja gerade von der Gewalt der Sprache gesprochen, und sie hat es vor allem auch selber noch betont, und dann brachte sie dieses Beispiel und reproduzierte diese Gewalt. Die Inhaltsebene ist eine Seite: Worum es wirklich geht, ist zu benennen, was da wirklich gerade passiert. Dass die Frau uns mehrmals nach unseren Einlassungen sagt, wir haben sie missverstanden, da hätte jemand sie darauf aufmerksam machen können, dass sie genau die Ebene reproduziert, die sie selbst als so gewaltvoll beschrieben hatte. Und das kann jede sagen. Auch wenn man sagt, okay ich beschäftige mich nicht viel damit, aber was ich hier merke, ist, dass es irgendwie merkwürdig ist, dass du weiterreden kannst. Auf irgendwas wirfst du dich ja zurück: "Ich habe das ja so nicht gemeint, ich will ja hier nur was beschreiben." Auch nach der Lesung ging das so weiter. Da musste ich nochmals erklären, und da war keine weiße Frau weit und breit, die sich eingemischt hätte. Da musste erst eine andere Schwarze Frau kommen, um in der Situation zu intervenieren.


Jule Fischer: Ich habe das auch bemerkt, mich dann allerdings doch nicht getraut, das zu unterbrechen. Ich denke, da stand die Angst dahinter, vormundschaftlich zu handeln.

Peggy Piesche: Geht mit ihr ins Gespräch! Belinda hat natürlich als eine Schwester, diese Codes, diese Dynamiken verstehend, mich aus dieser Situation rausgeholt, gesagt: Peggy, hast du eigentlich schon ein Glas Wein. Eine weiße Frau hätte jetzt kommen können und mit ihr sprechen können. Bei der Lesung sind wir da dreimal durchgelaufen. Es hat nichts damit zu tun, einer Schwarzen Frau in diesem Moment zu "helfen". Aber diese "gemischten" Räume würden so viel entspannter für alle Frauen sein, wenn sich alle in ihren eigenen Räumen miteinander mehr Gedanken machen würden. Ich habe das Gefühl, ihr macht euch immer erst dann Gedanken darum, wie ihr nicht rassistisch sein könnt, wenn es wieder darum geht, bloß keinen Fauxpas zu begehen, und das ist zweischneidig. Das ist nicht wirklich eine Aufarbeitung, und es versetzt die andere Person auch in eine unmögliche Situation, fast so wie eine katholische Absolution: Es ist okay, ja, wir machen alle Fehler. Tut mir leid ... Als müsste es mir leid tun, dass du beschämt bist. Aber das kostet einfach zu viel Kraft. Darum habe ich ja auch das Beispiel gebracht, und ich werde nicht müde, es zu wiederholen: Wie geht ihr in mehrheitlich weißen Räumen mit Rasse um? Wie geht ihr da mit Machtstrukturen, mit Intersektionalität um? Ich brauche da gar nicht zu spekulieren, ich bekomme ja die Auswirkungen mit - nämlich: gar nicht. Es geht nicht darum, mir zu helfen, mir "beizustehen" und mir zu zeigen, wie betroffen man ist. Das ist nicht das, was ich brauche, was wir brauchen, weil es uns nämlich zum Vehikel macht: So, jetzt muss ich auch noch ihre Scham auffangen - darauf habe ich überhaupt keine Lust.


ADEFRA e.V. - Schwarze Frauen in Deutschland

ADEFRA ist ein Forum, in dem sich Schwarze Frauen mit unterschiedlichsten Themen wie Politik, Bildung, Lifestyle und Gesundheit beschäftigen. ADEFRA wurde 1986 gegründet und repräsentiert eine Vielfalt von Schwarzen Frauen: Töchter, Mütter, Frauen, die allein oder in Beziehung leben, Frauen aller sexuellen Orientierungen, alte und junge Frauen. Alle verbindet auf die eine oder andere Weise - unabhängig von Weltanschauung, Glauben, Nationalität, Beruf und Sozialisation - die Erfahrung, schwarz und eine Frau zu sein.

(www.adefra.com)

Anmerkung

[*] Teil 2 des Interviews erscheint in Nr.126 der Frauensolidarität


Lesetipps:

Piesche, Peggy (2012): Euer Schweigen schüzt Euch nicht: Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland. Orlanda, Berlin.

Arndt, Susan/Eggers, Maureen Maisha/Kilomba, Grada/Piesche, Peggy (Hg.) (2009): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Unrast, Münster.

Oguntoye, Katharina/Opitz, May (May Ayim)/Schultz, Dagmar (Hg.) (1986): Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte. Orlanda, Berlin.

Eggers, Maureen (2008): Rassifizierung und kindliches Machtempfinden [Elektronische Ressource]: Wie schwarze und weiße Kinder rassifizierte Machtdifferenz verhandeln auf der Ebene von Identität, Universitätsbibliothek Kiel.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 125, 3/2013, S. 30-33
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 6,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2014