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AGRAR/1717: Viele Fässer ohne Boden - Agrarstrukturpolitik ist Bodenmarktpolitik (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 385 - Februar 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Viele Fässer ohne Boden
Agrarstrukturpolitik ist Bodenmarktpolitik - nicht nur im Osten

Von Claudia Schiefelbein


Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2015 zum internationalen Jahr des Bodens erklärt. Das biete die Möglichkeit einer "Plattform zur Bewusstseinsbildung für die Bedeutung des Schutzes der Böden weltweit im Sinne eines nachhaltigen Managements zur Ernährungssicherung, der Sicherung der Ökosystemfunktionen und im Umgang mit den Anforderungen des Klimawandels für jetzige und künftige Generationen", so die UN-Generalversammlung. Boden ist die wichtigste Ressource landwirtschaftlichen Wirtschaftens, nie war er in Deutschland so teuer bezahlt wie heute und selten waren hier die strukturpolitischen Wirkungen seiner Verteilung so einseitig auf Größe und Kapital ausgerichtet wie heute. Das Schreckgespenst des außerlandwirtschaftlichen Investors furcht Sorgenfalten auf fast jede Politikerstirn. Inzwischen setzt man sich auch öffentlich mit dem Thema auseinander, demnächst wieder im Frühjahr auf der Agrarministerkonferenz (AMK) in Bayern. Bis dahin soll eine eigens eingesetzte Kommission ihren Endbericht sowie Handlungsoptionen vorlegen. Schon jetzt gibt es Zielformulierungen für eine Bodenmarktpolitik. Genannt werden die breite Streuung des Eigentums in landwirtschaftlichen Bewirtschafterhänden, die Vermeidung marktbeherrschender Strukturen, der Erhalt der Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft durch Einstiegschancen für junge Leute, die Begrenzung des Anstiegs von Kauf- und Pachtpreisen, die Verbesserung der Markttransparenz.

Warum erst jetzt?

Einer der AMK-Teilnehmer, Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD), gibt sich zerknirscht und tatkräftig zugleich, wenn er die "Privatisierung von Grund und Boden als Kardinalfehler" der ostdeutschen Nachwendepolitik bezeichnet, den er nun durch Restriktionen für außerlandwirtschaftliche Investoren wieder heilen will. Allerdings sind längst Fakten geschaffen und man fragt sich, warum Backhaus und all die anderen nach der Wende nicht von vornherein nach jenen AMK-Zielen gehandelt haben. So lange die LPG-Nachfolgebetriebe und damit viele alte Freunde Profiteure der entsprechenden Bodenmarktpolitik waren, war der Zielkanon offensichtlich noch ein anderer, Eigentumsstreuung und nicht marktbeherrschende Strukturen noch nicht en vogue. Erst die Entwicklung der jüngsten Zeit, die Kombination aus Postfinanzkrisenbodenwertigkeit und dem Renteneintrittsalter ehemaliger LPG- und jetziger Nachfolgebetriebsleiter turboboostet eine Entwicklung, die nun auch einem hart gesottenen Backhaus unheimlich wird.

Wichtigste Ressource

Finanzkrisenalarmierte Investoren, meist aus dem Westen Deutschlands, betrieben anlagetechnisch nun "Katastrophenschutz", so formuliert es das Euro-Magazin, und kauften Boden, meist im Osten der Republik. Dort ist er noch billiger und "dank der Struktur der ehemaligen LPG-Betriebe der DDR gibt es überhaupt ein Angebot an großen Flächen. Während in den alten Bundesländern kaum ein Bauer seine kleine, meist ererbte Parzelle veräußert, steht bei vielen Ostbetrieben in den nächsten Jahren die Nachfolge an. Historisch nicht so eng mit ihrem Land verflochten, sind sie verkaufswilliger." Die Liste der Neubauern lese sich wie das "Who's who" des deutschen Mittelstands. Immerhin ist der Chef des größten deutschen Agrarunternehmens KTG Agrar Siegfried Hofreiter noch gelernter Landwirt. Sein börsennotierter Konzern bewirtschaftet 30.000 Hektar jeweils zur Hälfte konventionell und ökologisch mit weniger als 1.000 Mitarbeitern auf 30 Standorten. Ansonsten spielt in jener Liga Ex-Finanzdienstleistervorstand Bernhard Termühlen, der laut Manager-Magazin tausende Hektar "wie eine Bernsteinkette" von Gütern entlang der Ostseeküste von Angeln bis Polen besitze. Fruchtbarer Boden werde schon bald zu den knappsten Ressourcen auf unserem Planeten gehören, so sagte er der Zeitung auf die Frage, warum er in die früher als "trostlose Branche" gehandelte Landwirtschaft investiere. Möbelfabrikant Steinhoff auf 20.000 Hektar, Spediteur Fiege mit 4000 Rindern auf 4000 Hektar, Viehhändler Lindhorst auf 24.000 Hektar, Rethwisch und Rethmann und wie sie alle heißen, die Liste ließe sich fortsetzen.

