Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

JUGEND/279: Ein Refugium für Jugendliche (DJI)


DJI Bulletin 4/2009, Heft 88
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Ein Refugium für Jugendliche

Von Sylvia Lustig, Julia Struck-Soboleva und Sonja Peyk


Lärmende Teenager auf der Straße strapazieren die Nerven von Anwohnern. Weder Polizei noch Streetworker können diese Konflikte alleine lösen, dafür müssen alle Beteiligten in der Kommune an einen Tisch - vor allem die Streitparteien selbst. Denn nur so lässt sich ein geeigneter Ort für den notwendigen Jugendtreffpunkt finden.


Das Verhalten von Jugendlichen im öffentlichen Raum wird von Erwachsenen häufig als provozierend oder aggressiv erlebt und kritisiert. Konflikte, an denen Kinder und Jugendliche beteiligt sind, stellen eine Herausforderung für viele dar. Sie lassen sich kaum durch restriktive Maßnahmen der Polizei, wie etwa Platzverweise, lösen. Denn Jugendliche sind mobil und wechseln häufig ihren Treffpunkt. Das bedeutet, dass sich der Konflikt entweder verlagert oder durch die Verbote schlimmstenfalls eskaliert: Jugendliche fühlen sich ungerecht behandelt, Erwachsene von den Behörden im Stich gelassen. Das Ordnungsamt und die Jugendhilfe reagieren oft hilflos. Die Zuständigkeiten werden immer wieder an andere delegiert - doch der Konflikt bleibt meist ungelöst.

»Jugendliche dürfen in den öffentlichen Raum!« ist die Botschaft des Modellprogramms »Wir kümmern uns selbst«, kurz WIKUS. Das Programm, das vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) entwickelt und wissenschaftlich begleitet wurde, sucht nach einem Ansatz zur konstruktiven Bearbeitung der Probleme in der Vernetzung der örtlichen Institutionen, Behörden und Betroffenen. Der Titel des Programms bringt das Ziel zum Ausdruck, dass die Umsetzung durch lokale Praktiker und Praktikerinnen und unter Beteiligung der Konfliktparteien geschehen sollte. Dieses Konzept führte nach der Einschätzung der Teilnehmenden zu Veränderungen mit erheblichem Nutzen für die sieben beteiligten Stadtteile und Kommunen. Es trug zur Intensivierung oder auch Herstellung institutionenübergreifender Zusammenarbeit zwischen freien Trägern und zwischen einzelnen Institutionen beziehungsweise Behörden (etwa von Polizei und Jugendarbeit) bei, und es konnten nachhaltige Kontakte geknüpft werden. Nach der Aussage von Befragten sei es zwar schwierig, alle an einen Tisch zu holen, aber die Mühe lohne sich, weil das Netzwerk in der Regel langfristig halte.


Verloren im Dickicht der Zuständigkeiten

In den Interviews mit den 54 Akteuren und Akteurinnen in den Projekten sprachen die Befragten nicht nur über positive Erfahrungen, sondern auch über Hürden. Anfängliche Skepsis löste beispielsweise die Vorgabe aus, dass den Standorten für die Programmumsetzung kein Geld zur Verfügung gestellt wurde. Weitere hinderliche Faktoren stellten die häufig geringe Teilnahmemotivation der betroffenen Jugendlichen und Anwohner sowie die zusätzliche Arbeitsbelastung und der Zeitaufwand für Ehrenamtliche dar. Gleichzeitig sprachen die Befragten aber auch über förderliche Aspekte, wie etwa die tatkräftige Unterstützung durch die Kommunalpolitik und die kommunale Verwaltung oder das Interesse der Beteiligten an Mediation und Moderation.

Aus der Untersuchung geht hervor, dass die zu bearbeitenden Konflikte mit Jugendlichen im öffentlichen Raum in der Regel eine lange Vorgeschichte haben, die sich mit der häufig »über Jahre gewachsenen Problemsituation« im gesamten Sozialraum deckt. Die Konflikte können offensichtlich über Generationen von Jugendlichen hinweg immer wieder aufflammen. Ein weiteres Problem ist, dass bei solchen Konflikten die zuständige Behörde oft nur schwierig zu finden ist und die Verantwortung im Verlauf der Eskalation häufig delegiert wird. Eine Befragte sagte: »Die Polizei hat die Funktion, Ordnungsamt hat die Funktion, Jugendamt hat die Funktion, aber: Wer ist da zuständig? Und wer kriegt das dann hin? Da gibt es irgendwie nichts so. Und alle sagen: Immer wird das Ordnungsamt gerufen, immer wird die Polizei gerufen, immer wird das Jugendamt gerufen, aber wir können doch da gar nichts machen« (Bianca).

