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ENERGIE/1955: Schieferöl-Boom setzt konventionelle Erdölproduzenten unter Druck (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Dezember 2014

Energie: Schieferöl-Boom setzt konventionelle Erdölproduzenten unter Druck - Hohe Preise auf Dauer kaum zu halten

von Humberto Márquez



Caracas, 1. Dezember (IPS) - Der Ansturm auf Schieferöl und das politische Schachspiel zwischen großen Erdölproduzenten und den Verbrauchern haben die Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) in die schwierigste Lage seit ihrer Gründung vor 54 Jahren gebracht. Sie muss sich auf einen Preisniedergang gefasst machen.

"Die OPEC wurde jahrelang durch hohe Preise von etwa 100 US-Dollar pro Barrel verwöhnt", sagt Elie Habalián, ehemals venezolanischer Gouverneur bei dem Ölkartell. "Wenn die OPEC den Weitblick besessen hätte, die Preise bei ungefähr 70 Dollar pro Barrel zu halten, wäre Schieferöl jetzt nicht so eine harte Konkurrenz."

Die aus den zwölf Mitgliedern Algerien, Angola, Ecuador, Iran, Irak, Kuwait, Libyen, Nigeria, Katar, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Venezuela bestehende Organisation hatte sich am 27. November auf ihrem 166. Ministertreffen in Wien auf eine Beibehaltung der bisherigen Fördermengen verständigt.


Erdölpreiserholung nach globaler Finanzkrise

Die Ölpreise stiegen zunächst ab 2003 und überschritten fünf Jahre später die Marke von 140 US-Dollar pro Barrel. Nach Ausbruch der globalen Finanzkrise 2008 sanken sie, erholten sich aber in den folgenden Jahren und hielten sich seitdem bei etwa 100 Dollar pro Barrel.

In der Zwischenzeit nahm in den USA die Förderung von unkonventionellem Schieferöl- und -gas mit Hilfe des so genannten Hydraulischen Frackings zu. Bei diesem Verfahren werden Wasser, Chemikalien und Sand unter hohem Druck durch ein Bohrloch in das Gestein gepresst, damit Öl und Gas in großen Mengen extrahiert werden kann. Im 20. Jahrhundert waren für diese Fördermethode weder die notwendige Technik noch das Kapital vorhanden.

Wie Habalián erklärt, verfolgen die westlichen Staaten und Japan seit dem Ölembargo der arabischen Staaten 1973 die Strategie, einen stabilen Ölmarkt unter ihrer eigenen Kontrolle aufzubauen. Vor 40 Jahren konnte allerdings noch niemand vorhersehen, dass China, Indien und andere Schwellenländer ihre Wirtschaftsleistung rasch steigern und große Mengen fossiler Brennstoffe benötigen würden. Die Erdöl- und -gasproduktion erlebte daraufhin einen neuen Boom.


OPEC-Staaten finanzieren Konflikte in Nahost

"Als die Ölpreise hoch waren, finanzierten die Exporteure geopolitische Kampagnen", erinnert sich Habalián. So hätten sie etwa die Konflikte im Nahen Osten unterstützt und den Einfluss Venezuelas in Lateinamerika in der Regierungszeit von Staatspräsident Hugo Chávez (1999 bis 2013) gestärkt. Die Konzerne hätten dagegen in Technologien und neue Geschäftsfelder investiert.

Fracking ist zurzeit eine teure Prozedur. Schieferöl kann also nur dann Gewinne abwerfen, wenn es zu hohen Preisen gehandelt wird. Wegen seiner erwarteten negativen Auswirkungen auf die Umwelt ist das Verfahren international in die Kritik geraten. Für die Förderung sind große Mengen an Wasser notwendig. Welche Spätfolgen die durch das Fracking herbeigeführten Gesteinsrisse haben werden, ist noch nicht absehbar.


USA profitiert gewaltig von Schieferöl

Schieferöl hat sich bereits einen wichtigen Platz auf dem globalen Energiemarkt erobert. Täglich werden etwa 3,5 Millionen Barrel gefördert, vor allem in den Vereinigten Staaten, die kürzlich vor Saudi-Arabien und Russland zum weltweit größten Ölproduzenten mit einem Gesamtfördervolumen von neun Millionen Barrel pro Tag aufgestiegen sind.

Jahrzehntelang hatte Saudi-Arabien diesen Spitzenplatz beansprucht. Bei einer Produktion von fast zehn Millionen Barrel am Tag ist das Land in der Lage weitere zwei Millionen Barrel täglich zu fördern. Auf diese Weise kann es die Fördermenge je nach Marktlage nach oben oder unten regulieren.

Die OPEC-Staaten steuern etwa ein Drittel zu den rund 91 Millionen Barrel Öl bei, die täglich auf der Welt verbraucht werden. Aufgrund des steigenden Angebots an Schieferöl, der wirtschaftlichen Probleme in Europa und des verlangsamten Wachstums in Schwellenländern wie China und Brasilien zeigt der Ölmarkt mittlerweile Anzeichen für eine Übersättigung.

Die Preise für Rohöl liegen derzeit um etwa 30 Prozent unter denen des Vorjahres. Die europäische Benchmark 'Brent Ekofisk'-Rohöl aus der Nordsee wird für 80 Dollar pro Barrel gehandelt, nachdem der Preis Ende 2013 noch bei 110 Dollar gelegen hatte. Die US-Benchmark 'West Texas Intermediate' kostet 75 Dollar pro Barrel und Venezuelas Öl sogar weniger als 70 Dollar.


Saudi-Arabien will offenbar hart um Marktanteil kämpfen

"Saudi-Arabien scheint dazu entschlossen, seinen Marktanteil aggressiv zu verteidigen, auch wenn dies bedeutet, die Preise für einige Jahre zu senken", sagt Kenneth Ramírez, Professor für Geopolitik an der Zentralen Universität von Venezuela. Die Saudis sehen sich offenbar in Konkurrenz zum Iran, ihrem Rivalen in der islamischen Welt, der wie Venezuela, Russland oder Nigeria so rasch es nur geht die höchstmöglichen Einnahmen erwirtschaften muss. Mit billigem konventionellem Erdöl würde Saudi-Arabien die Entwicklung des großen künftigen Konkurrenten Schieferöl bremsen.

Habalián und Ramírez stimmen zudem darin überein, dass niedrigere Preise und ein größeres Angebot an Rohöl auf dem Markt Länder wie Syrien und seinen großen Unterstützer Russland 'bestrafen' würden. Moskau liegt derzeit wegen seiner Haltung im Ukraine-Konflikt mit dem Westen im Clinch.

In der nahen Zukunft könnte die OPEC dem Vorschlag Saudi-Arabiens folgen, den Status Quo beizubehalten und die Preise mindestens bis auf 70 Dollar pro Barrel abzusenken, um die Entwicklung der Schieferölförderung zu verlangsamen, während sich Europa sowie China und andere Schwellenländer erholen könnten.

Venezuela will eine andere Option durchsetzen. Außenminister Rafael Ramírez hat kürzlich die Hauptstädte erdölproduzierender Staaten - von Mexiko-Stadt über Moskau bis nach Teheran - besucht. An Riad führte sein Weg jedoch vorbei. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/11/shale-oil-threatens-the-high-prices-enjoyed-by-OPEC/ http://www.ipsnoticias.net/2014/11/el-esquisto-deja-a-la-opep-sin-la-golosina-de-los-precios-altos/

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IPS-Tagesdienst vom 1. Dezember 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2014