Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/452: Indien - Prostituierte ohne Schutz, Strafen für Zuhälter und Menschenhändler gefordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Dezember 2012

Indien: Prostituierte ohne Schutz - Aktivisten fordern Strafen für Zuhälter und Menschenhändler

von Sujoy Dhar


Aktivisten in Indien fordern Kriminalisierung des Sexhandels - Bild: © Sujoy Dhar/IPS

Aktivisten in Indien fordern Kriminalisierung des Sexhandels
Bild: © Sujoy Dhar/IPS

Kalkutta, 27. Dezember (IPS) - Rubiya Bibi, die eigentlich anders heißt, wurde als Teenager von Menschenhändlern aus ihrer Heimat Bangladesch ins benachbarte Indien gebracht und in die Prostitution gezwungen. Heute ist sie 42 Jahre alt, raus aus dem Geschäft und eine Aktivistin im Kampf gegen den Sexhandel.

Bibis Leben ist seit ihrem Ausstieg aus der Prostitution nicht einfacher geworden. Der Mann ist krank, der Sohn gelähmt. Die Familie, die in Kolkata lebt, ernährt sich von den mageren Einkünften, die Bibi durch den Verkauf von Essen verdient. Die Lage sei zwar schwierig, aber immer noch besser als vorher, bestätigt die ehemalige Kinderprostituierte.

Nach Angaben der indischen Bundespolizeibehörde CBI sind die meisten der etwa 1,2 Millionen Kinderprostituierten in dem Land Mädchen. Die Gesamtzahl aller Sexarbeiter wird auf drei Millionen geschätzt. Nach Erkenntnissen der US-Bundespolizei FBI werden Männer, Frauen und Kinder aus, durch und nach Indien geschleust und als Zwangsarbeiter und -prostituierte missbraucht.

Um die Öffentlichkeit für die Probleme dieser Opfer zu sensibilisieren, engagiert sich Bibi inzwischen in einer Kampagne gegen Sexarbeit und Menschenhandel, die unter dem Motto 'Cool Men Don't Buy Sex' (Coole Männer kaufen keinen Sex) steht. Mit besonderer Unterstützung der Nichtregierungsorganisation 'Apne Aap' haben sich Prostituierte, Opfer von Menschenhändlern und Studenten zusammengeschlossen, um so viel Aufmerksamkeit wie möglich für das Problem zu erlangen. Auch Prominente setzen sich für diese Ziele ein.


Studentenkampagne

Der Anstoß zu der Kampagne kam in diesem Jahr von Studenten des 'Symbiosis College' in Pune im westindischen Bundesstaat Maharashtra. Richtig in Fahrt kam die Initiative dann im Dezember, als Tausende eine Petition für eine Neuregelung der Prostitutionsgesetze unterschrieben. Den Studenten zufolge gilt es zu verhindern, dass Frauen ge- und verkauft werden. Sie drängen die Regierung in Neu-Delhi dazu, die Zuhälterei zu verbieten.

Inzwischen wird die Kampagne von den Studierenden aller Universitäten im Land unterstützt. Anuja Bhojnagarwala, die am J. D. Birla-Institut in Kalkutta studiert, bat Mitglieder von Apne Aap darum, ihre Kommilitonen über das Thema aufzuklären. "Es wird nicht einfach sein, die Prostitution abzuschaffen", meint sie. "Voraussetzung ist, dass Frauen sich auf andere Weise ihren Lebensunterhalt verdienen können."

Wie die Gründerin von Apne Aap, Ruchira Gupta, erklärt, hat der 'Indian Immoral Traffic Prevention Act', das geltende Gesetz gegen Prostitution, Frauen und Mädchen bisher nicht vor Menschenhandel und Zwangsprostitution bewahren können. "Die Opfer werden kriminalisiert und stigmatisiert. Menschenhändler und Zuhälter bleiben jedoch straffrei."

Anfang Dezember legte Apne Aap Indiens Staatspräsidenten Pranab Mukherjee eine von mehr als 10.000 Menschen unterzeichnete Petition für eine Änderung des Gesetzes vor. Freier und Menschenhändler sollen demnach bestraft werden.

Laut der Organisation verlagert die Kampagne den Fokus von den Opfern auf die treibende Kraft des Sexhandels, nämlich die Nachfrage seitens der Männer, ohne die Zuhälter und Bordellbesitzer arbeitslos wären. "Vor Kurzem erhielten wir einen Brief des Frauenministeriums, in dem uns versichert wurde, dass über unsere Vorschläge beraten werde", sagt Gupta.

"Cool Men Don't Buy Sex bringt Frauen und Männer zusammen, um Druck auf die indische Regierung auszuüben", erklärt sie. Gefordert wird eine Gesetzesänderung, nach der Bordellbesucher und nicht die Prostituierten rechtlich zur Verantwortung gezogen werden.


Prostituierten-Kollektiv fürchtet um Existenzgrundlagen

Die größte indische Gewerkschaft der Sexarbeiter ist allerdings nicht mit allen Forderungen von Apne Aap einverstanden. "Diejenigen, die die Kampagne anführen, sehen nicht, dass eine Kriminalisierung von Freiern den Prostituierten die Existenzgrundlage entzieht", so Bharati Dey, Vorsitzende des 'Durbar Mahila Samanwaya Committee' (DMSC), dem 65.000 weibliche, männliche und transsexuelle Sexarbeiter angehören.

"Wir sind allerdings gegen Geschäfte mit minderjährigen Mädchen", betont Dey. "Seit dem Jahr 2000 haben wir 941 Mädchen aus der Zwangsprostitution befreit." Andererseits würde eine Abschaffung der Bordelle die gezielten Informationskampagnen gegen HI-Infektionen und AIDS erschweren.

Die von DMSC praktizierte AIDS-Prävention ist international zum Vorbild für große Organisationen geworden, auch für die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. Zwischen 1993 und 1998 hatte DMSC dafür gesorgt, dass die Verwendung von Kondomen von drei auf 90 Prozent gestiegen ist. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://apneaap.org/cmdbs/cool-men-dont-buy-sex-campaign
http://wcd.nic.in/act/itpa1956.htm
http://www.thehindubusinessline.in/life/2004/06/04/stories/2004060400020100.htm
http://www.ipsnews.net/2012/12/anti-prostitution-campaign-picks-up-speed/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Dezember 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2012