Zeppelin Universität - 04.05.2015
Forschungstudie fühlt den Puls von Sozialunternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern
Friedrichshafen/München. Sozialunternehmen gelten seit mehreren Jahren als Hoffnungsträger bei der Lösung sozialer Probleme in Entwicklungs- und Schwellenländern. Mit innovativen sozialen Geschäftsmodellen sollen sie soziale Missstände auf finanziell nachhaltige Art und Weise lösen und somit Organisationen aufbauen, die auch spendenunabhängig bestehen bleiben können. Eine Studie von der Zeppelin Universität (ZU) und Siemens Stiftung liefert nun erstmalig umfangreiche Daten zur Einschätzung der Fähigkeit von Sozialunternehmen, Grundbedürfnisse von armen Bevölkerungsgruppen zu befriedigen.
Die Studie zeigt, dass Sozialunternehmen darauf angewiesen sind, ihre
Einnahmen größtenteils aus dem direkten Verkauf von Produkten und
Dienstleistungen an Endkonsumenten zu beziehen. Über die Hälfte der
Sozialunternehmen gaben an, keinerlei Unterstützung von staatlichen
Institutionen zu erhalten beziehungsweise sogar in ihrer Zielerreichung
behindert zu werden. "Die Förderung von Sozialunternehmen liegt dabei
hauptsächlich in den Händen privatwirtschaftlicher und
zivilgesellschaftlicher Akteure, die in ihrer Förderung auch nur bedingt
miteinander kooperieren. Vor diesem Hintergrund können Sozialunternehmen
nur eingeschränkt die niedrigsten Einkommensschichten bedienen und in
Sektoren arbeiten, die weniger Spielraum für Profitabilität bieten -
insbesondere Sektoren, die im Zusammenhang mit der Grundversorgung von
Menschen stehen", erläutert Dr. Lisa M. Hanley, die gemeinsam mit Aline
Margaux Wachner und Tim Weiss am Civil Society Center | CiSoC an der ZU
die zweijährige Studie durchgeführt hat.
Gleichzeitig hat über das letzte Jahrzehnt ein Wandel hinsichtlich der Rolle privatwirtschaftlicher Ansätze zur Lösung sozialer Probleme in Entwicklungs- und Schwellenländern stattgefunden. Marktorientierung ist mittlerweile in der Entwicklungszusammenarbeit weit verbreitet. "Akteure aus dem öffentlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Sektor vergeben ihre Fördermittel zunehmend an profitorientierte Unternehmen statt an öffentliche oder gemeinnützige Organisationen", führt Aline Wachner aus. Die Studienergebnisse spiegeln diesen Trend wider: Während der Anteil an gemeinnützigen Organisationen im Portfolio von Sozialinvestoren sinkt, ist ein starker Anstieg privatwirtschaftlich organisierter Sozialunternehmen zu beobachten sowie von Organisationen, die gemeinnützige und privatwirtschaftliche Rechtsformen miteinander kombinieren (sogenannte "Hybridstrukturen").
Die Studie belegt schließlich, dass insbesondere Sozialunternehmer, die Finanzierung von Sozialinvestoren erhalten, zur Bildungselite in den untersuchten Ländern gehören. Der Großteil hat einen höheren Studienabschluss vorzuweisen. "Dies ist auf die komplexen Herausforderungen im Management von Sozialunternehmen zurückzuführen und spiegelt die stark privatwirtschaftliche Ausrichtung von Sozialinvestoren wider", erklärt Tim Weiss.
Auf Basis dieser Ergebnisse sprechen die ZU-Wissenschaftler eine Reihe von Handlungsempfehlungen aus, um Sozialunternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern darin zu befähigen, ihre finanziell nachhaltigen Geschäftsmodelle umzusetzen und ihre sozialen Ziele gleichzeitig zu schützen. So sind alternative Einnahmequellen wie langfristige Versorgungsverträge mit Sozialunternehmen notwendig, um den Organisationen die Möglichkeit zu geben, auch arme Bevölkerungsgruppen zu bedienen.
Darüber hinaus empfehlen die Forscher eine verstärkte Kooperation zwischen Förderern des öffentlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Sektors, um die Stärken der jeweiligen Sektoren optimal zu nutzen und überholte Förderstrukturen in der Entwicklungszusammenarbeit neu zu definieren. Zum Schutz gemeinnütziger Sozialunternehmen besteht schließlich Handlungsbedarf insbesondere auf Seiten der Sozialinvestoren, mehr innovative Finanzierungsinstrumente für gemeinnützige Sozialunternehmer zur Verfügung zu stellen. Viele soziale Probleme lassen sich zunächst nicht profitabel lösen oder erfordern langjährige Vorbereitung zur Schaffung von Märkten. Gemeinnützige Rechtsformen spielen hier eine zentrale Rolle.
Die Erkenntnisse der Studie basieren auf der Befragung von 36 Sozialinvestoren und 286 Sozialunternehmen aus Kolumbien, Mexiko, Kenia und Südafrika. Hervorgegangen ist die Studie aus dem internationalen Forschungsnetzwerk "International Research Network on Social Economic Empowerment" (IRENE | SEE), das 2011 von der ZU und der Siemens Stiftung ins Leben gerufen wurde. Ziel des Projektes ist die Erforschung organisatorischer Ansätze, die die soziale und wirtschaftliche Selbstbefähigung (Social Economic Empowerment) fördern - in diesem Zusammenhang verstanden als der Prozess der wirtschaftlichen Selbstbefähigung durch professionelle Hilfestellung. Der Hauptschwerpunkt liegt auf unternehmerischen Lösungen für soziale Probleme etwa durch Sozialunternehmen, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend als vielversprechende Ergänzung zur traditionellen Entwicklungszusammenarbeit diskutiert werden.
Die gesamte Studie steht auf
www.zu.de/taking-the-pulse
und
www.empowering-people-network.org
zum kostenlosen Download bereit.
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution811
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Zeppelin Universität, Rainer Böhme, 04.05.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2015
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