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AGRAR/1737: Erwartete und unerwartete Auswirkungen des russischen Einfuhrverbots für Nahrungsmittel (idw)


Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) - 21.08.2015

Erwartete und unerwartete Auswirkungen des russischen Einfuhrverbots für Nahrungsmittel


Im Rahmen eines IAMO Symposions zeigten Fachleute, wie der Einfuhrstopp und die Rubelabwertung im laufenden Jahr zu fallenden Nahrungsmittelimporten und steigenden Preisen in Russland führten. Angesichts von Wirtschaftskrise und Budgetknappheit fällt es der russischen Regierung schwer, die inländische Agrarwirtschaft anzukurbeln. Eine rasche Importsubstitution von tierischen Produkten erscheint unwahrscheinlich. Entgegen den Erwartungen von vorteilhaften Auswirkungen für Mitgliedsländer der Eurasischen Zollunion spürte das Nachbarland Kasachstan bisher in erster Linie die Nachteile der russischen Turbulenzen.


Das Symposion zu den Auswirkungen des im August 2014 erlassenen russischen Einfuhrverbots für im Westen erzeugte Nahrungsmittel wurde vom Hallenser Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) in der vergangenen Woche in Mailand organisiert. Dr. Ekatarina Krivonos von der UN Food and Agricultural Organisation (FAO) präsentierte detaillierte Zahlen zur Handelsumlenkung nach Produktgruppen. Krivonos zufolge verloren die Erzeuger in der EU einen erheblichen Marktanteil an Schweine- und Geflügelfleisch an Brasilien, obwohl Russland die inländische Erzeugung von beiden Produkten leicht steigern konnte. EU-Milchexporte wurden durch Einfuhren aus Belarus ersetzt, während Exporteure aus Chile und den Färöer Inseln Norwegens Fischanteile übernahmen.

Durch steigende Preise und eine zurückgehende Kaufkraft des Rubels rechnet Krivonos mit einem fallenden Nahrungsmittelverbrauch. Dr. Andrey Tkachenko von der Higher School of Economics (HSE) in Moskau zeigte, dass die Preiseffekte in verschiedenen Regionen Russlands unterschiedlich ausfallen. Beispielsweise zogen die durchschnittlichen Preise in den fischerzeugenden Regionen weniger an als in denjenigen ohne nennenswerte Fischlieferanten. Gleichzeitig stiegen die Preise stärker in den westlichen Grenzregionen des Landes. "Diese Unterschiede sind wahrscheinlich auf eine verzögerte Anpassung der inländischen Handelsflüsse an das Embargo zurückzuführen", sagte Tkachenko. Für Frischmilch wurden ähnliche Effekte nicht beobachtet.

Professor Martin Petrick vom IAMO erklärte es für unwahrscheinlich, dass Russland in der näheren Zukunft unabhängig von eingeführten tierischen Lebensmitteln und besonders werthaltigen pflanzlichen Produkten wie Obst und Gemüse werde. Aus seiner Sicht fehlen vor allem landwirtschaftliche Unternehmerpersönlichkeiten und ein leistungsfähiger institutioneller Rahmen für die Einrichtung von Wertschöpfungsketten. "Der derzeitige Schwerpunkt auf Kapitalspritzen durch die Regierung wird wenig helfen", fügte er hinzu, "bereits heute ächzen viele Agrarbetriebe unter einer hohen Schuldenbelastung. Sofern eine Integration in die Weltmärkte und durchgreifende institutionelle Reformen aus politischen Gründen unerwünscht sind, fehlt es nach wie vor an einer überzeugenden Politikalternative." Darüber hinaus könnte eine Steigerung der tierischen Erzeugung im Inland den derzeitigen Produktionsüberschuss bei Getreide wieder zunichtemachen, da größere Tierbestände auch zu einer erhöhten Nachfrage nach Futtermitteln führten, so Petrick unter Verweis auf die Erfahrungen der Sowjetunion in den 1970er Jahren.

Entgegen den Erwartungen spürt das Nachbarland Kasachstan bisher fast ausschließlich nachteilige Auswirkungen der jüngsten Entwicklungen, wie Dauren Oshakbayev, ein unabhängiger Experte aus Astana, erläuterte. Entlang der nördlichen Grenzregionen mit Russland überlagerte die massive Abwertung des Rubels jegliche Nachfrageeffekte aus dem Nachbarland. Der schwache Rubel befeuerte geradezu die Agrarexporte von Russland nach Kasachstan, sogar bei Getreide, wo es trotz einer schlechten Ernte zu einem Preisverfall in Kasachstan kam. "Im ersten Halbjahr 2015 mussten kasachische Lebensmittelverarbeiter durch den Importdruck aus Russland Umsatzeinbußen im Vergleich zum Vorjahr im zweistelligen Bereich hinnehmen", fügte Oshakbayev hinzu. Er stellte außerdem fest, dass sich die Angaben der statistischen Ämter Russlands und Kasachstans zum bilateralen Handel um bis zu 75 Prozent unterschieden, so dass ein verlässliches Bild der tatsächlich geflossenen Warenströme kaum zu zeichnen sei.

Das Symposion fand im Rahmen der 29. Internationalen Konferenz der Agrarökonomen (ICAE) am 11. August in Mailand, Italien, statt.


Über das IAMO
Das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) widmet sich der Analyse von wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungsprozessen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft sowie in den ländlichen Räumen. Sein Untersuchungsgebiet erstreckt sich von der sich erweiternden EU über die Transformationsregionen Mittel-, Ost- und Südosteuropas bis nach Zentral- und Ostasien. Das IAMO leistet dabei einen Beitrag zum besseren Verständnis des institutionellen, strukturellen und technologischen Wandels. Darüber hinaus untersucht es die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Agrar- und Ernährungssektor sowie die Lebensumstände der ländlichen Bevölkerung. Für deren Bewältigung werden Strategien und Optionen für Unternehmen, Agrarmärkte und Politik abgeleitet und analysiert. Seit seiner Gründung im Jahr 1994 gehört das IAMO als außeruniversitäre Forschungseinrichtung der Leibniz-Gemeinschaft an.

http://www.iamo.de
- Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO)

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http://idw-online.de/de/institution418

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO),
Britta Paasche M.A., 21.08.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2015

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