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GENDER/034: Zur Situation von Transmenschen in Bulgarien (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

"Von Hormonen ist keine_r gestorben"
Zur Situation von Transmenschen in Bulgarien

von Lora Novachkova


Gewalt in jeglichen Erscheinungsformen prägt das Leben vieler Transmenschen, d. h. Menschen, die sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde, nicht identifizieren. Lora Novachkova beschäftigt sich im folgenden Beitrag mit der Situation von Transpersonen in Bulgarien und schildert die strukturellen Gewaltformen, denen Transmenschen ausgesetzt sind. Basierend auf Interviews mit Transmenschen und Rechtsanwält_innen [1], berichtet sie insbesondere über den Umgang mit Transpersonen vor Gericht und deren Behandlung durch Ärzt_innen und Psycholog_innen.


Transsexualität ist in Bulgarien offiziell nicht verboten, jedoch werden Transpersonen aus jeglichen Lebensbereichen ausgeschlossen. In den Medien wird zwischen Transsexualität und Transvestismus nicht unterschieden, und die vermeintlichen Transsexuellen werden als pervers, deviant und groteskhaft dargestellt. Ein ernsthafter gesellschaftlicher Dialog und Interesse an den Problemen von Transmenschen fehlen völlig, sowohl auf öffentlicher als auch auf institutioneller Ebene.


Juristische Hürden

Was den amtlichen Wechsel des Geschlechts angeht, gibt es in Bulgarien keine einheitliche Gerichtspraxis. Dadurch entsteht viel Raum für transphobes Verhalten der Richter_innen, wie die Interviews mit Rechtsanwält_innen in diesem Bereich aufzeigen. Richter_innen missbrauchen diese Lücken in der Gesetzgebung und diskriminieren die ohnehin der gesellschaftlichen Transphobie ausgesetzten Transmenschen.

Natasha Dobreva und Jordanka Bekirska, beide Menschenrechtsanwältinnen, meinen, dass die amtliche Einreichung auf Änderung des Geschlechts meistens in erster Instanz mit dem Argument abgelehnt wird, dass keine geschlechtsangleichende Operation durchgeführt wurde. Dabei stützen sich die Richter_innen wie gesagt auf keine gesetzlich verankerte Forderung. Die Klage einer meiner Interviewpartner_innen wurde genau aus dem Grund abgelehnt, und erst beim zweiten Versuch und nach einer schon vollzogenen Operation wurde ihr Geschlecht offiziell geändert.

Eine wichtige Info: Eine solche Operation vor der amtlichen Geschlechtsänderung stellt in Bulgarien eigentlich eine Straftat dar. Der Strafkodex sanktioniert mit Paragraph 128 Eingriffe, die zur Fortpflanzungsunfähigkeit führen, und kategorisiert solche als schwere Körperverletzung. Das heißt, diese Eingriffe können nur illegal passieren, was viele Risiken für die Gesundheit von Transmenschen zur Folge hat. Damit ist der Teufelskreis geschlossen!

Die Veränderungen am Körper durch die Einnahme von Hormonen, der sich die meisten Transmenschen unterziehen, sind anscheinend für die Richter_innen großteils nicht "überzeugend". Trotz der immensen Auswirkungen, die diese körperlichen Veränderungen auf alle Lebensbereiche haben, können diese Menschen ihr Geschlecht offiziell nicht ändern. Ein Transmann berichtete mir im Interview, dass seine Eltern als Zeug_innen vom Richter herangezogen wurden, da er in seinem Antrag vermerkt hatte, dass das Verhältnis zu seinen Eltern aufgrund seiner Geschlechtsidentität angespannt war. In seinen Augen spielte der Richter genau diese Tatsache gegen ihn aus, indem er seine Eltern persönlich anhören wollte.


Medizinische Hürden

Nicht besser ist die Situation im medizinischen Bereich. Meine Interviews mit Transmenschen zeigen, dass alle Interviewpartner_innen sich selbst - ohne medizinische Beratung und Aufsicht - mit Hormonen behandeln. Die Hormondosen werden in Chats und Foren mit anderen Transmenschen besprochen und entschieden. Diese Selbstbehandlung resultiert aus dem Mangel an Spezialist_innen, die Transmenschen behandeln können und wollen. Eine meiner Interviewpartner_innen erzählte mir von einem Sexologen, der der Meinung war, dass sie androgenisiert [2] werden müsse. Dann würde sie seiner Ansicht nach die Geschlechtsdysphorie [3] nicht mehr spüren. Derselbe verschrieb ihr auch leberschädigende Medikamente. Ein weiteres traumatisches Erlebnis folgte, als sie in der endokrinologischen Abteilung eines Krankenhauses in einer Großstadt medizinische Beratung suchte. Diese wurde ihr verweigert mit dem Argument, dass eine Geschlechtsumwandlung nicht möglich sei und sie besser darauf verzichte, sie sei doch ein gut aussehender Junge.

