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INTERNATIONAL/061: Afrika - Kontinentaler Freihandel, Luftschloss oder realisierbares Zukunftsprojekt? (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. November 2011

Afrika: Kontinentaler Freihandel - Luftschloss oder realisierbares Zukunftsprojekt?

von Kristin Palitza


Kapstadt, 9. November (IPS) - Für Afrikas politische Führungsriege ist ein grenzenloser Freihandel auf dem Kontinent ein Projekt mit Zukunft, in das sie bereits ehrgeizige Pläne investieren. Einige Experten dagegen warnen vor der Vielzahl wirtschaftlicher, politischer, geographischer, administrativer und rechtlicher Hürden auf einem Kontinent mit 26 Staaten und einer Gesamtbevölkerung von über 600 Millionen Menschen. Andere halten das Projekt für realitätsfern.

Anfang des Jahres hatten Afrikas Staatschefs Pläne angekündigt, drei der bereits bestehenden regionalen Wirtschaftsverbände zu einer Freihandelszone (FTA) zusammenzufassen, die zusammen genommen eine Billion US-Dollar erwirtschaften könne. Die Rede war vom Gemeinsamen Markt des östlichen und südlichen Afrika (Comesa) sowie von der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) und der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) mit einem Bruttoinlandsprodukt von derzeit 650 Milliarden US-Dollar.

In dem angestrebten Freihandelsraum soll bis 2014 der Güterverkehr zoll- und steuerfrei abgewickelt werden. Vorgesehen ist ferner, bis 2016 die Gebühren für grenzübergreifende Dienstleistungen und privatwirtschaftliche Unternehmen abzuschaffen. 2025 soll die gesamte Region zu einer einheitlichen Wirtschafts- und Finanzzone erklärt werden.

In dem der südafrikanischen Nationalbibliothek angegliederten 'Center for the Book' in Kapstadt hatten jetzt renommierte Befürworter und skeptische Beobachter des afrikanischen Freihandelsprojektes Gelegenheit, ihre Argumente in einer öffentlichen Debatte vorzubringen.


Chancen und Risiken

Südafrikas Wirtschafts- und Handelsminister Rob Davies, einer der stärksten Befürworter des gigantischen Freihandelsprojektes, verwies auf die sich bietende Chance, das interregionale Handelsvolumen dramatisch zu vergrößern und bis 2015 das Bruttoinlandsprodukt in der Region auf 1,5 Billionen Dollar zu steigern.

"Die FTA wird uns bei der Arbeitsplatzbeschaffung und der industriellen Entwicklung zu einem neuen Wachstumsschub verhelfen", versicherte Davies. Er erwarte für diese Freihandelszone in den nächsten fünf Jahren eine Steigerung der Wirtschaftsleistung um 50 Prozent, bei einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent jährlich. "Afrikas Bruttoinlandsprodukt wird um 30 Prozent zulegen", prognostizierte er.

Liepollo Pheko, eine Expertin für internationalen Handel und Geschäftsführerin der in Johannesburg ansässigen Wirtschaftsberatungsfirma 'Four Rivers' vertrat in Durban das Lager der weniger optimistischen Skeptiker.

Es gebe nicht einmal eine zentrale Einrichtung zur Bewältigung der mit der geplanten Freihandelszone verbundenen Bürokratie, stellte Pheko fest. "Zudem können vorhandene Wirtschaftsgemeinschaften mit ihrem unterschiedlichen Integrationsstatus die eigenen Bemühungen um Freihandelsbereiche in bescheidenerem Umfang nicht einfach aufgeben und auf deren Vorteile verzichten", gab die erfahrene Fachfrau zu bedenken.

Sie brachte auch Probleme ganz anderer Dimensionen zur Sprache. Man müsse sich fragen, wie sich Afrikas asymmetrische Wirtschaftsentwicklung und geopolitische Dauerkrisenherde wie Simbabwe, Sudan, Somalia und Libyen in ein solches Freihandelsabkommen integrieren ließen, erklärte Pheko.

Wirtschaftsminister Davies entgegnete auf ihre Einwände, zahlreiche kleinere afrikanische Länder könnten aus eigener Kraft nicht überleben. Länder wie Malawi, Mosambik und Lesotho erwirtschafteten nicht einmal fünf Prozent der SADC-Einnahmen. "Gerade ihnen wird die Zusammenfassung regionaler Märkte neue Wachstumschancen bieten", meinte er.


Regionale Spannungen durch "Elefanten mit Großmachtsstreben"

Pheko verwies auf die Rolle regionaler wirtschaftlicher Machtzentren wie Südafrika, Kenia und die Demokratische Republik Kongo (DRC). Es sei zu befürchten, dass für sie die Durchsetzung eigener Interessen vor nationalen Anliegen Vorrang habe. "Wenn diese Elefanten mit ihrem Großmachtsstreben sich weigern, die Kosten der Anpassung aufzubringen, könnte es zu erheblichen Spannungen bis hin zu wirtschaftlichen und sozialen Turbulenzen kommen", warnte Pheko.

Joanmariae Fubbs, die Vorsitzende des Komitees für Handel und Industrie der südafrikanischen Regierungspartei ANC (African National Congress), verwies auf die weithin unzureichende Infrastruktur Afrikas und auf die fehlenden regionalen Transportverbindungen. "Bei manchen Produkten ist der interafrikanische Transport teurer als der Import aus China oder Brasilien", stellte die südafrikanische Handelsexpertin fest.

Auch dieses Problem werde man bei der Planung der Freihandelszone berücksichtigen, versprach Davies. Der Ausbau des Nord-Süd-Korridors, der Zentralafrika über Sambia mit dem südafrikanischen Durban und damit mit Afrikas größtem Hafen verbindet, werde den Handel ankurbeln. Im Rahmen der Freihandelszone sei auch die Entwicklung des Trans-Cunene-Korridors zwischen der DRC, Angola, Namibia und Südafrika geplant. Allerdings werde man für den Bau von Straßen und Brücken sowie für den Ausbau von Häfen, Schienennetzen und Kraftwerken viel Geld und viel Zeit brauchen, räumte Südafrikas Handelsminister ein.

Zunächst bleibt jedoch abzuwarten, ob der politische Wille der 26 afrikanischen Staaten zur Schaffung einer Freihandelszone auf ihrem Kontinent ausreicht. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2011