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INTERNATIONAL/227: Vanuatu - Hohe Akzeptanz von Landreform zum Schutz von Traditionsland (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Oktober 2014

Vanuatu: Hohe Akzeptanz von Landreform zum Schutz von Traditionsland

von Catherine Wilson


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Traditionsland leistet einen entscheidenden Beitrag zur Ernährungssicherheit, zu den Einkommen und dem sozialen Wohlergehen der Gemeinden in Pazifikinselstaaten wie Vanuatu
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Port Vila, 15. Oktober (IPS) - Der südpazifische Inselstaat Vanuatu hat vor geraumer Zeit eine Landreform eingeführt, die den Rechten der traditionellen Landeigentümer Vorrang vor willkürlich getroffenen politischen Entscheidungen gibt. Mit Hilfe dieser beispiellosen Gesetze soll auch der verbreiteten Korruption bei der Verpachtung von Traditionsland an Investoren ein Riegel vorgeschoben werden.

Nur eine Stunde von der Hauptstadt Port Vila entfernt liegt Mangaliliu, eines von vielen Dörfern des aus 82 Inseln bestehenden Archipels, in dem die mehr als 247.000 Menschen weitgehend von der Landwirtschaft und vom Fischfang abhängen. Hier setzen sich die Menschen gegen einen Pachtvertrag zur Wehr, der ohne ihr Einverständnis geschlossen worden war.

"Irgendwer aus einer anderen Ortschaft hat einem Investor ein Stück unseres Landes überschrieben. Als die Bulldozer anrollten, habe ich mit meinen Leuten Palmblätter am Straßenrand aufgehängt, um zu zeigen, dass das, was da geschieht, tabu ist", berichtet Mormor, der Chief von Mangaliliu. "Inzwischen befasst sich ein Gericht mit dem Fall."

Kristallklares Wasser, unberührte Natur und ein wunderbarer Blick aufs Meer haben das Interesse ausländischer Investoren an Immobilien und Tourismusentwicklungsprojekten auf der Hauptinsel Efate geweckt. Inzwischen sollen Schätzungen zufolge 56,5 Prozent der Küstengebiete über Zeiträume von bis zu 75 Jahren verpachtet worden sein.


Kollektiver Schutz von Land als Familienerbe

Mehr als 80 Prozent der Landesfläche ist jedoch Traditionsland. Das bedeutet, es gehört den Familien, die das Land von ihren Vorvätern erhalten haben und es ihrerseits an die nachfolgenden Generationen weitergeben wollen. Wie mit diesem Gebieten verfahren wird, etwa im Sinne landwirtschaftlicher oder kommerzieller Zwecke wie der Verpachtung, bestimmt die Gruppe per Konsensentscheidung. Die Bedeutung von Land für die Kultur, Identität, Ernährungssicherheit und Wohlfahrt der Pazifikinselbewohner spiegelt sich in den meisten nationalen Gesetzen wider. Der Verkauf von Traditionsland ist - theoretisch - verboten.

Doch seit der Einführung der Geldwirtschaft ist Land sowohl für Dorfbewohner als auch für Politiker eine Geldmaschine geworden. "Die Leute haben gemerkt, dass sie sich ein Auto, eine Satellitenschüssel oder ein Schnellboot kaufen können, wenn sie eine Parzelle verpachten", berichtet Mormor. "Bis jemand soviel Geld angespart hat, vergehen Jahre. Es durch die Verpachtung von Land zu bekommen, grenzt an ein Wunder."

"Doch die traditionellen Landbesitzverhältnisse, die die Familien zu Hütern ihrer Böden machen, können familienintern Konflikte auslösen", meint der Chief. "Ich habe einen Bruder, der ein Stück Land vergibt, ohne mich, meine Schwester, meine Kinder oder die Kinder meiner Schwester gefragt zu haben", fügt er hinzu.

2013 handelte es sich bei zwei Dritteln aller Gerichtsverfahren gegen die Regierung um die umstrittenen Geschäfte mit Land. Doch im gleichen Jahr wurde Indigenenführer Ralph Regenvanu zum neuen Minister für Land ernannt, der diese Entwicklung mit seiner kühnen Landreform unterbinden will.

