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FINANZEN/088: Der richtige Kurs aus der Krise - Sparen oder neue Schulden machen? (BMF)


Bundesministerium der Finanzen (BMF) - Newsletter vom 25. Juni 2010

Der richtige Kurs aus der Krise: Sparen oder neue Schulden machen?

Der behutsame Übergang von der Konjunkturförderung zur Konsolidierungspolitik


Politiker verschiedener Länder und Wirtschaftswissenschaftler unterschiedlicher Denkschulen sind sich derzeit uneins: Ist jetzt die Zeit gekommen, aus den der Wirtschaftskrise geschuldeten schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen auszusteigen und die arg belasteten öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen? Oder ist der spürbare Wirtschaftsaufschwung noch so fragil, dass weitere Konjunkturprogramme aufgelegt werden müssen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten?

Der US-Ökonom Paul Krugman plädierte kürzlich für letzteres. Sparanstrengungen, wie sie Deutschland plane, seien verfrüht und gefährdeten die (globale) wirtschaftliche Erholung. Sein Rezept: Weitere Konjunkturprogramme, finanziert durch noch mehr Staatsschulden. Dazu müsse man notfalls auch eine höhere Inflationsrate in Kauf nehmen. Zahlreiche Ökonomen, wie der Vorsitzende des Rates der Wirtschaftsweisen (Handelsblatt, 23.06.2010), und Kommentatoren internationaler Wirtschaftsmedien, darunter der angesehene Economist (11.06.2010), halten dagegen und verteidigen die Strategie, die auch Deutschland verfolgt.

Was ist dran an den Befürchtungen Paul Krugmans und was würden seine Forderungen tatsächlich bedeuten? Wir haben die Fakten zusammengetragen.

Befürchtung 1: Es ist zu früh zum Sparen.

Fakt ist: Für Deutschland ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um aus der kurzfristig angelegten Krisenpolitik auf Pump auszusteigen, die solange richtig und ohne wirkliche Alternative war, wie es darum ging, die Folgen des massiven globalen Nachfrageausfalls für deutsche Unternehmen und deutsche Arbeitsplätze abzufedern. Für dieses Jahr wird aber in vielen Prognosen schon wieder ein Wirtschaftswachstum in Deutschland von fast zwei Prozent vorausgesagt.

Damit sind weitere konjunkturstützende Maßnahmen überflüssig, schlimmstenfalls sogar schädlich - Stichwort höhere Inflation. Vor diesem Hintergrund warnt der Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, im Handelsblatt davor, Sparen auf den "Sankt-Nimmerleins-Tag" zu verschieben. Viele G20-Staaten, die OECD und die Europäische Union haben zudem eine klare Ausstiegsstrategie verabschiedet: Nach Ende der Krise maßvoller Einstieg in die Konsolidierung. Also keine gefährliche Vollbremsung, sondern ein behutsamer Übergang.

Krugmans Forderung: Mehr schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme!

Fakt ist: Die Staaten können die Konjunktur nicht dauerhaft künstlich unterstützen,, weil dafür irgendwann auch bei den vermeintlichen "Konjunkturlokomotiven", salopp gesagt, die Kohle fehlt. Der keynesianische Ansatz, Konjunkturprogramme aufzulegen, um die Rezession zu überbrücken, war kurzfristig richtig. Würde man jedoch noch länger so weitermachen, dann droht mittelfristig, dass man mit voller Kraft in eine Sackgasse fährt. Die Ereignisse in Griechenland haben allen vor Augen geführt, das eine dauerhafte Politik auf Pump an schmerzhafte Grenzen stößt.

Spätere Generationen bekommen dafür die Rechnung präsentiert. Außerdem sprechen die Zahlen zur Effektivität von Konjunkturprogrammen eine deutliche Sprache: Die so genannten Ausgabenmultiplikatoren geben an, um welchen Betrag sich die Leistung einer Volkswirtschaft, das Bruttoinlandsprodukt, verbessert, wenn die Staatsausgaben temporär um einen bestimmten Betrag erhöht werden.

Der Wirtschaftsweise Franz legt auf Basis empirischer Studien dar, dass man in der Regel froh sein könne, wenn das staatliche Finanzierungsdefizit sich zumindest in einer Steigerung des BIP in gleicher Höhe niederschlägt, d.h. wenn ein Euro mehr an staatlichen Ausgaben zu einem Euro mehr an Bruttosozialprodukt führt. Fazit: Ein weiteres Programm im konjunkturellen Aufschwung lohnt sich nicht.

Befürchtung 2: Die Staaten sparen zu stark, es droht Deflation.

