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FRAUEN/408: Osttimor - Vergessene Heldinnen, ehemalige Freiheitskämpferinnen melden sich zu Wort (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Juni 2012

Osttimor: Vergessene Heldinnen - Ehemalige Freiheitskämpferinnen melden sich zu Wort

von Grit Porsch



Berlin, 11. Juni (IPS) - Als indonesische Besatzungstruppen 1975 in Osttimor einfielen, floh Maria De Fatima Kalcona in den Dschungel und schloss sich den Widerstandskämpfern an. Mit einer Schussverletzung geriet sie vier Jahre später in indonesische Gefangenschaft. Noch heute fällt es ihr schwer, über die Brutalität zu berichten, mit der die Soldaten sie und andere Kämpferinnen missbrauchten und misshandelten.

Während die ehemaligen Kämpfer der Unabhängigkeitsbewegung bis heute als Helden gefeiert werden, geraten das Schicksal der Frauen und ihre Rolle im Unabhängigkeitskampf Osttimors in Vergessenheit. Damit ihre Stimmen dennoch gehört werden, stellt die Volksorganisation der timorischen Frauen (OPMT) derzeit ein Buch mit Berichten dieser vergessenen Heldinnen zusammen.

"Die junge Generation kennt nur die Geschichte der männlichen Kämpfer, die sie als Helden verehrt. Doch nun soll sie auch unsere Geschichte kennenlernen", sagte Kalcona gegenüber dem UN-Informationsdienst IRIN.

Jahrhunderte lang war Osttimor eine portugiesische Kolonie. 1975 wurde das kleine südostasiatische Land vom mächtigen Nachbarn Indonesien okkupiert. Die Zahl der durch den 24-jährigen Terror indonesischer Truppen und einheimischer Milizen ums Leben gekommenen Timorer wird auf 180.000 geschätzt. 1999 erlangte Osttimor seine Autonomie, wurde aber bis zu seiner nationalen Unabhängigkeit 2002 von den Vereinten Nationen verwaltet.

Führende ehemalige Widerstandskämpfer bekleiden heute hohe Staatsämter. Xanana Gusmão ist Premierminister, und José Maria de Vasconcelos, der eher unter seinem früheren Rebellennamen Taur Matan Ruak bekannt ist, dient seinem Land als Präsident.

Dagegen blieben die Leistungen ihrer ehemaligen Mitstreiterinnen bislang weithin unbeachtet. "Wir wollen, dass auch unsere Heldinnen gehört werden", betonte die Aktivistin Lurdes Alves de Araujo. Die OPMT-Generalsekretärin hat über 100 Berichte ehemaliger Freiheitskämpferinnen gesammelt und zu einem Buch zusammengestellt. Die ersten 500 Exemplare sollen an Schulen verteilt werden.

"Die Leistungen und Opfer der überwiegend männlichen Rebellen sollen durch diese Arbeit keineswegs geschmälert werden", versicherte Araujo, die sich als Studentin am Widerstand beteiligt hatte und dreimal im Gefängnis war. "Doch auch der eher unsichtbare Beitrag der weiblichen Guerilla benötigt Anerkennung."


Vergewaltigung als Kriegswaffe

Mit dem Publikationsprojekt ruft die Frauenorganisation noch einmal das ganze Ausmaß der Gräuel in Erinnerung, die die indonesischen Besatzer und die von ihnen befehligten einheimischen Milizen als Kriegswaffe eingesetzt hatten. Massaker und Zerstörung gehörten ebenso dazu wie massive sexuelle Gewalt gegen Frauen, die die Seele der timorischen Gesellschaft zerstören sollte. Ein 2001 von der lokalen Nichtregierungsorganisation 'Forum Komunikasi Untuk Perempuan Loro Sae' (Fokupers) veröffentlichter Bericht hatte festgestellt, dass Vergewaltigungen häufig genauestens geplant und organisiert durchgeführt wurden.

"Die Anerkennung des Beitrags der Frauen und die Aufarbeitung dessen, was während der Jahre des Widerstands geschehen ist, sind Schlüsselelemente, die Osttimors Gesellschaft verändern", sagte Galuh Wandita. Sie arbeitet in Jakarta für das 'International Centre for Transitional Justices'. "Viele der Probleme, denen sich Frauen in Timor heute stellen müssen, gehen auf dieselben Ursachen der Gewalt zurück, die sie während des Konflikts erlebten", betonte die Aktivistin.

Eine mit Unterstützung der UN erarbeitete Untersuchung der Vergewaltigungen und anderer Übergriffe auf Frauen während der militärischen Besatzung, die weithin straflos blieben, kommt zu dem Schluss, dass diese Einstellung in Osttimor eine von Männern dominierte Gewaltkultur neu belebt hat.

Ein 2009 verabschiedetes Gesetz, das häusliche Gewalt unter Strafe stellt, wird nur selten angewandt. Viele Timorinnen scheinen sie als verdiente Strafe zu akzeptieren. Nach Ansicht der Parlamentarierin Maya Reis, die in Netzwerken der Freiheitsbewegung aktiv war, könnte das Buchprojet junge Frauen dazu motivieren, diese Haltung aufzugeben und für ihre persönlichen Freiheiten zu kämpfen. (Ende/IPS/mp/2012)


Links:
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http://www.ictj.org/
http://www.unwomen.org/
http://www.irinnews.org/printreport.aspx?reportid=95583

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2012