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FRAUEN/321: Monatliche Sozialtransfers und Empowerment in Ecuador (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 115, 1/11

Frauen als Bereitstellerinnen sozialer Sicherheit?
Monatliche Sozialtransfers und Empowerment in Ecuador

Von Martina Bergthaller


In Ecuador wurde 2003 der an Bedingungen geknüpfte Sozialtransfer "Bono de Desarrollo Humano" eingeführt. Die monatliche finanzielle Unterstützung wird an die weiblichen Haushaltsvorstände armer Haushalte ausgezahlt und soll zur Erhöhung ihrer sozialen Sicherheit beitragen. Das Programm wird von der ecuadorianischen Regierung als erfolgreicher Beitrag zur nachhaltigen Armutsbekämpfung gefeiert. Doch wie verändert der monatliche Sozialtransfer tatsächlich die Situation der Bezieherinnen und ihrer Familien? Dieser Artikel soll die positiven und negativen Aspekte dieses ecuadorianischen Modells beleuchten.

Während in den Industrieländern darüber diskutiert wird, wie viel soziale Sicherheit der Staat heute noch bieten kann, haben Systeme wie das ecuadorianische im entwicklungspolitischen Kontext in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit bekommen. In vielen Staaten im globalen Süden wurden neue soziale Sicherungssysteme eingeführt. Bevorzugte Zielgruppe sind dabei oft Frauen.

Vor allem an Bedingungen geknüpfte Sozialtransfers wurden in vielen Ländern in den letzten Jahren zunehmend als Instrument sozialer Absicherung eingeführt. Es handelt sich dabei um regelmäßige bedürftigkeitsgeprüfte Geldtransfers, deren Erhalt an die Erfüllung von Bedingungen - an den regelmäßigen Schulbesuch der Kinder und deren Gesundheitsversorgung - gebunden ist. Durch die regelmäßigen Transferleistungen soll einerseits kurzfristig Armut bekämpft, andererseits die Konditionierung zur Armut über die Generationen hinweg durchbrochen werden, indem die soziale Entwicklung der Kinder in den Empfängerhaushalten gefördert wird.


Gefeierte Erfolge...

In Ecuador wurde der Sozialtransfer "Bono de Desarrollo Humano" 2003 eingeführt. Nach dem Wahlsieg des derzeitigen Präsidenten Rafael Correa wurde das Programm im Jahr 2007 reformiert - damals wurde der monatlich ausgezahlte Betrag verdoppelt. Begünstigt sind Frauen, die in armen Haushalten leben und eines oder mehrere minderjährige Kinder haben. Dieser Praxis liegt die Annahme zugrunde, dass Frauen diejenigen sind, die für Kinder und andere Familienmitglieder sorgen. Durch den regelmäßigen Erhalt von finanziellen Mitteln soll die Rolle der Frauen, die oft über wenig bis gar kein eigenes Einkommen verfügen, gestärkt werden. Ihnen wird aber auch die Erfüllung der Bedingungen auferlegt, mit denen der Erhalt des Transfers verknüpft ist. Derzeit beziehen 1,2 Mio. Frauen den Sozialtransfer. Da auch deren Haushaltsmitglieder davon profitieren, werden damit ca. 40% der ecuadorianischen Bevölkerung erreicht. Monatlich erhalten die Begünstigten 35 US-Dollars. Ihnen wird durch den "Bono de Desarrollo Humano" ein regelmäßiges Einkommen zur Verfügung gestellt, das eine Kompensation für die unbezahlte Versorgungs- und Pflegearbeit, die sie in ihren Familien leisten, darstellt. Gleichzeitig werden diese Frauen durch die bereitgestellten finanziellen Ressourcen unabhängiger von männlichen Familienmitgliedern und deren Einkommen. Somit soll die Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit der weiblichen Bezieherinnen erhöht werden.

Auch die Situation der in den Bezieherhaushalten lebenden Mädchen konnte verbessert werden. Deren Einschulungsrate und die Dauer ihres Schulbesuchs haben sich seit der Einführung des Transfers erhöht. Zudem ging Kinderarbeit - von der häufig Mädchen armer Haushalte betroffen sind - leicht zurück. Der "Bono de Desarrollo Humano" trug zur Verbesserung der Ernährungssituation und des Gesundheitszustandes von Kindern, Müttern und Schwangeren bei.


Positive Nebeneffekte...

Neben diesen beabsichtigten Wirkungen hat der Sozialtransfer auch unbeabsichtigte positive Nebeneffekte. Beispielsweise traten viele der Bezieherinnen Spar- und Kreditgenossenschaften bei, wodurch sie die Möglichkeit haben, einen Teil des monatlichen Transfers anzusparen und später in produktive Tätigkeiten zu investieren. In der Provinz Orellana im Amazonasgebiet Ecuadors begannen Genossenschaften, die Frauen in abgelegenen Gebieten beim Bezug des Sozialtransfers zu unterstützen. Sie bringen das Geld in regelmäßigen Abständen direkt in die Dörfer und ersparen den Bezieherinnen somit oft mehrtägige Anreisen zu den Banken in der Provinzhauptstadt. Gleichzeitig gewinnen sie dadurch neue Kundinnen.