Fakt ist: Die Argumentation, die geplanten Sparmaßnahmen einiger G20-Staaten gefährdeten den fragilen Aufschwung und brächten Deflation hervor, überzeugt nicht. Die Zeitschrift Economist teilt zwar die Ansicht, dass tiefe Einschnitte gefährlich für die Konjunktur sein könnten, da gerade in den reichen Ländern die wirtschaftliche Erholung noch fragil sei. Aber ein gelassener Blick auf die Sparpläne und Zahlen zeige, so die Zeitschrift, dass die Finanzminister keine unmittelbaren, rigiden Sparpläne auflegten. Zwar müssten die Länder, die im Zentrum der europäischen Schuldenkrise stünden, zum Beispiel Griechenland, Portugal oder Spanien, tatsächlich harte Einschnitte vornehmen.

Aber ihre Volkswirtschaften seien zu klein, als dass davon eine Gefährdung für die europäische bzw. globale Konjunktur ausginge. Das Resümée des Economist: Die echte Gefahr sei nicht, dass die Sparpläne zu waghalsig, sondern dass sie unüberlegt ausgeführt werden könnten. Denn die Staaten sollten die Möglichkeit ergreifen, einen Politikwechsel hinzubekommen, Reformen durchzuführen, die den einzelnen Volkswirtschaften in Zukunft helfen werden. Positiv hebt der Economist am Sparpaket der Bundesregierung hervor, dass sie eben nicht an den "Quellen künftigen Wachstums" wie Bildung, Forschung und Infrastruktur spart.

Befürchtung 3: Das deutsche Sparpaket würgt die Konjunktur ab und schadet der US-Wirtschaft.

Fakt ist: Der Warenhandel zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ist zu gering, als dass maßvolle Konsolidierungsmaßnahmen in Deutschland in der Größenordnung von gerade einmal 0,5% des BIP in 2011 nennenswert auf die US-Konjunktur durchschlagen könnten. Acht Prozent der deutschen Exporte gehen in die USA. Für die Amerikaner sind dies lediglich vier Prozent ihrer Importe.

Befürchtung 4: Sparen schadet dem Euro.

Was die Sorgen um die vorübergehende Schwäche des Euro-Wechselkurses angeht, so sind zwei Fakten wichtig: Einerseits könne - so der Wirtschaftsweise Prof. Franz - die Abwertung des Euro, gemessen an den OECD-Kaufkraftparitäten als Teilkorrektur verstanden werden, Andererseits haben die Erfahrungen mit der Krise in Griechenland und den Bemühungen zur Euro-Stabilisierung gezeigt, dass es für die Staaten wichtig ist, Vertrauen zu gewinnen. Solide öffentliche Haushalte sind die beste Absicherung gegen eine Schulden- und eine Währungskrise.

Europa hat die Lehren daraus gezogen und packt die Probleme nun an der Wurzel. Staatsdefizite sind die eigentliche Gefahr für die gemeinsame Währung. Die Stabilitätskultur, die durch die Bundesbank und die Europäische Zentralbank in Deutschland und Europa verankert wurde, nicht zuletzt aber auch die Tatsache, dass der gesamtstaatliche Haushalt in Deutschland vor der Krise bereits einen Überschuss aufwies - all dies schafft Vertrauen, hält Inflationsraten niedrig und sichert einen stabilen Euro.

Langfristige Wirkungen in den Blick nehmen

Politik ist immer auch eine Frage der Wahrnehmung und ökonomische Rückschlüsse sind immer abhängig von der zugrunde liegenden Theorie. Die jüngsten Erfahrungen in Europa haben die Gefahren hoher Schuldenberge für das Vertrauen in und die Refinanzierungsmöglichkeiten von Staaten schmerzhaft deutlich gemacht. Dagegen dominiert in den USA die Sorge um weiter steigende Arbeitslosenzahlen.

Deutschland geht einen Mittelweg, den viele G20-Staaten, Länder Europas und eine ganze Reihe an Ökonomen empfehlen. Man verabschiedet sich schrittweise und maßvoll von den krisenbedingten Konjunkturmaßnahmen und stellt mittel- und langfristig die Weichen für sanierte Haushalte, die mehr Spielräume für Zukunftsinvestitionen und damit für nachhaltiges Wachstum bieten und uns gegen neue Krisen besser gewappnet sein lassen. Dass Deutschland die Krise seit 2008 besser verkraftet hat als andere Länder, ist schließlich auch dem zuvor ausgeglichenen Staatshaushalt und der Konsolidierung der vergangenen Jahre zu verdanken.


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Quelle:
BMF-Newsletter vom 25.06.2010
Herausgegeben vom Referat K (Kommunikation) des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2010