Gemachte Strukturen

Die BVVG, Verwalterin des ostdeutschen Ackerbodens in Bundeshand, verkaufte, verpachtete, privatisierte inzwischen den Löwenanteil der 2,1 Millionen Hektar. Zunächst günstig für LPG-Nachfolger, jetzt ist einiges von jenem Land für Meistbieter wieder auf dem Markt. Damit wird der Bodenpreisexplosion Vorschub geleistet. Eine Verkleinerung von Losgrößen oder die Bevorzugung von landwirtschaftlichen Existenzgründern spielt bei der BVVG-Landvergabe erst nach anhaltendem Protest und in allerjüngster Vergangenheit eine kleine Rolle. 2014 gingen von 33.700 insgesamt verkauften Hektar lediglich 2.100 Hektar kriteriengebunden weg. Es bleiben weiterhin Geschichten, wie die von Günther Dihlmann, einem Biobauern in Sachsen-Anhalt, der für seinen Sohn, der gerne in die Landwirtschaft einsteigen wollte, nach dem Kauf einer Hofstelle auch die anliegenden Flächen von rund 100 Hektar von der BVVG kaufen wollte. Direkt nach Dihlmanns Anfrage bei der BVVG schrieb diese die Fläche zur Pacht aus und erteilte den Zuschlag einem Biogasbetrieb 30 km weiter weg. Trotz Öko-, Junglandwirt-, Strukturerhalt-, Eigentksumsstreuungs-Argumenten zählte am Ende das höchste Pachtangebot. Sogar die Agrarstaatssekretärin in Magdeburg "bedauerte" das, konnte aber auch nichts ändern. Ähnlich erging es Dihlmann mit einem Stück Kirchenland, das, trotz Kriterienkatalog der Kirche nicht an ihn, einen kirchengemeindeengagierten Biobauern im Dorf, sondern an einen Hähnchenmäster 20 km weiter weg neu verpachtet wurde. Auch hier Bedauern, diesmal vom Kirchkreisamt.

Fragwürdige Rolle

Eine andere Geschichte erzählt Ludwig Seeger aus Brandenburg. Er betreibt eine kleine, regional verankerte Gemüsegärtnerei und wollte mit einer Gruppe landwirtschaftlicher Neueinsteiger von der BVVG einen Hektar ausgeschriebenes Land am Dorfrand kaufen. Plötzlich erhielt die Gruppe die Mitteilung, dass sie die Bieter mit dem höchsten Gebot seien, jedoch die Ausschreibung ohne Zuschlagserteilung geschlossen sei und das Land einem Investor und Bauträger in der Nachbarschaft zum Kauf angeboten werden müsse. Die BVVG begründete diesen Schritt damit, dass die Gemeinde als Voraussetzung für die Bebauung seines bereits erworbenen Baulandes verfügt habe, dass auf der Nachbarfläche - eben jene, die nun verkauft werden soll - ein Regenwasserrückhaltebecken gebaut werden müsse, um das Oberflächenwasser der Straßen im neu geplanten Baugebiet aufzufangen. Seeger fragte bei der Gemeinde nach, dort wusste man von keiner Verfügung und auch das beauftragte Planungsbüro hatte die besagte BVVG-Ackerfläche in keine der Planungsvarianten einbezogen, zumal die Fläche auch hydrologisch nicht geeignet schien. Seeger konfrontierte die BVVG schriftlich damit, die ihm nun kommentarlos den Kaufvertrag für die in Rede stehende Fläche zuschickte. Ob die BVVG darauf gehofft hatte, mit einem spekulationsbereiten Investor für ein potentielles Baulandgrundstück mehr aushandeln zu können, bleibt ihr Geheimnis.

Berufsverbot

Der Boden ist Grundlage allen Landwirtschaftens und damit auch der Zugang zu Boden, so hat es jüngst ein Mitstreiter des Bündnisses Junge Landwirtschaft formuliert, das sich für Existenzgründungen in Ostdeutschland engagiert. Die Verhinderung an Land heranzukommen sei praktisch ein Berufsverbot.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 385 - Februar 2015, S. 6
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2015

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