Viele der Interviewten berichteten von Situationen, dass sie sich Rat von Mediziner_innen holen wollten und schlussendlich die Mediziner_innen selbst aufklären mussten oder deren kuriosen Meinungen ausgeliefert waren. Oft wurde nicht nur die Hormontherapie bzw. Geschlechtsumwandlung als unmöglich dargestellt, sondern zusätzlich weigerten sich die Ärzt_innen, die Transpatient_innen während einer Hormoneinnahme zu untersuchen. Und zwar mit dem Argument: "Von Hormonen ist (noch) keine_r gestorben."

Ohne gerichtlich beeidete_n Spezialist_in kann kein Prozess auf Änderung des Geschlechts starten. Leider gibt es aber viele Beispiele dafür, dass diese Spezialist_innen nicht vorbildhaft sind. Ein Transmann berichtete, dass er sich bei offener Türe ausziehen musste. Ihm war es ohnehin schon unangenehm, von einem Fremden angeschaut zu werden. Und dann ließ der Arzt noch während der "Untersuchung" eine Person eintreten, die an die Tür geklopft hatte.


Weitere Traumatisierungen

Die eigene Nicht-Cis-Geschlechtsidentität [4] in einer transphoben Umgebung auszuleben, stellt in den Worten einer meiner Interviewpartner_innen ein dauerhaftes Schockerlebnis dar, bei der die psychologische Unterstützung von primärer Bedeutung ist. Für sie - und das spiegelt die Erfahrungen aller meiner Transgenderinterviewpartner_innen wider - fühlte sich der Kontakt mit Spezialist_innen wie ein "Stoß gegen die Wand" an und erwies sich als äußerst traumatisch.

Eine andere Interviewpartnerin suchte einen Sexologen und Psychiater auf. Dieser steht gleichzeitig auf der Expert_innenliste für Richter_innen, die Gutachten bei Klagen auf amtliche Änderung des Geschlechts erstellen. Aufgrund dieser Funktion erschien ihr der Arzt kompetent. Jedoch verschrieb er ihr zwei verschiedene Antidepressiva, die sie eine Zeitlang einnahm. Sie weiß bis heute nicht, warum er ihr diese verschrieben hat. Irgendwann hörte sie auf, zu ihm zu gehen, und nach dem Absetzen der Antidepressiva musste sie alleine mit den Nebenwirkungen und Entzugserscheinungen kämpfen. Danach probierte sie es mit einem anderen Psychiater und Sexologen, der auch fürs Gericht Gutachten für Transpersonen erstellt. Dieser fragte meine Interviewpartnerin nach ihrer Schuhgröße und meinte danach: "Was für eine Frau wirst du mit so einer Schuhgröße sein!? Verzichte lieber darauf!"

Die Interviewpartnerin fasste diese Situation als "allgegenwärtige Unaufgeklärtheit in den medizinischen Kreisen" zusammen und beschrieb die schon angesprochene medizinische Position - "Was kann dir so Schädliches durch Hormoneinnahme passieren?!" - als, milde ausgedrückt, "verantwortungslos". Diese "kompetente medizinische Meinung" wurde von Spezialist_innen in verschiedenen bulgarischen Großstädten vertreten, wie meine Interviewergebnisse mit Transpersonen aus verschiedenen Orten des Landes zeigen. Die Erfahrungen stellen nicht transphobe Einzelfälle dar, sondern deuten auf eine strukturelle Diskriminierung von Transmenschen hin.


Anmerkungen:

[1] Lora Novachkova hat im Rahmen des Projekts "Bleeding love: Raising Awareness on Domestic and Dating Violence Against Lesbians and Transwomen in the European Union" von Mai bis September 2015 Interviews mit sieben Transpersonen und drei Menschenrechtsanwält_innen durchgeführt.

[2] Unter Androgenisierung werden alle Veränderungen, die sich als Folge einer vermehrten Wirkung männlicher Hormone bilden, verstanden.

[3] Geschlechtsdysphorie beschreibt einen Zustand, in dem Menschen spüren, dass ihre geschlechtliche Identität in Konflikt mit ihrem biologischen Geschlecht steht.

[4] Cisgender ist das Gegenteil von Transgender, meint also jene Personen, bei denen Geschlechtsidentität und körperliches Geschlecht nicht übereinstimmen.


Zur Autorin:
Lora Novachkova ist Mitgründerin des bulgarischen LGBT-HHH Kollektivs (http://lgbt-hhh-collective.tumblr.com/) und Programmleiterin für LBT-Rechte bei der NGO "Bilitis" (www.bilitis.org). Zurzeit lebt sie in Sofia.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 33 - 34
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2016

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