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UN-REPORT/085: UN feiert Armutsbekämpfungserfolge - Experten skeptisch (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Juli 2015

Entwicklung: UN feiert Armutsbekämpfungserfolge - Experten skeptisch

von Thalif Deen


Bild: © Claire Ngozo/IPS

Wäschewaschen an einem Fluss im malawischen Bezirk Mchinji
Bild: © Claire Ngozo/IPS

NEW YORK (IPS) - Die Vereinten Nationen, die vor 15 Jahren mit der Millenniumsentwicklungsagenda eine ihrer ehrgeizigsten Armutsbekämpfungsstrategien gestartet hatten, sprechen von einer unerhörten Erfolgsgeschichte. Doch Experten zufolge gibt es eine Vielzahl von Unzulänglichkeiten zu beheben.

Bei der Vorstellung des letzten Revisionsberichts vor Ablauf der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) auf einem Treffen in der norwegischen Hauptstadt Oslo am 6. Juli erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, "dass wir aufgrund der bisherigen weitreichenden und stetigen Fortschritte wissen, dass wir die extreme Armut innerhalb der nächsten Generation ausrotten können".

Die Ende des Jahres auslaufenden MDGs hätten einen Anteil an den bisherigen Erfolgen und zudem gezeigt, wie Regierungen, Unternehmen und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten könnten, um Durchbrüche zu erreichen. Den Vereinten Nationen zufolge konnte die Armut in den letzten 15 Jahren halbiert werden. "Die Welt hat das Ziel erreicht und wir sollten auf diese Leistung sehr stolz sein", fügte Ban hinzu.

Den endgültigen Sieg über die Armut bis spätestens Ende 2030 sollen die sogenannten Nachhaltigkeitsziele (SDGs) gewährleisten, die von den Staats- und Regierungschefs im September in New York beschlossen werden. Durch die Setzung konkreter Ziele könnten Millionen Menschen aus der Armut befreit, die Rolle von Frauen und Mädchen gestärkt, die Gesundheit verbessert und neue Möglichkeiten für bessere Lebensbedingungen geschaffen werden, heißt es in dem aktuellen MDG-Revisionsbericht.


Armut mehr als halbiert

Noch vor zwei Jahrzehnten habe die Hälfte der Menschen in den Entwicklungsländern in extremer Armut gelebt. Die Zahl der extrem Armen sei von 1,9 Milliarden im Jahr 1990 auf 836 Millionen Menschen 2015 gesunken.

Doch zivilgesellschaftliche Organisationen reagierten verhalten auf den Bericht. Jens Martens, Leiter des Europa-Büros des 'Global Policy Forum' (GPF), erklärte im Gespräch mit IPS, dass "die MDGs keine Erfolgsgeschichte sind". Sie hätten den Entwicklungsdiskurs auf eine kleine Zahl quantifizierbarer Zielsetzungen reduziert anstatt die strukturellen Rahmenbedingungen für Entwicklung zu verbessern.

Martens kritisierte unter anderem die Einkommensarmut. Das Ziel sei viel zu schwach und das Einkommen von 1,25 US-Dollar pro Kopf und pro Tag als Grenzwert viel zu niedrig angesetzt. "Jemand mit einem Einkommen von 1,26 Dollar pro Tag ist immer noch arm. Auch reicht es nicht aus, sich auf die Einkommensarmut zu konzentrieren. Regierungen müssen sich mit allen Dimensionen der Armut und Ungleichheit befassen."

Auch hätten die MDGs die Konsum- und Produktionsmuster des globalen Nordens und deren Auswirkungen auf den Klimawandel und die Artenvielfalt außen vor gelassen, obwohl diese weitreichende Folgen für das Überleben und die Lebensbedingungen der Menschen des globalen Südens hätten.

Deshalb sei es gut, dass die SDGs einen breiter gefassten, universellen und multidimensionalen Ansatz verfolgten und nicht nur die armen, sondern auch die reichen Länder in die Pflicht nähmen.

