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MELDUNG/059: Mexiko - UN-Menschenrechtshochkommissarin hört Aktivisten an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Juli 2011

Mexiko: "Komplette Straflosigkeit" - UN-Menschenrechtshochkommissarin hört Aktivisten an

Von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 11. Juli (IPS) - In Mexiko werden Menschenrechtsaktivisten und Journalisten zunehmend zu Zielscheiben von extralegalen Hinrichtungen, Morden, Entführungen und Drohungen. Sie hatten nun Gelegenheit, die UN-Menschenrechtshochkommissarin Navi Pillay über ihre bedrohliche Lage ausgiebig zu informieren.

"Wir arbeiten ohne die geringsten Sicherheitsgarantien", sagte Gabriela Morales, Anwältin des Zentrums für die Menschenrechte von Migranten (CDHM)", im Anschluss an den Pillay-Besuch vom 4. bis 8. Juli gegenüber IPS. "Die Situation der Menschenrechtsaktivisten muss diskutiert werden."

Ende Juni sah sich das CDHM nach Morddrohungen von Seiten krimineller Banden und korrupter Regierungsvertreter gezwungen, sein Migrantenhilfsprojekt in Nuevo Laredo, Tijuana, Agua Prieta und Ciudad Juárez im nördlichen Grenzgebiet aufzugeben. Die Organisation hatte Zentralamerikanern auf ihrem illegalen Weg in die USA und auch aus den USA deportierten Mexikanern Unterkünfte bereitgestellt.

Die Drohungen gegen die Mitarbeiter der Initiative sind nur ein Beispiel für die Gefahr, der Menschenrechtler in Mexiko ausgesetzt sind. Seit 2005 kamen nach Angaben der staatlichen aber autonomen Nationalen Menschenrechtskommission (CNDH) 27 Aktivisten gewaltsam ums Leben. Auch Journalisten leben gefährlich. So berichtet die CNDH von 73 Morden seit 2000. Weitere zwölf Berichterstatter gelten als vermisst.

Dabei geht die Gefahr sowohl von kriminellen Banden als auch von Polizei und Militärs aus. "Ein Großteil der Verbrechen, die auf das Konto der regulären Sicherheitskräfte gehen, werden nicht untersucht", berichtete Juan Gutiérrez, Leiter der unabhängigen Mexikanischen Kommission für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte (CMDPDH), der Menschenrechtshochkommissarin. "Es herrscht komplette Straflosigkeit."


45.000 Soldaten im Einsatz

Seit seinem Amtsantritt im Dezember 2006 setzt Staatspräsident Calderón das Militär gegen die einflussreichen Drogenkartelle ein, die sich um die Schmuggelrouten zum lukrativen US-Markt bekämpfen. In der Folge hat der staatliche Anti-Drogen-Krieg nach offiziellen Angaben mehr als 40.000 Menschen einschließlich 263 Militärs und 409 Polizisten das Leben gekostet. Seit 2006 liegen dem CNDH 5.055 Anzeigen gegen das Verteidigungsministerium vor. Derzeit sind mindestens 45.000 Soldaten gegen das organisierte Verbrechen im Einsatz.

"In den letzten Jahren hat sich die Menschenrechtssituation zunehmend verschlechtert", heißt es in einem Pillay ausgehändigten Bericht des 72 Mitgliedsorganisationen zählenden Netzwerks 'Alle Rechte für alle'. Zwar gebe es bei der Anpassung nationaler Gesetze an internationale Abkommen durchaus Fortschritte, doch fehle es an der Unsetzung konkreter Maßnahmen.

Im Juni billigte das Parlament die Reform von elf Verfassungsartikeln, denen zufolge der mexikanische Staat verpflichtet ist, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen, die Täter zu ahnden und die Opfer zu entschädigen.

Die Calderón-Regierung nahm den Besuch von Pillay zum Anlass, um ein Dekret zu erlassen, das Vorkehrungen zum Schutz von Menschenrechtlern vorsieht. Doch den Aktivisten zufolge handelt es sich um einen weiteren Papiertiger. Die Menschenrechtssituation werde sich nicht verbessern, solange Menschenrechtsverbrechen in Übereinstimmung mit einem Gesetz von 1933 vor Militärgerichten verhandelt würden.


Fortschritte nur auf dem Papier

Daran dürfte sich allerdings in naher Zukunft wenig ändern. Obwohl der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof der Organisation Amerikanischer Staaten Mexiko bereits drei Mal zu einer Reform des Gesetzes aufgefordert hat, wurden die entsprechenden, von Calderón Ende 2010 eingereichten Reformvorschläge bis heute nicht im Parlament diskutiert.

Gutiérrez zufolge fehlt der politische Wille, die Menschenrechtslage zu verbessern. "Wir konnten in den letzten sechs Jahren nicht eine Untersuchung geschweige denn eine Verurteilung feststellen." Aus dem Verteidigungsministerium ist hingegen zu hören, dass die Militärgerichte gegen insgesamt 159 Mitglieder der Streitkräfte wegen Amtsmissbrauch, Folter oder Mord ermitteln. Weiteren 57 Militärs drohe ein Prozess, sieben seien verurteilt worden. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.cndh.org.mx/
http://proyectomigrante.org/cdhm/
http://www.cmdpdh.org/
http://www.lifesitenews.com/ldn/2009_docs/RedTodos/RedTodoslosDerechosparaTodosyTodassupportsMexicoCityabortionlaw.php.htm
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98617

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2011