Im Dezember letzten Jahres wurden die neuen Gesetze verabschiedet. Sie verlangen, dass alle Mitglieder des Familienkollektivs vor der Verpachtung von Land ihre Zustimmung geben müssen. Potenzielle Investoren sind angehalten, bei einem Ausschuss für Landmanagementpläne die Genehmigung einzuholen, überhaupt mit den Eigentümer von Traditionsland in Verhandlungen zu treten. Kommt es zu Streit, entscheiden zwei traditionelle Institutionen, die 'Nakamals' und die Gerichte für Traditionsland - seltener die normalen Gerichte.

Regenvanu zufolge können sich nach den neuen Bestimmungen Investoren sicher sein, dass ihnen nur die Grundstücke zur Pacht angeboten werden, die rechtmäßig erworben wurden. Gleichzeitig werde die wirtschaftliche und soziale Sicherheit, die Land den Menschen gibt, gestärkt.

Steve Namali vom Vanuatu-Nationalrat der Chiefs in Port Vila kritisiert zwar, dass die Reform ohne Rücksprache mit der Bevölkerung beschlossen wurde. Doch auch er ist der Meinung, dass sie sich als Waffe gegen die lange verbreitete Korruption eignet.


Die möglichen Folgen von Pachtverträgen vorab erkennen

In einem Land mit einer Erwachsenen-Analphabetenrate von 27,6 Prozent wird die Gründlichkeit, mit der über künftige Pachtverträge entschieden wird, ein Bewusstsein für die möglichen negativen Auswirkungen von Pachtverträgen schaffen. So kommt es vor, dass nach Ablauf eines Pachtvertrages die Pächter eine Abfindung für die Investitionen wie etwa ein Touristenresort oder ein Luxushaus einfordern, die auf dem gepachteten Areal entstanden sind.

"Lokale Gemeinschaften verstehen oft nicht, was ein Pachtvertrag auf lange Sicht für sie bedeuten kann", warnt Joel Simo von der Melanesischen Allianz zum Schutz von indigenem Land (MILDA), einem regionalen zivilgesellschaftlichen Netzwerk solidarischer Landeigentümer. "So kann es durchaus geschehen, dass nach Ablauf des Pachtvertrags das Land nie wieder in den traditionellen Besitz übergeht. Jetzt haben wir ein Verfahren, das befolgt werden muss und Einzelpersonen davon abhalten wird, ihre eigenen selbstsüchtigen Ziele zu verfolgen", meint er. "Es stellt für Vanuatu eine Chance gerade mit Blick auf den Landboom und die Menschen, die nur allzu gern das Land verkaufen würden."

Es sind vor allem die Grundstücke, die internationale Investoren aus Australien, Europa und Asien anziehen. Doch Vanuatu hat auch den Status einer Steueroase. 2012 beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) auf 37,7 Millionen Dollar. Das entsprach einem Anteil am nationalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 4,8 Prozent.

Doch Mormor zufolge hat die Lokalbevölkerung nur geringfügig profitiert. "Wir hatten uns von dem Tourismus und dem Landverkauf Arbeitsplätze versprochen, doch wir mussten erkennen, dass das nicht der Fall war", meint er.

Trotz eines durchschnittlichen BIP-Zuwachses von vier Prozent in den letzten zehn Jahren - Ausnahme waren 8,5 Prozent im Jahre 2006 - leben 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

"Die Menschen wollen Entwicklung, fragt sich nur welche und in wessem Interesse?", meint dazu Simo. Er ist der Meinung, dass der Schutz von Traditionsland Sinn macht, wenn eine traditionelle Wirtschaft, in der Subsistenz- und kleinbäuerliche Landwirtschaft den Ausschlag geben, der größte Arbeitgeber Melanesiens ist.

Im Vergleich dazu zeichnen sich viele Jobs im formellen Sektor durch Billiglöhne aus, die die Menschen noch mehr in die Armut abdrängen. Die formelle Beschäftigung in Vanuatu beträgt 20 Prozent. Die monatlichen Durchschnittslöhne liegen bei 316 US-Dollar. "Wenn du also keinen Job hast, bleibt nur die Landwirtschaft als einziges Auffangnetz", sagt Simo.

Mormor will nun dafür sorgen, dass das Land ausschließlich für gemeindeeigene Projekte wie etwa die Fischzucht oder die Kokosölproduktion verwendet wird. Es gilt abzuwarten, ob die populären Landschutzgesetze tatsächlich halten, was sie versprechen. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/10/vanuatu-puts-indigenous-rights-first-in-land-reform/

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IPS-Tagesdienst vom 15. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Oktober 2014