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GENDER/043: Ich bin mutig - Lebensrealitäten von Transgender-Personen in Nepal (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 138, 4/16

Ich bin mutig

Lebensrealitäten von Transgender-Personen in Nepal

von Nilam Poudel


Nilam Poudel erzählt ihre persönliche Geschichte und träumt von einem Ort, an dem sie sich mit anderen Transgender-Personen austauschen kann.


Mein Leben lang habe ich immer für alles hart arbeiten müssen, schon in meiner Kindheit. Insgesamt waren wir acht Geschwister zu Hause, vier Buben und vier Mädchen. Schon als ich noch sehr jung war, verwendete ich gerne Eyeliner. Mein Traum war es damals, Modedesigner zu werden. Den Sari meiner Mutter stahl ich heimlich, schnitt ihn mit einem Messer auseinander und nähte ihn für meine Schwester um. Meine Mutter schlug mich dafür unzählige Male zur Bestrafung, so wie mein Vater und meine Brüder auch. Meine Schwestern beschimpften mich aufgrund meines Verhaltens.

Ich komme aus einer Bauernfamilie, wir hatten aber kein eigenes Land, so mussten wir alle für andere Leute arbeiten. Für mich war es sehr schwierig, zu pflügen und körperlich anstrengende Arbeiten zu verrichten. Viel lieber kochte ich und brachte das Essen zu den Arbeiter_innen aufs Feld. Üblicherweise ist das die Arbeit, die Frauen verrichteten. Ebenso wusch ich das Geschirr ab, transportierte Dünger und machte alle Hausarbeiten. Ich war immer inmitten einer Gruppe von Mädchen zu finden und mochte keine Jungs. Die Jungs hänselten mich und sagten mir, ich sei wie ein Mädchen. Gleichzeitig fühlte ich mich jedoch zu ihnen hingezogen. Es war merkwürdig.


Hausarbeit für Bildung und Essen

In der Schule war ich gut und wissbegierig. Mein Vater war ein armer Mann, sein Lohn reichte gerade noch für unser Essen. An eine Finanzierung meiner Bildung war nicht einmal zu denken. So musste ich Arbeit suchen, um als Gegenleistung für meine Arbeit Bildung und Essen zu erhalten. Heute nennt sich das Kinderarbeit. Ich kochte Essen, wusch das Geschirr, kümmerte mich um die Kinder und putzte das Haus. Um fünf Uhr morgens stand ich auf, um meine Arbeit bis neun erledigt zu haben. Danach durfte ich zur Schule gehen. Während meiner Schulpause kehrte ich zum Haus zurück, um Nachmittagstee zuzubereiten. War diese Arbeit getan, durfte ich zurück zur Schule gehen und weiter den Unterricht besuchen. Abends hatte ich wiederum Arbeiten im Haushalt zu verrichten. In der Schule wurden Jungs und Mädchen getrennt unterrichtet. Meine Lehrer_innen tadelten mich oft, weil ich bei den Mädchen saß, anstatt mit Jungs Fußball zu spielen. Aus meiner Sicht war ich wie sie. Als ich in der achten Klasse war, las ich begeistert die populäre Zeitung "Saptahik". Mein Jausengeld sparte ich zusammen - fünf oder zehn Rupien jeden Tag -, um stattdessen "Saptahik" zu kaufen. Eines Tages las ich darin einen Artikel über Geschlechtsumwandlung, der meine Neugierde weckte. Ich fing an, darüber zu recherchieren, und wurde mir so meiner eigenen Sexualität bewusst. Ich realisierte, dass ich Jungs bevorzugte. Wann immer meine männlichen Freunde über ihre Freundinnen und körperliche Beziehungen zu einem Mädchen sprachen, empfand ich Ekel. Mit vierzehn fing ich an, mich in Jungs zu verlieben. Langsam teilte ich auch meine Gefühle, was in mir vorging, mit anderen.


Outing im Radio

Ich lernte die Blue Diamond Society (BDS) kennen, und dort traf ich viele Transgender. Das tat ich hinter dem Rücken der Familie in Dharan, bei der ich lebte. Sie hätten mir nicht erlaubt, diese Leute zu treffen. Endlich konnte ich zugeben, dass ich mich zu Jungs hingezogen fühle, gerne lange Haare hätte, es liebe, mich wie eine Frau zu kleiden und Make-up zu tragen. Als ich in der neunten Klasse war, machte ich häufig Besuche im BDS-Büro. Ich hatte das Gefühl, ich gehöre in diese Community.

