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AGRAR/1696: Korea - Kampf ums Überleben, wie der Freihandel die Landwirtschaft zerstört hat (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014
REGulIEREN - ABER WIE?
Vom Sinn und Unsinn der (De-)Regulierung

Kampf ums Überleben
Wie der Freihandel die koreanische Landwirtschaft zerstört hat

Von Yoon Geum-sun



Wütende koreanische Bäuerinnen und Bauern kämpfen derzeit gegen die vollständige Öffnung ihres nationalen Markts für Reis. Zahllose Proteste verschiedenster Art fanden schon statt, beispielsweise Großdemonstrationen von Bäuerinnen, Bauern und VerbraucherInnen in der Hauptstadt Seoul, die sich aus Protest den Kopf rasierten. Weitere Demonstrationen in allen Regionen Koreas sind für September geplant. All dies geschieht, weil die koreanische Regierung angekündigt hat, dass sie im Vorfeld des Transpazifischen Partnerschaftsabkommens (Trans-Pacific Partnership Agreement, TPP), zwischen Ländern der Region Asien-Pazifik, den Markt für Reis vollständig öffnen will.


Die traditionelle Kultur Koreas hat sich auf der Grundlage des Reisanbaus entwickelt, Reis wird als historisches Kulturerbe betrachtet. Für Koreaner ist Reis Leben, ihre Kultur und Geschichte. In Anerkennung der besonderen Eigenschaften von Reis in Korea hat sogar die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) die Öffnung des Markts für Reis 1995 und 2005 zweimal verschoben. Nun aber kündigte die Park Geun-hye-Regierung (seit 2013) die vollständige Marktöffnung im Vorfeld des TTP an. Denn die USA, die TPP vorangetrieben haben, verlangen von der koreanischen Regierung, dass sie vor der Beteiligung an TPP einige Vorbedingungen erfüllen sollte. Eine dieser Bedingungen ist die Öffnung des Markts für Reis.

Ein Schlag gegen die Landwirtschaft in Korea

Die Öffnung des koreanischen Agrarmarkts begann durch die Nationalisierung des Handels unter der Militärregierung in den 1980er Jahren und entwickelte sich im Zuge der fortschreitenden Verhandlungen der Uruguay-Runde, dem achten im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) durchgeführten Welthandelsrunde, schnell zu einer Form des Freihandels. Um den Import von landwirtschaftlichen Produkten zu fördern, setzte das Militärregime ab 1989 die Liberalisierung von Importen durch. Grund hierfür war auch der Druck zur Öffnung des Agrarmarktes seitens der USA, die wiederum ihr Haushaltsdefizit ausgleichen wollten. Die USA erzwangen hohe Export- und Preissubventionen, um den Export ihrer Agrarprodukte zu fördern. Dabei nutzten sie Paragraph 301 des US-Handelsgesetzes (in Kraft bis 2002), der Sanktionen für Staaten vorsah, die US-Unternehmen keinen Zugang zum eigenen Markt gewährten.

Durch den koreanischen Beitritt zur WTO 1995 begann für die koreanische Landwirtschaft die Ära der Agrarmarktöffnung. Im Zuge der fortgesetzten Verhandlungen zur Uruguay-Runde bereitete sich die koreanische Regierung durch eine Umstrukturierung der Agrarpolitik auf das Freihandelssystem vor. Sie förderte beispielsweise eine kleine Zahl selbstständiger Landwirte und erweiterte in den bestimmten Regionen die Obergrenze für den Besitz von Ackerland. Sie verfolgte außerdem eine umfassende Kredit- und Investitionspolitik im Agrarbereich zur Vergrößerung und Mechanisierung landwirtschaftlicher Betriebe, um die Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu stärken. Die exzessive Produktion von Gewächshausgemüse und Fleisch führte jedoch in Verbindung mit einer wachsenden Anzahl importierter landwirtschaftlicher Produkte zu einem starken Preisverfall und steigenden Schulden in bäuerlichen Haushalten. Durch eine immer größere Menge importierter landwirtschaftlicher Produkte und deren Dominanz auf dem Markt fielen die Preise einheimischer Agrarprodukte stark, was verheerende Auswirkungen auf bäuerliche Betriebe hatte. Ums Überleben kämpfende Bauern vergrößerten ihre Höfe, nahmen eine zusätzliche Arbeit an. Je mehr sie jedoch ihre Betriebe vergrößerten, desto höher wurden die Kosten, was zu einem Teufelskreis und noch höheren Schulden führte.

Die Verhandlungen der Uruguay-Runde zur Globalisierung des Neoliberalismus und die Etablierung des Freihandelssystems mit der WTO leiteten die Öffnung des Agrarmarkts durch die koreanische Regierung ein. Viele landwirtschaftliche Betriebe in Korea mussten Konkurs anmelden oder aufgeben, einige Bauern nahmen sich das Leben.

Restrukturierung der koreanischen Landwirtschaft steht vor dem Abschluss

Um das Jahr 2000, als koreanische Bauern darunter zu leiden hatten, dass wegen der WTO immer mehr landwirtschaftliche Produkte importiert wurden, verhandelte die koreanische Regierung das Freihandelsabkommen (Free Trade Agreement, FTA) zwischen Korea und Chile. Trotz der starken Bauernproteste wurde das FTA abgeschlossen, es folgten zahlreiche andere FTA mit anderen Ländern, darunter mit den USA. Als die USA Voraussetzungen für diese FTA schufen, indem sie versuchten, den Importmarkt für Rindfleisch aus den USA wieder zu öffnen, folgten in ganz Korea wütende Proteste unter dem Motto "Protestiert wegen des Rinderwahnsinns gegen den Import von Rindfleisch aus den USA". Seit der Wiederaufnahme der Importe hat sich die Menge der Rindfleischeinfuhren aus den USA erhöht, der Preis ist ebenfalls gestiegen.

