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INTERNATIONAL/108: Japan - Atombombenopfer der zweiten Generation kämpfen um staatliche Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. August 2012

Japan: Atombombenopfer der zweiten Generation kämpfen um staatliche Hilfe

von Suvendrini Kakuchi



Tokio, 13. August (PS) - Als am 6. August 1945 die Atombombe 'Little Boy' auf Hiroshima niederging, verlor die damals zwölfjährige Sachiko Masumura ihre Mutter und zwei Geschwister. Insgesamt starben an den unmittelbaren Folgen der ungeheuren Druckwelle, Hitze, Flammen und radioaktiven Strahlung 120.000 Menschen. Drei Tage später warfen die USA ihre zweite Plutoniumbombe über Nagasaki ab. 'Fat Boy' riss 74.000 Menschen in den Tod.

Im letzten Jahr starb Masumuras Vater an Leukämie, einer Spätfolge der Atombombenkatastrophe. Der Sohn der 79-jährigen Masumura ist behindert. Er leidet an einer Gehirnstörung, die die Mutter ebenfalls auf die Langzeitfolgen der Bombenangriffe zurückführt. Was die Familie in den letzten 67 Jahren erlitten hat, ist bei weitem kein Einzelfall. Bis heute müssen die erste und die zweite Generation der Überlebenden mit den furchtbaren Auswirkungen der einzigen Atomangriffe der Menschheitsgeschichte leben.

Auch Kasuki Aoki ist ein 'Hibakusha', wie in Japan die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki genannt werden. Er und die anderen Opfer führen im Grunde zwei Kämpfe. Sie streiten um ihre Anerkennung als Bombenopfer, durch die sie Anspruch auf staatliche Hilfe für die medizinische Behandlung ihrer genetischen Schäden hätten, und darum, dass sich der Traum ihrer Eltern von einer atomwaffenfreien Welt erfüllt.


Kräfte erlahmen

"Meine Eltern, deren Leben durch die Bomben zerstört wurde, wünschten sich nichts sehnlicher als eine Welt ohne Atomwaffen und ohne nukleare Strahlung. Das ist der Kampf, den wir als Kinder in ihrem Namen führen müssen", sagt Aoki, ein Hibakusha der zweiten Generation, der jetzt am Kyoritsu-Krankenhaus in Hiroshima arbeitet. Wie er berichtet, schwinden den 60- bis 70-Jährigen die Kräfte, um sich für ihre offizielle Anerkennung als Bombenopfer einzusetzen. Die Regierung begründet ihre Weigerung mit einem Mangel an Beweisen, dass die Erkrankungen der Hibakusha der zweiten Generation von der Bombe herrühren.

Doch die Betroffenen können sich auf zahlreiche Studien und Berichte japanischer und US-amerikanischer Wissenschaftler berufen, denen zufolge das Krebsrisiko bei den Nachkommen der ersten Generation besonders hoch ist. Zudem belegen Forschungen dass bei denjenigen, die hohen Strahlendosen ausgesetzt waren, ein erhebliches Krebs- und Leukämierisiko besteht. Diese Erkenntnis wird auch vom Roten Kreuz in Hiroshima und der Klinik für die Überlebenden der Atombomben bestätigt.

Hiroko Sakaguchi reist regelmäßig in die USA, wo sie Vorträge über die tödlichen Folgen der radioaktiven Verseuchung durch die Atomwaffenangriffe hält. Wie sie berichtet, sind Kusinen und Vettern an Krebs gestorben, und ihre Mutter sei ihr Leben lang gebrechlich gewesen.

Der 64-jährige Shinichi Oonaka ist ebenfalls ein Hibakusha der zweiten Generation. Er ist Sprecher einer kürzlich gegründeten Gruppe der Japanischen Organisation der Atombombenopfer, eine der größten Japans mit über 200.000 Mitgliedern. Viele in seiner Gruppe seien nun ins Rentenalter eingetreten und blickten mit Sorge in die Zukunft. "Solange wir einen Job hatten, standen uns regelmäßig Gesundheitschecks zu. Doch das ist nicht länger der Fall."

Oonaka will nun eine Lobbyorganisation gründen, die Druck auf die Regierung ausübt, damit sie die Überlebenden der zweiten Generation als Bombenopfer anerkennt und diese somit weiterhin Anspruch auf kostenfreie und regelmäßige Krebsvorsorgeuntersuchungen haben.


Angst vor Diskriminierung

Doch der Weg zu diesem Ziel ist steinig. Oonaka zufolge hält sich die zweite Generation mit Forderungen für eine bessere medizinische Versorgung aus Angst zurück, genauso diskriminiert zu werden wie ihre Eltern.

Die latente Krebsgefahr hatte es den Betroffenen so gut wie unmöglich gemacht, einen Ehepartner und einen Job zu finden. Oonakas Vater, der zum Zeitpunkt des Bombenabwurfs als Soldat in Hiroshima stationiert war, heiratete später wie viele Überlebende der ersten Generation eine Hibakusha.

Auf die Gleichgültigkeit der Regierung hat die 79-jährige Sachiko Masumura im Juli die Kogane-Freundschaftsorganisation für Menschen mit Gehirnschäden gegründet. "Wir können nicht mehr darauf warten, dass uns die Regierung endlich hilft", sagt sie. "Mein letzter Wunsch, bevor ich sterbe, ist, dass mein Sohn unabhängig leben kann."

Hochrangige internationale Persönlichkeiten wie der älteste Enkel des ehemaligen US-Präsidenten Harry Truman, der den Abwurf der Bomben angeordnet hatte, nahmen an den Gedenkveranstaltungen 67 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki in diesem Monat in beiden Städten teil.

Clifton Truman erklärte nach Gesprächen mit den Überlebenden von Little und Fat Boy: "Es liegt nun in meiner Verantwortung, mich dafür einzusetzen, dass es niemals wieder zu einem Einsatz von Atomwaffen kommen wird."

Solche Worte vom ehemaligen Feind höre er gern, sagt Oonaka. Sie nährten die Hoffnung, dass sich der Traum der Hibakusha von einer atomwaffenfreien Welt doch noch realisieren lasse. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.hiroshima-med.jrc.or.jp/english/
http://www.ipsnews.net/2012/08/families-of-little-boy-and-fat-man-still-struggling/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2012