Ben Phillips von 'Action Aid' erklärte, dass die politischen Entscheidungsträger ihren Armutsbekämpfungsverpflichtungen nicht nachkommen könnten, solange sie sich nicht des immer stärker auseinander klaffenden Wohlstands- und Machtgefälles zwischen den reichen und den armen Staaten annähmen. Die Armut bis 2030 zu bekämpfen, sollte nicht eine Rechenübung auf der Grundlage einer viel zu niedrigen Dollar-Angabe sein, die ein Leben in Würde für alle nicht gewährleiste.

"Wenn Menschen hungrig zu Bett gehen müssen, keinen Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung, zu Bildung und Gesundheitsdiensten haben, wird die 1,25-Dollar-Grenze nicht das Ende der Armut bedeuten", fügte er hinzu. Selbst wenn die Armutsgrenzen überschritten würden, reiche das Wachstum nicht aus, solange es nicht gleichmäßiger verteilt werde.


Der Macht der Konzerne entgegenwirken

Die Regierungen müssten zudem den Mumm besitzen, sich den Interessen großer Konzerne zu widersetzen, die inzwischen so einflussreich geworden seien, dass sie nicht nur als einzige von den manipulierten globalen Bestimmungen profitierten, sondern sie inzwischen sogar mitgestalteten. Die gute Nachricht sei, dass die Bewegung für mehr Gleichheit und gegen Plutokratie immer stärker werde, fügte Phillips hinzu.

Martens zufolge haben die MDGs gelehrt, dass die Entwicklungsziele nur dann sinnvoll sind, wenn sie mit eindeutigen Verpflichtungen für die Regierungen einhergehen, die erforderlichen Mittel für deren Umsetzung bereitzustellen. Auch aus diesem Grund sei die Entwicklungsfinanzierungskonferenz in Addis Abeba in diesem Monat so wichtig.

Um das komplette Scheitern der Konferenz zu verhindern, müssten alle Regierungen das Prinzip der gemeinsamen aber unterschiedlichen Verantwortung anerkennen und die erforderlichen Mittel zur Umsetzung der SDGs bereitstellen, betonte er. Und sie müssten den Vereinten Nationen bei der internationalen Steuerzusammenarbeit helfen, indem sie eine zwischenstaatliche Steuerbehörde innerhalb der UN etablierten.

Aus dem Bericht zu den Entwicklungszielen 2015 geht hervor, dass die 15-jährigen Bemühungen, den insgesamt acht Oberzielen zum Durchbruch zu verhelfen, zwar weltweit erfolgreich waren, es aber noch einige Versäumnisse gebe. Die in dem Report enthaltenen Zahlen und Analysen zeigen, dass sogar die ärmsten Länder mit gezielten Interventionen, soliden Strategien, adäquaten Mitteln und dem politischen Willen Großes erreichen können. Gleichwohl wird moniert, dass sich die Fortschritte in den Ländern und Regionen sehr ungleich eingestellt haben.

Konflikte stellen nach wie vor die größte Gefahr für die menschliche Entwicklung dar, und fragile und konfliktbetroffene Länder weisen die höchsten Armutsraten auf. Auch besteht die Ungleichheit der Geschlechter unabhängig davon, dass mehr Frauen im Parlament sitzen und mehr Mädchen die Schule besuchen, fort. Frauen sind beim Zugang zu Arbeit, bei den wirtschaftlichen Vermögenswerten und der Beteiligung an privaten und öffentlichen Entscheidungen nach wie vor diskriminiert.

Weiter heißt es in dem Bericht, dass immer noch 800 Millionen Menschen von extremer Armut und Hunger betroffen seien. Die Gefahr, dass Kinder in den 20 Prozent ärmsten Haushalten in ihrer Entwicklung zurückbleiben beziehungsweise nicht die Schule besuchen können, ist demnach doppelt beziehungsweise vier Mal so hoch wie in den 20 Prozent der reichsten Haushalte. In Konfliktländern ist der Anteil der Kinder, die aus dem Schulsystem herausfallen, von 30 Prozent 1999 auf 36 Prozent 2012 gestiegen. (Ende/IPS/kb/07.07.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/07/despite-scepticism-u-n-hails-its-anti-poverty-programme/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2015

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