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FRAUEN/349: Lateinamerika - Geringe Erfolge im Kampf gegen Femizide (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. November 2011

Lateinamerika: Geringe Erfolge im Kampf gegen Femizide zum Welttag gegen Gewalt gegen Frauen

von Marcela Valente

Opfer von Gewalt gegen Frauen fordern Staaten zum Handeln auf - Bild: © Juan Moseinco/IPS

Opfer von Gewalt gegen Frauen fordern Staaten zum Handeln auf
Bild: © Juan Moseinco/IPS

Buenos Aires, 23. November (IPS) - Vanina Alderente war elf, als ihr Vater ihre Mutter und ihre beiden jüngeren Brüder umbrachte. Sie selbst konnte schwer verletzt flüchten. Sieben Jahre später hat sie nun einen Prozess gegen die Provinzregierung von Salta gewonnen: Das Gericht befand den Bundesstaat der unterlassenen Hilfeleistung für schuldig und verurteilte ihn zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 250.000 US-Dollar.

Fünfmal hatte sich Alderetes Mutter hilfesuchend an die Polizei gewandt, um ihn wegen Misshandlung anzuzeigen. "Die Beamten erklärten ihr, dass sie nicht für Verbrechensprävention sondern Verbrechensverfolgung zuständig seien, und schickten meine Mutter mit dem Rat nach Hause, die Kinder nicht in den elterlichen Streit hineinzuziehen", berichtet Alderete gegenüber IPS.

Was folgte, war der klassische Fall von Femizid. Der Begriff, der die geschlechtsbedingte Tötung von Frauen durch Männer meint, beinhaltet auch die staatliche Duldung und Förderung solcher Übergriffe. Alderetes juristischer Sieg wäre eine gute Nachricht zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November gewesen, hätten die Behörden von Salta nicht angekündigt, in Berufung zu gehen.


Eigenständiger Straftatbestand

Um die Täter strafrechtlich besser belangen zu können, haben in den vergangenen fünf Jahren mehrere lateinamerikanische Länder den Straftatbestand des Femizids eingeführt. In Costa Rica, Chile, Guatemala, El Salvador und Mexiko können Männer, die sich eines solchen Verbrechens schuldig machen, vor Gericht gestellt werden.

Einige Expertinnen des Komitees für die Verteidigung der Menschenrechte von Frauen in Lateinamerika und der Karibik (Cladem) begrüßen die Einführung des Straftatbestands. So könne ein Bewusstsein für das Problem unter den Richtern geschaffen werden, die sich mit Gewalt an Frauen beschäftigen.

Doch nicht alle heißen eine solche Entwicklung willkommen: "Für viele Staaten ist das schlicht der einfachere Weg. Das Problem ist aber, dass der Straftatbestand des Femizids erst dann greift, wenn es schon zu spät und die Frau bereits tot ist", kritisiert die Anwältin Susana Chiarotti. Sie sitzt im Beirat des Komitees. Chiarotti zufolge werden in den entsprechenden Ländern die meisten angeklagten Männer nicht bestraft sondern freigesprochen. Viele Menschenrechts- und Frauenaktivisten sprechen deshalb gern vom 'stummen Genozid'.


Guatemala: Mordrate nicht gesunken

In Guatemala beispielsweise gab es nach Angaben der Polizei in den Jahren 2000 bis 2010 rund 5.200 Fälle von Femizid. Im Jahr 2008 wurde Femizid dann dort als Straftatbestand eingeführt. Doch in Sachen Prävention und Strafverfolgung konnten keine Besserungen erzielt werden. Die Mord- und Totschlagsdelikte gegen Frauen gingen nicht zurück.

Wenn die Täter angeklagt werden, dann in der Regel wegen einfachen Mordes. Zu beweisen, dass eine Frau Opfer eines Femizids wurde, was sich verschärfend auf die Strafe auswirken würde, sei schwierig. "Denn in einem solchen Fall muss der Beweis geführt werden, dass Frauenfeindlichkeit im Spiel war", sagt Chiarotti.

Angehörige von Femizid-Opfern wissen um diese Problematik. "Die Mühlen der Gerichte in diesem Land mahlen sehr langsam", sagt Juan Siekavizza gegenüber IPS. Seine Tochter Cristina ist im Juli verschwunden. Einen Monat später machte sich ihr Mann Roberto Barreda mit den beiden Kindern aus dem Staub. Eine Hausangestellte der Familie sagte aus, dass der Mann seine Frau immer wieder geschlagen habe. Seitdem gilt er als Hauptverdächtiger. Siekavizza begrüßt zwar, dass Guatemala den Femizid als Straftatbestand eingeführt hat. "Die Justiz hält sich aber nicht daran."

Immerhin ist mittlerweile die Mutter des flüchtigen Ehemanns festgenommen worden. Beatriz de León ist ehemalige Präsidentin des Obersten Strafgerichtshofs Guatemalas. Sie hat ihre Kontakte spielen lassen, um die Festnahme ihres Sohnes zu verhindern.

Die Anwältin Chiarotti fordert vor allem ein rechtzeitiges Eingreifen, um Gewaltverbrechen an Frauen rechtzeitig zu verhindern. "Frauen, die ihre Ehemänner bei der Polizei anzeigen, müssen mehr Unterstützung vom Staat erhalten", betont sie. "Politiker und Polizeibeamte verharmlosen Gewalt gegen Frauen. Noch immer werden Konzepte wie 'Verbrechen aus Leidenschaft' reproduziert und die Opfer beschuldigt, die Täter provoziert zu haben." (Ende/IPS/jt/2011)


Links:
http://www.cladem.org
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99634

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2011