Das FTA zwischen Korea und China, das kurz vor dem Abschluss steht, wird voraussichtlich die stärksten Auswirkungen auf die koreanische Landwirtschaft haben. China verfügt über viel mehr Anbaufläche, erzeugt viel mehr landwirtschaftliche Produkte, während in Korea höhere Grundstücksbelastungen existieren, die Produktionskosten zwei bis sechsmal und die Löhne in der Landwirtschaft im Vergleich zu China fünfmal höher sind. Der Import von immer mehr landwirtschaftlichen Produkten aufgrund weiterer FTA hat dazu geführt, dass nur noch einige wenige Produkte gezielt angebaut werden, bei denen eine Gefährdung durch den Freihandel unwahrscheinlich ist. Dies führt zu einem massiven Rückgang bei sämtlichen landwirtschaftlichen Produkten und dazu, dass immer mehr bäuerliche Familienbetriebe zerstört werden.

Realität der koreanischen Landwirtschaft und der Bauern

Aufgrund der kontinuierlichen Zunahme importierter landwirtschaftlicher Produkten ist in den mehr als 20 Jahren nach der Uruguay-Runde die koreanische Landwirtschaft immer weiter zerstört worden. Auch bei den landwirtschaftlichen Betrieben ist aufgrund der neoliberalen, offenen Agrarpolitik eine immer stärkere Differenzierung zu beobachten. Infolgedessen fiel die Selbstversorgungsrate bei Nahrungsmitteln, die 1990 noch bei etwa 43% lag, bis 2012 auf 23,6%. Das bedeutet, dass etwa drei Viertel der koreanischen Gesamtbevölkerung auf importierte Agrarprodukte angewiesen sind. Die Gesamtzahl der Landwirte, die 1989 bei 7 Millionen lag, fiel bis 2013 auf 2,85 Millionen (5,6% der Gesamtbevölkerung). Hinzu kommt, dass 37,8% der bäuerlichen Bevölkerung über 65 Jahre alt sind. Durch die geschwächte ökonomische Basis in ländlichen Gebieten und die rasche Abnahme der bäuerlichen Bevölkerung nimmt auch die Armut zu.

Die Einführung der neoliberalen Politik eines offenen Agrarmarkts hat eine ganze Reihe Probleme verursacht. Dazu zählen eine rückläufige Nahrungsmittelselbstversorgung, die Abwanderung der Landbevölkerung, eine Verringerung des Einkommens in ländlichen Gebieten, sowie die Zunahme von Schulden und Einkommensdisparitäten bei ländlichen und städtischen Familien.

Auch der koreanische Saatgutmarkt wird mittlerweile von multinationalen Saatgutunternehmen beherrscht, die sich mit koreanischen Saatgutunternehmen zusammengeschlossen haben. Der Marktanteil der zehn größten transnationalen Unternehmen, unter anderem Monsanto aus den USA und Syngenta aus der Schweiz, ist extrem gestiegen: Von 14% im Jahr 1996 auf 67% im Jahr 2007. Die Bauern müssen jedes Jahr mehr für Saatgut an diese Unternehmen bezahlen. Bei den wichtigsten Getreidesorten zur Ernährung der Bevölkerung ist Korea ebenfalls auf Importe angewiesen, die Hälfte der Importe wird über diese transnationalen Getreidehandelsunternehmen abgewickelt.

Der Freihandel hat die Landwirtschaft in Korea zerstört

Um wessen "Freiheit" geht es denn bei dem schönen Begriff "Freihandel", wenn importierte landwirtschaftliche Produkte, von denen niemand weiß, wer sie angebaut hat und wie sie hergestellt wurden, per Zwang eingeführt werden? Wenn transnationale Unternehmen der Bevölkerung jenes globale Ernährungssystem aufzwingen, das von ihnen selbst beherrscht wird? Und wenn die Bauern weltweit ständig in Gefahr sind? Wer hat die "Freiheit" gewährt, die die Landwirtschaft zerstört, Bauern vertreibt und die Ernährungssicherheit bedroht?

Die koreanischen Bauern sind von ihren endlosen Protesten erschöpft, werden aber den Kampf um den Schutz ihrer Landwirtschaft und ihr Leben nicht aufgeben, in dem Bewusstsein, dass dies der einzige Weg ist, ihre Ernährungssouveränität zu wahren. Sie werden sich weiterhin wehren gegen die Öffnung des Markts für Reis und gegen das Inkrafttreten des FTA zwischen Korea und China und des TPP und für Ernährungssouveränität durch die Bewahrung traditionellen Saatguts und lokaler Nahrungsmittel.


Autorin Yoon Geum-sun ist frühere Präsidentin des Verbands koreanischer Bäuerinnen (Korean Women Peasant Association) und Vertreterin für Südostasien und Ostasien von La Via Campesina.

Aus dem Englischen von Angela Grossmann


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014, Seite 16-17
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2014