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FRAUEN/767: #NiUnaMenos - Der argentinische Staat bleibt untätig (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Argentinien
Fokus: SDGs (Nachhaltigkeitsziele)
#NiUnaMenos: Der argentinische Staat bleibt untätig

Von Leonela Esteve Broun (Corriendo la Voz)


(Buenos Aires, 28. Januar 2019, anred) - Im Jahr 2018 wurden in Argentinien mindestens 259 Morde an Frauen registriert, so die Beobachtungsstelle gegen Femizide Mulalá (Observatorio de Femicidios de Mujeres de la Matria Latinoamericana). Bedauerlicherweise scheint sich auch im neuen Jahr nichts zu ändern: Nach etwas mehr als 20 Tagen des Jahres 2019 ist die Zahl der Femizide auf bereits 15 gestiegen. Der machistischen Gewalt wird kein Einhalt geboten und die Verantwortlichen, die an dieser schrecklichen Situation etwas ändern könnten, hören uns nicht zu.

Unter den Tötungen an Frauen in diesem Jahr gibt es zwei Fälle, die in besonderem Maße die Untätigkeit des Staates offenbaren. Der erste ist der Fall der 33-jährigen Gisel Romina Varela [1], die in Mar del Plata von Sergio Alejandro Cejas getötet wurde. Cejas hatte bereits ein Kontaktverbot wegen geschlechtsbezogener Gewalt. Aber, wie es meistens in solchen Fällen abläuft, ist die wirklich eingeschränkte Person nicht der Täter, sondern das Opfer. Es kamen Chats zwischen Gisel und dem Pförtner ihres Hauses an die Öffentlichkeit, in denen sie ihrem Ärger über ihre Situation und auch über die Untätigkeit des Staates Luft machte. "Ich kann doch nicht das Land wegen eines Geisteskranken verlassen. Das ist nicht gerecht!" schrieb Gisel einige Tage vor ihrem Tod. Und sie hatte Recht. Es ist nicht gerecht, dass wir Frauen nicht in Ruhe leben können, so lange sie uns schlagen, uns verfolgen und uns töten.

Auch der zweite Fall hatte für ein großes Echo in der Öffentlichkeit gesorgt, denn die Muster des Falls von Gisel wiederholten sich. Außerdem litt das Opfer, Carla Soggiu, an einem Wasserkopf, was sie noch verletzlicher im Hinblick auf die ihr widerfahrene Gewalt machte. Der Körper von Carla wurde am 19. Januar in Riachuelo aufgefunden. Vier Tage zuvor hatte die Frau den Antipanik-Knopf (botón antipánico) gedrückt, welchen sie aufgrund der vielen Anzeigen gegen ihren Mann Sergio Fuentes wegen geschlechtsbezogener Gewalt erhalten hatte. Diejenigen, die sie schützen sollten haben versagt; sie waren trotz der Kommunikation mit Carla nicht in der Lage, sie rechtzeitig finden.


Frauen leiden doppelt unter Sparkurs

Das sind keine Einzelfälle. Das Ausbleiben einer Reaktion des Staates gegenüber der Gewalt an Frauen passt zu dem weltweiten Umgang mit diesem Problem. Wir haben es derzeit mit einer argentinischen Regierung zu tun, die sehr weit davon entfernt ist, das Gesetz 26.485 von 2009 zum umfassenden Schutz der Frauen umzusetzen. Stattdessen trifft uns die Politik der strukturellen Anpassung (política de ajuste), die die nationale Regierung betreibt, in einem doppelten Sinne: Nicht nur weil wir diejenigen sind, die am meisten unter der Armut und der beruflichen Prekarisierung leiden. Sondern auch weil die Organisationen, welche den Kampf gegen geschlechtsbezogene Gewalt anführen, im Haushaltsjahr 2019 einen brutalen Sparkurs erleiden müssen.

Das Nationale Fraueninstitut INAM (Instituto Nacional de Mujeres) wird 18 Prozent weniger Gelder als im letzten Jahr erhalten. Die Mittel für die Einsetzung des nationalen Aktionsplanes für Prävention, Beratung und Beseitigung von Gewalt PNA (Plan Nacional de Acción para la Prevención, Asistencia y Erradicación de la Violencia) werden um ganze 55 Prozent gekürzt und die Finanzierung von Beratungs-Hotlines für Frauen schrumpft um 24 Prozent.

Wenn wir den gesamten Betrag an Geldern, die dem INAM zur Verfügung stehen, auf die Menge an Frauen in Argentinien umrechnen, kommen wir zu einem desillusionierenden Ergebnis: Das Leben einer argentinischen Frau ist der argentinischen Regierung weniger als zwölf Pesos (30 Cent) wert.

Die Regierungskoalition Cambiemos wird zwar versuchen, sich in der Öffentlichkeit einen violetten Anstrich zu geben, doch die Zahlen sprechen für sich. Seit 2015 mobilisieren wir uns unter dem Motto #NiUnaMenos, weil wir wissen: Solange unsere Regierenden keine effektiven und realen Maßnahmen mit langfristigen Finanzierungen einleiten, werden wir Frauen weiter als Bürgerinnen zweiter Klasse leben und sterben. Wir werden missachtet und in einen Fluss geworfen oder im Nirgendwo verscharrt. Es wird Zeit dass sie es hören: Nationaler Notstand für die geschlechtsbezogene Gewalt JETZT!


Anmerkungen:
[1] https://www.infobae.com/sociedad/policiales/2019/01/08/los-mensajes-de-la-policia-asesinada-por-su-ex-pareja-dias-antes-del-ataque-no-me-puedo-ir-del-pais-por-un-enfermo/


URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/niunamenos-der-argentinische-staat-bleibt-untaetig/


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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2019

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