Ebenso berichteten die Teilnehmenden, dass restriktive Maßnahmen lediglich kurzfristig wirken: »Da hat jetzt zwar das Ordnungsamt wohl irgendwo den Jugendlichen ein Verbot ausgesprochen, aber das ist nicht die Lösung, wenn man ein Verbot ausspricht. Die treffen sich dann an anderen Ecken und nerven tatsächlich die Anwohner und nicht zu knapp, das ist hart« (Hermine).


Beide Konfliktparteien scheuen Gespräche

Im Prozess der Konfliktbearbeitung haben sich einige Tendenzen, Arbeitsformen und Spielarten herauskristallisiert, die sich aus Sicht der Befragten als besonders vielversprechend erwiesen haben. Es hat sich beispielsweise gezeigt, dass die Vernetzung eine gewisse Institutionalisierung braucht, um beispielsweise nicht für personelle Wechsel oder persönliche Animositäten anfällig zu sein. Bei der Zusammensetzung ist zudem ein besonderes Augenmerk auf eine möglichst breite Beteiligung unterschiedlicher Institutionen und Behörden zu legen. Dabei ist der Rückhalt der Akteure in ihrer eigenen Institution oder Behörde sehr wichtig. Unter förderlichen Bedingungen nannten unsere Interviewpartner und -partnerinnen ebenso die Unterstützung durch die Kommunalpolitik wie die Beteiligung der Fachkräfte aus der Jugendhilfe.

Gleichzeitig sahen es die Befragten als schwierig an, die angestrebte Beteiligung von Jugendlichen und Anwohnern zu verwirklichen. Hier stößt das Projekt teilweise an Grenzen. Die Konfliktparteien hatten oft keine Lust, sich zusammen an einen Tisch zu setzen. Teilweise konnten sogar Berührungsängste beobachtet werden. Auch von der Schwierigkeit, die betroffenen Jugendlichen überhaupt zu identifizieren, wurde berichtet. Außerdem fallen junge Menschen während des Lösungsprozesses oft als Ansprechpartner weg, etwa weil sie aufgrund eines Studiums oder einer Ausbildung umziehen. Als förderlich erwies sich, Schulsozialarbeiter einzubeziehen, die die Jugendlichen in der Schule ansprechen können.


Externe Berater können hilfreich sein

Wie die Untersuchung zeigt, leistet das Einbeziehen der Streitparteien einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Konfliktbearbeitung. Die Programmagentur entwickelte mit Hilfe der Erprobung an den Standorten ein Verfahren, das einen spezifischen Ablauf, Veranstaltungen sowie Angebote zur Unterstützung und Beratung umfasst. Die Befragten hoben insbesondere die begleitende Prozessberatung durch die Programmagentur im Laufe der Konfliktbearbeitung positiv hervor. Die Möglichkeit, Rücksprache mit der Programmagentur halten zu können, professionelle Unterstützung bei der Bildung programmbezogener Strukturen sowie Beratung und Qualifizierung bei Problemen und Unklarheiten hielten die Teilnehmenden für sehr hilfreich und motivierend.

So wird die externe Unterstützung von einer Befragten als eine »hochgeschätzte Ressource« bezeichnet, ohne die sie »nicht so viel auf die Beine gestellt hätten« (Annabell-Barbara). Eine solche fachliche Begleitung außerhalb des Programms sei zwar mit Kosten verbunden, die Investition lohne sich aber. Resümierend ist festzuhalten, dass Konfliktbearbeitung im öffentlichen Raum nicht nur die Vernetzung lokaler Akteure braucht, sondern auch deren fortlaufende Qualifizierung und Beratung, wie im Sinne der Konfliktparteien Lösungen erarbeitet werden können.


Das Modellprogramm »Wir kümmern uns selbst« wurde durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. In sieben Kommunen wurde zwischen 2005 und 2009 ein Verfahren zur Wahrnehmung, Analyse und Bearbeitung von Konflikten im öffentlichen Raum entwickelt, erprobt und evaluiert. Als Programmagentur hat das Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung (ies) das Projekt in den Kommunen und Sozialräumen gesteuert, begleitet und die Akteure vor Ort beraten. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) war vor dem Start des Modellprogramms mit dessen Entwicklung befasst und führte als wissenschaftliche Begleitung die empirische Untersuchung und Evaluation durch. Insgesamt wurden 54 Akteure und Akteurinnen mittels leitfadengestützter Interviews und teilstandardisierter Fragebögen befragt. Auf Basis des Programms ist ein Praxishandbuch erschienen, das im Internet unter www.ies.uni-hannover.de als Download bereitsteht.
Kontakt: struck@dji.de


*


Quelle:
DJI-Bulletin Heft 4/2009, Heft 88, S.20-21
Herausgeber:
Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI)
Nockherstraße 2, 81541 München
Tel.: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de/bulletins

Das DJI-Bulletin erscheint viermal im Jahr.
Außerdem gibt es jährlich eine Sonderausgabe in
Englisch. Alle Hefte sind kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2010