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INTERNATIONAL/068: Indien - Vergewaltigungsvorwürfe gegen unerwünschte Schwiegersöhne (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Januar 2012

Indien: Vergewaltigungsvorwürfe gegen unerwünschte Schwiegersöhne - Anzeigen in Kaschmir nehmen zu

von Sana Altaf

Junge Liebespaare geraten in Kaschmir oft in Schwierigkeiten - Bild: Sana Altaf/IPS

Junge Liebespaare geraten in Kaschmir oft in Schwierigkeiten
Bild: Sana Altaf/IPS

Srinagar, Indien, 10. Januar (IPS) - Schon wenige Tage nach seiner Hochzeit kam Imran, der eigentlich anders heißt, in das zentrale Gefängnis von Srinagar im indischen Teil Kaschmirs. Der Vorwurf: Entführung und Vergewaltigung seiner Frau Shafeen. Angezeigt hatten ihn seine Schwiegereltern, die sich einen anderen Mann für ihre Tochter vorgestellt hatten. Imran verbrachte zwei Jahre hinter Gittern, bevor er auf Kaution frei kam.

Während in Indien manche Eltern unerwünschte Liebesheiraten durch Ehrenmorde zerstören, zeigen Familien in Kaschmir in solchen Fällen Männer des sexuellen Missbrauchs an. Im vergangenen September teilte die Regierung des Bundesstaates Jammu und Kaschmir mit, dass in Srinagar zwischen 2006 und 2010 insgesamt 120 Vergewaltigungen gemeldet wurden, mehr als in anderen Distrikten.

Was die hunderte anhängigen Gerichtsverfahren in Kaschmir angeht, liegen Rechtsexperten zufolge in den meisten Fällen keine ausreichenden Beweise vor. "Es klagen zumeist Eltern, deren Töchter von zu Hause weggelaufen sind, aus Liebe geheiratet haben oder eine Beziehung mit einem Mann eingegangen sind", sagte der Anwalt Sheikh Mohammad Sultan.

Bei tatsächlichen Vergewaltigungen oder anderen sexuellen Übergriffen liegt die Dunkelziffer vermutlich hoch. Viele Vorfälle werden aus Scham verschwiegen.


Polizei auf Seiten der Eltern

Imran und Shafeen waren bereits viele Jahre lang ein Paar, als sie versuchten, den Widerstand ihrer Eltern durch eine Hochzeit zu brechen. Inzwischen sind sie seit drei Jahren verheiratet. "Als Shafeens Eltern die Wahrheit herausbekamen, erstatteten sie bei der örtlichen Polizei Anzeige gegen Imran", sagte der Anwalt des Mannes, Irfan Mattoo. Die Polizei habe den Eltern geglaubt und das Paar festgenommen.

"Als die beiden ihre Heiratsurkunde vorzeigten, riss ein Polizist sie in Stücke. Shafeens Eltern zwangen sie, eine offizielle Erklärung gegen ihren Mann einzureichen", berichtete Matteo. Als Shafeen später ihre Erklärung zurückziehen wollte, erfuhr sie, dass dies unmöglich sei.

Der immer noch nicht beigelegte Rechtsstreit stellt die Beziehung auf eine harte Probe. Denn das Paar, das inzwischen mit einem acht Monate alten Sohn unter einem Dach lebt, muss bei allen weiteren Gerichtsverhandlungen erscheinen - sie wegen der erzwungenen Erklärung als Klägerin, er als Angeklagter.

Einen ähnlichen Albtraum erlebt die 14-jährige Asma, die am Rand der Stadt Srinagar wohnt. Ihre Eltern hätten von ihrer Beziehung zu einem Jungen names Feiroz gewusst, sagte Sultan, der die junge Frau als Anwalt vertritt. Als Asma eines Tages nicht nach Hause gekommen sei, habe man Anzeige gegen Feiroz erstattet und ihm Entführung und Vergewaltigung vorgeworfen.

Der Junge hatte als Fahrer für das Busunternehmen von Asmas Vater gearbeitet. Obwohl Asma die Anschuldigungen gegen ihren Freund zurückwies, wurde ihre Aussage ignoriert, weil sie noch minderjährig war. Inzwischen leben die beiden mit ihrem gemeinsamen Sohn zusammen, während der Prozess weitergeht.


Junge Paare ohne Schutz

Nach Angaben von Sultan gibt es in Kaschmir Tausende ähnliche Fälle. "Da diese Geschichten aber keine Schlagzeilen machen, leiden die jungen Leute still vor sich hin", erklärte er.

In der islamischen Scharia ist allerdings kein Mindestalter für Eheschließungen festgelegt. Dem Sozialaktivisten Nighat Pandit zufolge haben Frauen ebenso wie Männer gemäß der Scharia ein Recht darauf, den von ihnen gewünschten Partner zu heiraten. Umso erstaunlicher sei die ablehnende Haltung der Gesellschaft. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2012