Nach meinem zehnten Schuljahr wurde ich von einem Radiosender interviewt. Ich rief zu Hause an und sagte meiner Familie, sie solle sich mein Interview anhören. Durch dieses Interview war es mir möglich, mich meiner Familie und der Außenwelt zu öffnen. Zum ersten Mal sprach ich öffentlich über meine Sexualität und meine Präferenzen. Meine Familienmitglieder akzeptierten mich als die Person, die ich bin. Sie sagten nichts mehr, wenn ich in Frauenkleidung nach Hause kam.

Wäre ich als Mädchen geboren worden, hätte ich vielleicht ein perfektes Leben gehabt, geheiratet und für meine Familie gesorgt. Weil ich aber ein Transgender bin, bin ich anders. Ich spreche offen darüber, wer ich bin, weil ich denke, dass ich so andere Menschen, denen es ähnlich geht, unterstützen kann. Mein Wunsch ist es, dass solche Kinder wie ich von ihren Familien verstanden und unterstützt werden. Es ist nichts falsch daran, Transgender zu sein.


Der lange Weg zum Frau-Sein

Oft hörte ich Beschimpfungen, wie "Chakka" [1], aber ich lernte diese zu ignorieren. Ältere Leute sagten ihren Kindern, sie sollen zu mir Chakka sagen. Bis zu der Zeit, als ich nach Kathmandu kam, fühlte ich mich aber nie diskriminiert. In Kathmandu bewarb ich mich für Jobs, aber als mich die Leute beim Jobinterview sahen, wurde ich sofort abgelehnt, mit der ehrlichen Erklärung, sie würden keine Hijras oder Chakkas einstellen.

In den folgenden Jahren arbeitete ich in Dubai. Ich kümmerte mich um das Haus von einem reichen Sheikh und seiner Familie, wenn sie verreisten. Ich musste meine ganze Familie in meinem Heimatdorf versorgen. Als ich zurückkehrte aus der Arbeitsmigration, lernte ich den Beruf der Make-up-Artist_in, und derzeit mache ich die Ausbildung zur Haar-Stylist_in. Außerdem modele ich und veröffentliche Interviews mit Prominenten im "Himalayan News Express Online". In Bangkok habe ich mir meine Brustimplantate einsetzen lassen. In Bangkok werden wir "she males" genannt. Bevor ich meine Implantate bekam, zog ich sowohl Frauen- als auch Männerkleidung an. Seitdem fühle ich mich wohl, ausschließlich Frauenkleidung zu tragen. Heute bin ich seit zehn Jahren in einer Beziehung mit einem Mann. Er hat jemand anderen geheiratet, aber ich weiß, dass er mich liebt. Sicher bin ich nicht, ob seine Frau von unserer Beziehung weiß. Irgendwann möchte ich ein Heim für ältere Menschen aus der Community gründen, damit Menschen, die wie ich sind, dort kostenlos leben können. Ich möchte mich um ältere Transgender-Personen kümmern. In vielen Fällen bleibt der Kontakt zur Familie nur bestehen, solange wir Geld senden. Ein großer Teil dieses Geldes wird in Thamel [2] verdient, da es sonst kaum Möglichkeiten gibt, Arbeit zu finden. Wenn wir älter werden und nicht mehr arbeiten können, schließen uns unsere Familien zumeist aus. Viele Menschen aus der Community begehen dann Selbstmord. So viele werden tot auf der Straße gefunden.

Aber dann gibt es auch Stimmen wie Bhumika Shresta, die politisch namhaft ist. Anjali Lama, die für Sophie Sunwar modelt und ihr eigenes Make-up-Studio hat. Es wäre schön, wenn es in Nepal eine Bar oder einfach einen Platz gäbe für LGBTI-Personen. Das würde die Dinge um vieles einfacher machen. Es sind viele Leute, die nach einem Platz suchen, wo sie sich wohlfühlen und sie selbst sein zu können. An so einem sicheren Ort könnten wir frei sein und tun, was wir wollen.


Anmerkungen:
[1] Chakka ist eine abwertende Bezeichnung für Schwule.
[2] Thamel ist ein touristischer Stadtteil in Kathmandu.

Übersetzung aus dem Englischen: Rosa Liebe

Dieser Artikel erschien erstmals auf Englisch in "She is the Story" - eine Voices of Women (VOW) Media-Initiative
(www.voicesofwomenmedia.org/).

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 138, 4/2016, S. 25-26
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2017

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