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INTERNATIONAL/032: Indien - Mehr Kooperation des Pharmasektors mit Brasilien gefordert, Behörden bremsen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. Juni 2011

Indien: Mehr Kooperation des Pharmasektors mit Brasilien gefordert - Behörden bremsen

Von Ranjit Devraj


Neu-Delhi, 17. Juni (IPS) - Ungeachtet eindrucksvoller Exporte nach Brasilien und einiger erfolgreicher indisch-brasilianischer Partnerschaften richtet sich das Interesse des florierenden indischen Pharma- und Biotech-Sektors sowie der einschlägigen Forschung überwiegend auf die großen Industrieländer. In Indien spricht man zwar viel über die Bedeutung einer Süd-Süd-Zusammenarbeit, doch die zuständigen Ministerien und Behörden bevorzugen weiterhin die vermeintlich einträglicheren Wirtschaftsbeziehungen mit dem reichen Norden.

Zu dieser kritischen Einschätzung kommt eine Untersuchung des 'Research and Information System for Developing Countries' (RIS) in Neu-Delhi, einer staatlich finanzierten Denkfabrik. Die Expertenstudie mit dem Titel 'South-South Cooperation in Health and Pharmaceuticals: Emerging Trends in Indo-Brazil Collaborations' wurde jetzt veröffentlicht.

"Indien muss seinen großen Worten Taten folgen lassen, wenn die Zusammenarbeit mit dem Süden zum Erfolg führen soll", forderte der Wissenschaftler Sachin Chaturvedi vom RIS, unter dessen Federführung die Studie entstanden ist. "Indiens zuständige Ministerien und Behörden müssen sich von ihrer West-Orientierung verabschieden und erkennen, welches große Potential die Zusammenarbeit mit dem Süden bietet", betonte er.

"In Indien und Brasilien müssen die zuständigen Ministerien innovative Mechanismen aufbauen, die den Entwicklungsländern Zugang zu medizinischen Produkten und Technologien ermöglichen", sagte Leena Mengahney, Mitarbeiterin von 'Ärzte ohne Grenzen'. Sie koordiniert die Kampagne der internationalen Hilfsorganisation für eine Versorgung der Entwicklungsländer mit Basismedikamenten.

"Die beiden Länder dürfen nicht länger die Nachteile der nördlichen Schutzsysteme für geistiges Eigentum in Kauf nehmen, die seit jeher nicht nur den Zugang zu Medikamenten und Diagnosemitteln blockieren, sondern auch die gemeinsame Forschungsarbeit", erklärte sie.

Der RIS-Bericht verweist auf die für Indien besonders lohnenswerte Zusammenarbeit mit Brasilien. "Sie erschließt der indischen Pharmaindustrie zunehmend die großen brasilianischen und anderen lateinamerikanischen Märkte", heißt es darin. "Allein die Exporte nach Brasilien dürften bis 2012 ein Volumen von 18,3 Milliarden US-Dollar erreichen."

Vorerst stehen Export und Vermarktung indischer Pharmaerzeugnisse im Mittelpunkt des indischen Brasilien-Engagements. "In Zukunft dürften aber auch Kooperation in Forschung und Entwicklung eine größere Rolle spielen", erwarten die Experten von RIS.


Langwierige Zulassungsprozesse

Die Kooperation der beiden großen Schwellenländer in der medizinischen Biotechnologie machte bestimmte medizinische Produkte kosteneffizienter. So etwa konnten in Indien durch innovative Verfahrenstechniken die Preise für einen Impfstoff gegen Hepatitis B gesenkt werden. Wenn die Behörden mitspielten, könnten brasilianische Unternehmen den indischen Markt mit preiswerten medizinischen Produkten beliefern, beispielsweise mit Testverfahren für HIV/Aids, Tuberkulose und die durch Parasiten übertragene Leishmaniose. In Brasilien kosten sie 30 bis 40 Prozent weniger als in Indien. Doch das 2003 entwickelte Diagnose-Kit für Leishmaniose wird erst jetzt von indischen Wissenschaftlern übernommen. Ähnlich lange dauerte es bis zur Akzeptanz eines brasilianischen Tuberkulosetests.

Trotz steigender Einfuhrzölle wuchs das Exportvolumen der indischen Pharmaindustrie nach Brasilien von sieben Millionen Dollar (1999) auf 115 Millionen Dollar (Ende 2010). Mit drei Prozent machen die Brasilien-Exporte der indischen Pharmaunternehmen nur einen Bruchteil ihres 2010 erreichten Exportvolumens von neun Milliarden Dollar aus. Heute beliefert Indien Brasilien unter anderem mit Antibiotika, Vitaminen, Impfstoffen, Reagenzien und chirurgischen Instrumenten.

Die RIS-Studie zitiert einen indischen Pharmaunternehmer, der ein besonders großes Potential der bilateralen Kooperation bei der Herstellung von Generika in Brasilien sieht. Er berichtete, Brasilien sorge für die beschleunigte Anpassung einschlägiger Vorschriften, während indische Unternehmer durch Joint Ventures bei Produktionsanlagen sowie durch Übernahmen und Fusionen in Brasilien Fuß fassten.


Hoher Bedarf an Generika gegen Infektionskrankheiten

Die indisch-brasilianische Kooperation dürfe sich nicht auf die Herstellung von Generika beschränken, fordert die Aktivistin Menghaney. "Die Firmen müssen ihre Produktpalette um Medikamente gegen Infektionskrankheiten erweitern, die in den Entwicklungsländern dringend benötigt werden."

Die internationalen Pharmakonzerne haben die Erforschung neuer Medikamente zur Behandlung von besonders in armen Entwicklungsländern epidemisch verbreiteten Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose praktisch eingestellt. Deshalb bietet sich den aufstrebenden Schwellenländern Indien und Brasilien eine zukunftsträchtige Partnerschaft im Pharma- und Gesundheitsbereich geradezu an. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2011