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ENTWICKLUNGSHILFE/094: Steuer- und Geschlechtergerechtigkeit - Experten fordern innovative Ansätze (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. April 2013

Entwicklung: Steuer- und Geschlechtergerechtigkeit - Experten fordern innovative Ansätze

von A. D. McKenzie



Paris, 8. April (IPS) - Angesichts sinkender Hilfsgelder für die ärmsten Länder im Verlauf der weltweiten Finanzkrise fordern Wirtschaftswissenschaftler "innovative" Ansätze in der Entwicklungspolitik. So müssten beispielsweise multinationale Konzerne zur Zahlung fairer Steuern in den Rohstoffländern verpflichtet und Gesetze zur Gleichstellung der Geschlechter verabschiedet werden.

"Inklusives Wachstum, regionale Integration und Geschlechtergerechtigkeit zugunsten von Eigentums- und Erbrechten für Frauen wären Maßnahmen, um die gängigen Spielregeln zu verändern", meinte Mthuli Ncube, Chefökonom und Vizepräsident der Afrikanischen Entwicklungsbank, im IPS-Gespräch.

Ncube hatte in der ersten Aprilwoche am Globalen Entwicklungsform der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris teilgenommen. Afrika war ein Schwerpunkt der Veranstaltung, auf der der ehemalige nigerianische Staatspräsident Olusegun Obasanjo als ein Hauptredner aufgetreten ist.

"Die Beziehungen zwischen Investoren und den Menschen in Afrika müssen fairer und transparenter werden. Es geht darum, angemessene Lizenzgebühren auszuhandeln. Das ist wichtig, denn trotz steigender Rohstoffpreise sind die staatlichen Einnahmen gleich geblieben", so Ncube im IPS-Interview.


Nachhaltige Investitionen

"Afrika ist reich an natürlichen Ressourcen, und die Investoren, die diese Ressourcen abbauen, kommen hauptsächlich aus dem Ausland. Wir müssen überprüfen, inwieweit diese Investitionen den Afrikanern in Form von Arbeitsplätzen, Umweltschutz, der Entwicklung afrikanischen Unternehmertums und der Verwendung der Einnahmen zur Diversifizierung der afrikanischen Volkswirtschaften zugute kommen", sagte er.

Das Globale Forum folgte auf die Veröffentlichung des diesjährigen OECD-Berichts, demzufolge die preisbereinigte Entwicklungshilfe 2012 um vier Prozent zurückgegangen ist. Im Jahr zuvor war sie noch um zwei Prozent gestiegen. "Die Beziehungen zwischen Investoren und der afrikanischen Bevölkerung müssen fairer und transparenter werden."

Laut OECD haben die fortgesetzte Finanzkrise und die Turbulenzen in der Eurozone etliche Staaten veranlasst, den Gürtel enger zu schnallen und ihre Zuwendungen für die armen Länder zu kürzen. Zudem sei es zu einer bemerkenswerten Verschiebung der Hilfe weg von den ärmsten und hin zu den Schwellenländern gekommen. Allerdings ließen die vorläufigen Finanzierungspläne der Geber für dieses Jahr auf einen moderaten Anstieg der Hilfsgelder schließen.

"2015 läuft die Frist für die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele ab, und ich hoffe, dass sich der Trend der rückläufigen Entwicklungsfinanzierung der ärmsten Länder umkehren wird. Auf diese Weise könnten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Hilfsgelder zur Umsetzung der Ziele beitragen können", meinte der OECD-Generalsekretär Angel Gurría.

Doch ist die Entwicklungshilfe der reichen Länder nach Ansicht vieler Wirtschaftsexperten nicht notwendigerweise die Lösung des Problems. Nach Ansicht von Franklyn Lisk, Entwicklungspolitikprofesser an der Universität von Warwick in Großbritannien, sollte das gesamte Konzept der Entwicklungshilfe in den Kontext von Entwicklung und Gerechtigkeit gestellt werden.

"In Afrika haben wir diese paradoxe Situation, dass der ressourcenreichste Kontinent in punkto menschlicher Entwicklung am ärmsten dran ist. Das hat zum Teil damit zu tun, dass afrikanische Regierungen nicht dafür gesorgt haben, sich den Wert ihrer Ressourcen angemessen bezahlen zu lassen", sagte Lisk.

"Ich würde gern das erleben, was ich unter Steuergerechtigkeit verstehe. Denn viele ausländische Rohstoffunternehmen erreichen durch Manipulationen oder durch das Einverständnis korrupter Regime, dass sie in Afrika und anderen Entwicklungsregionen wenig oder gar keine Steuern zahlen müssen", so Lisk. Der Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass eine faire Rohstoffsteuer den afrikanischen Ländern Einnahmen beschaffen könnte, die die gesamte Entwicklungshilfe um das Sechsfache übersteigen würden.


Faire Steuern würden Entwicklungshilfe überflüssig machen

"Faire Einnahmen und Lizenzgebühren würden afrikanische Staaten von Entwicklungshilfe unabhängig machen", betonte er gegenüber IPS. Es gelte auch die Dimensionen jenseits von Wirtschaftswachstum und Nachhaltigkeit zu berücksichtigen wie soziale, Steuer- und Gendergerechtigkeit. "Das sind Punkte, die noch nicht angemessen berücksichtigt wurden."

Doch die OECD hält die Entwicklungszusammenarbeit sehr wohl für einen entscheidenden Entwicklungsfaktor. Aus diesem Grund sei der Rückgang der Hilfsgelder "besorgniserregend". 2012 hatten die Mitglieder des OECD-Entwicklungshilfekomitees (DAC) eine Netto-Entwicklungshilfe in Höhe von 125,7 Milliarden Dollar bereitgestellt. Das entsprach 0,29 Prozent ihrer kombinierten Bruttonationaleinkommen.

Um die Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zu erreichen, fordern die Vereinten Nationen einen Entwicklungshilfeanteil am Bruttonationaleinkommen von 0,7 Prozent. Dem DAC-Vorsitzenden Erik Solheim zufolge wird sein Komitee auch weiterhin die Mitgliedsländer dazu ermuntern, ihren diesbezüglich eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen.

Auch nach Ansicht der Hilfsorganisation ONE werden viele afrikanische Staaten ohne die Einhaltung der 0,7-Prozent-Quote die acht MDGs zur Armutsbekämpfung nicht erreichen. "Die Geber richten ihr Augenmerk auf die Schwellenländer zu Lasten der afrikanischen Länder südlich der Sahara und der am wenigsten entwickelten Länder", so der Leiter der französischen ONE-Sektion, Guillaume Grosso. "Sie müssen endlich begreifen, dass sich gute Resultate durch kluge Investitionen erzielen lassen."

Die MDGs sehen vor, Armut und Hunger bis 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren, allen Kindern zu einer Grundschulbildung zu verhelfen, die Rolle der Frau zu stärken, die Kindersterblichkeit zu senken und die Gesundheitsversorgung von Müttern zu verbessern. Außerdem sollen schwere Krankheiten wie HIV/Aids und Malaria bekämpft, die ökologische Nachhaltigkeit gesichert und eine globale Entwicklungspartnerschaft zwischen den Ländern des Nordens und Südens aufgebaut werden. (Ende/IPS/kb/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2013