Eigeninitiative und Vernetzung lokaler Frauenorganisationen nahmen somit zu. Durch diese Form der Selbstorganisation wird zudem die Wirtschaft in ländlichen Gebieten gefördert, da das Geld direkt in lokale Märkte fließt.


... und unerwünschte Begleiterscheinungen

Bei genauerer Betrachtung des Konzepts des "Bono de Desarrollo Humano" entdeckt man jedoch schnell seine Schwachstellen. Insbesondere Frauen, die in ländlichen Gebieten mit schlechter Infrastruktur leben, konnten bisher von der staatlichen sozialen Sicherungsmaßnahme wenig profitieren. Sie wurden von den Haushaltsbefragungen zur Feststellung der Anspruchsberechtigung oft nicht erreicht und bleiben so vom Programm ausgeschlossen. Inskriptionsstellen lagen häufig zu weit entfernt, sodass die Anreise mehrere Tage in Anspruch genommen hätte. Die Banken, in denen der Sozialtransfer ausbezahlt wird, sind ebenfalls oft schwer erreichbar.

Ein weiteres Problem ergibt sich in ländlichen Gebieten dadurch, dass soziale Dienstleistungen, die für die Erfüllung der Bedingungen in Anspruch genommen werden müssten, oft nicht oder nur in schlechter Qualität vorhanden sind bzw. zu teuer sind. Die Bedingungen des Transfers führen somit zum Ausschluss der dort lebenden Bevölkerung von staatlichen Leistungen, weil sie unerfüllbar bleiben. Das Konzept ist somit nur wenig an den Lebensrealitäten aller Bezieherinnen orientiert. Regionale Ungleichheiten wurden durch das Programm teilweise noch verstärkt. Mittlerweile wurden erste Maßnahmen der ecuadorianischen Regierung gesetzt, um dem entgegen zu wirken. So werden mittlerweile Spar- und Kreditgenossenschaften, die die Auszahlungen des Transfers in abgelegenen Regionen durchführen, nun von staatlicher Seite unterstützt.


Perpetuierung ungleicher Geschlechterverhältnisse

Zunehmend wird Kritik am Fokus von an Bedingungen geknüpften Sozialtransfers auf Frauen laut. Denn der Ansatz zwängt durch die Auferlegung der Bedingungen die Bezieherinnen weiter in die Rolle als Hausfrau und Mutter, die allein für die Pflege- und Versorgungsarbeit innerhalb der Familie verantwortlich sein soll. Eine Veränderung der Rolle der Frau in der Familie und der Gesellschaft wird so langfristig kaum gefördert.

Sozialtransfers allein reichen nicht aus, um Empowerment von Frauen zu fördern. Weitere begleitende Initiativen, wie beispielsweise verstärkte Sensibilisierungsarbeit, Lern- und Beschäftigungsangebote oder Zugang zu (psycho-)sozialen Dienstleistungen, könnten begleitend eingesetzt werden, um strukturelle geschlechterspezifische Benachteiligungen langfristig zu bekämpfen. Dabei könnten zivilgesellschaftliche Initiativen, wie jene der Spar- und Kreditgenossenschaften in Orellana, dem Staat als Vorbild dienen. Die gezielte Förderung solcher Selbstorganisationsmodelle hat durch deren Orientierung an den realen Bedürfnissen und den Lebensrealitäten der Bezieherinnen das Potential, tatsächlich langfristig deren Lebenssituation zu verbessern.


Literaturtips:

Bergthaller, Martina:
Soziale Sicherheit zwischen Staat, Familie und Selbstorganisation. Eine Untersuchung des ecuadorianischen Sozialgeldtransfers "Bono de Desarrollo Humano" im Kontext von nichtstaatlichen sozialen Sicherungsformen in der Provinz Orellana. (Wien 2009)
http://othes.univie.ac.at/8053/1/2009-12-21_0207059.pdf

Razavi, Shahra/Hassim, Shireen (Hg.):
Gender and social policy in a global context. Uncovering the gendered structure of "the social". (Hampshire 2006)

UNRISD:
Combating Poverty and Inequality: Structural change, social policy and politics. (New York 2010)


Zur Autorin:
Martina Bergthaller studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft an der Universität Wien und an der Universidad Complutense de Madrid. Im Rahmen ihrer Diplomarbeit führte sie 2008 eine mehrmonatige Feldforschung zu sozialer Sicherung in der ecuadorianischen Amazonasregion durch. Derzeit arbeitet sie als Beraterin im Bereich Systeme sozialer Sicherung in Entwicklungsländern. Sie lebt in Bonn und Gmunden.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 115, 1/2011, S. 28-29
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2011