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FRAUEN/335: Pakistan - Mit Kleinwaffen gegen Frauen, Partner greifen zu Gewehren (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Oktober 2011


PAKISTAN: Mit Kleinwaffen gegen Frauen - Partner greifen zu Gewehren

von Ashfaq Yusufzai

Polizei hebt illegales Waffenlager bei Peshawar aus - Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Polizei hebt illegales Waffenlager bei Peshawar aus
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, 5. Oktober (IPS) - Im unruhigen Norden Pakistans sind zahlreiche Waffen im Umlauf, die zunehmend Frauen das Leben kosten. In etwa 65 Prozent aller Fälle, in denen Frauen Ehrenmorden oder häuslicher Gewalt zum Opfer fallen, sind Schusswaffen im Spiel.

Kleinwaffen seien viel zu leicht zu haben, erläutert der Sicherheitsexperte Muhammad Saad das Problem. Männliche Familienmitglieder richteten schon bei geringfügigen familiären Anlässen ihre Gewehre gegen Frauen und töteten sie.

Besonders gefährdet sind Pakistanerinnen in Khyber Pakhtunkhwa und den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA). "Die meisten Waffen, die dort gegen Frauen eingesetzt werden, wurden illegal in der Stadt Darra Adamkhel hergestellt", so Saad.

Wie Shabina Ayaz von der Aurat-Stiftung berichtet, wurden Medienberichten zufolge im vergangenen Jahr 719 Frauen getötet, von ihnen 381 im Punjab, 161 in Khyber Pakhtunkhwa und 160 in Sindh im Südosten des Landes.


Ehrenmorde totgeschwiegen

In den FATA werden die Verbrechen nur selten publik gemacht. Dies gilt vor allem für Fälle von Ehrenmorden. Eine strafrechtliche Verfolgung der Täter bleibt in der Regel aus.

"Wir haben uns mit Kampagnen für strengere Gesetze eingesetzt, um die Verbreitung von Waffen zu stoppen und Frauenleben zu retten", sagt Ayaz. Kleinwaffen aus dem Verkehr zu ziehen, sei unerlässlich, um die Gewalt gegen die Frauen zu beenden. In einem 2010 veröffentlichten Bericht hatte die Aurat-Stiftung, die sich seit 1986 für Frauenrechte engagiert, eindringlich auf die Gefahr hingewiesen.

Murtaza Khan von der 'Aktion gegen Kleinwaffen' berichtet, dass die Taliban in den FATA und im übrigen Norden das Leben von Frauen in höchste Gefahr gebracht hätten. "Die günstigen Preise für Waffen führten dazu, dass sie im Übermaß benutzt werden. Damit haben sich die Probleme von Frauen, die in der von Männern dominierten Gesellschaft marginalisiert werden, weiter vergrößert."

Manche Frauen müssten sterben, weil sie eine Mahlzeit zu spät serviert oder nicht rechtzeitig mit dem Bügeln fertig geworden seien, sagt Khan. "Bereits zehnjährige Kinder in den FATA und Khyber Pakhtunkhwa werden dazu ausgebildet, AK-47-Sturmgewehre zu bedienen. In manchen Gegenden gelten Waffen als Statussymbole."

Auch der Polizeibeamte Kareem Khan in Peshawar sieht die Entwicklung als höchst dramatisch an. Erst kürzlich habe ein Mann seine Frau erschossen, weil sie ihm nicht die Schuhe geputzt habe, berichtet er. Selbst arme Leute könnten sich inzwischen ein Gewehr leisten.

In drei Jahrzehnten Krieg ist die Region mit allen möglichen Waffen - von Schießkugelschreibern im Stil von James Bond bis zu Kalaschnikows und Luftabwehrraketen - überschwemmt worden.


Entwaffnung gefordert

Saad zufolge stellen die vielen Waffen, die unkontrolliert im Umlauf sind, auch eine Gefahr für die innere Sicherheit dar und hemmen die Entwicklung des Landes. "Wir müssen die Gesellschaft entwaffnen und sie sicherer machen", forderte er.

Die Rufe nach einer Entwaffnung der Pakistaner wurden laut, nachdem im Juli und August Hunderte Menschen bei ethnischen Konflikten zwischen Paschtunen und aus Indien stammenden Mohadschir in der südlichen Hafenstadt Karachi getötet worden waren.

"Das traditionelle Interesse der Paschtunen an Waffen wurde durch den Krieg der Mudschaheddin gegen die Sowjets in Afghanistan, den von den Taliban zunächst gewonnenen blutigen Bürgerkrieg und die US-geführte Invasion des Landes 2001 weiter angeheizt", sagt Saad.

Paschtunen machen etwa 17 Prozent der 175 Millionen Pakistaner aus. Sie sind die größte Volksgruppe nach den Pundschabi. In Afghanistan sind 42 Prozent der 29 Millionen Einwohner paschtunischer Herkunft.

Die Paschtunen hingen einst von der im 18. Jahrhundert entstandenen lokalen Waffenindustrie ab. Höher entwickelte Rüstungsgüter kamen in die Region, als die USA die afghanischen Mudschaheddin gegen die sowjetischen Besatzer mit Gewehren, Raketenwerfern und Stinger-Boden-Luft-Raketen ausrüsteten. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2011