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INTERNATIONAL/329: Wiederaufbau in Syrien (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 28. August 2017
(german-foreign-policy.com)

Wiederaufbau in Syrien


BERLIN/DAMASKUS - Deutsche Unternehmen suchen sich für den künftigen Wiederaufbau in Syrien in Stellung zu bringen. Man beobachte die Entwicklung in dem Land "sehr genau" und registriere bereits "eine Reihe von ersten vorsichtigen Anfragen", berichtet der für Nahost zuständige Referatsleiter beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Anlass für die Äußerung ist die gestern zu Ende gegangene Damascus International Fair, eine der traditionsreichsten Messen der Region, die in diesem Jahr zum ersten Mal seit Beginn des Krieges wieder stattfinden konnte. Gute Aussichten, beim syrischen Wiederaufbau zum Zuge zu kommen, werden vor allem Unternehmen aus Russland, Iran und China eingeräumt. Die Bundesregierung hat sich seit 2012 zwar um Schritte zur Nothilfe und zum Wiederaufbau bemüht, dies jedoch auf die von Aufständischen kontrollierten Regionen beschränkt. Davon profitiert haben auch Gebiete wie die Provinz Idlib, die heute vom Al Qaida-Ableger Al Nusra (umbenannt in Tahrir al Sham) beherrscht wird.

"Potenzial für die deutsche Wirtschaft"

Deutsche Unternehmen suchen sich für einen künftigen Wiederaufbau im kriegszerstörten Syrien in Stellung zu bringen. Zahlreiche deutsche Firmen, die bereits vor dem Krieg in dem Land Geschäfte gemacht hätten, beobachteten die dortige Entwicklung "sehr genau", teilt der Leiter des Referats "Nordafrika, Nah- und Mittelost" beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Philipp Andree, mit.[1] Mittlerweile verzeichne man "eine Reihe von ersten vorsichtigen Anfragen"; doch lege man großen Wert darauf, dass "die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Sicherheitslage stabil" seien. Sei dies gegeben, dann biete Syrien allerdings "Potenzial für die deutsche Wirtschaft". Dies gelte insbesondere für die Infrastruktur: "Straßen, Brücken, Pipelines und Energieversorgung" - das werde "maßgeblich sein für den Wiederaufbau", und in diesem Bereich hätten deutsche Unternehmen das erforderliche "Know-how". Darüber hinaus sei zu konstatieren, dass zahlreiche syrische Unternehmen sich seit den 1970er Jahren "mit deutschen Maschinen" versorgt hätten. "Viele Anlagen sind inzwischen komplett zerstört", erklärt Andree; deutsche Maschinenbauer und Anlagenhersteller könnten nun Ersatz liefern.

Milliardengeschäfte

Anlass der DIHK-Stellungnahme ist die gestern zu Ende gegangene Damascus International Fair, eine der traditionsreichsten Messen des Nahen und Mittleren Ostens, die in diesem Jahr zum ersten Mal seit Beginn des Krieges im Jahr 2011 wieder stattfinden konnte. Offiziellen Angaben zufolge nahmen Wirtschaftsvertreter aus 43 Staaten an der zehn Tage dauernden Veranstaltung teil; besonders stark präsent waren demnach Firmen aus Russland, Iran und China. Der Wiederaufbau, der viele Jahre in Anspruch nehmen dürfte, verspricht Milliardengeschäfte; die Kriegsschäden werden von der Weltbank auf einen Wert von gut 220 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bereits jetzt bereiten sich die Mittelmeerhäfen Syriens und des Libanon auf einen gesteigerten Warenumschlag vor. Bis zu 30 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr zusätzlich könnten in naher Zukunft nötig werden, um die immense Zerstörung zu beseitigen, vermuten Experten.[2] Neben den syrischen Häfen in Tartous und Latakia, von denen es heißt, sie könnten zusammen aktuell zehn bis 15 Tonnen Fracht umschlagen, hofft beispielsweise auch der Hafen im libanesischen Tripoli auf ein beträchtliches Umsatzwachstum.

Prioritäten

Gute Aussichten, beim Wiederaufbau Syriens eine herausragende Rolle zu spielen, werden vor allem Russland, Iran und China eingeräumt - den drei Staaten, die im Krieg die syrische Regierung unterstützten. Beijing hat im Juli angekündigt, rund zwei Milliarden US-Dollar in einen neuen Industriepark in Syrien zu investieren. Berichten zufolge ist die Lizenz zum Betrieb eines syrischen Mobilfunknetzes an Iran gegangen; zudem haben iranische Geschäftsleute in Syrien in Immobilien und Land investiert.[3] Die führende Rolle könnte jedoch Russland übernehmen. Bereits im April 2016 war von russisch-syrischen Geschäften im Wert von rund 850 Millionen Euro die Rede.[4] Im November 2016 bot der syrische Außenminister Walid Muallem russischen Firmen "Priorität" beim Wiederaufbau des Landes an; zudem einigten sich Moskau und Damaskus auf eine Freihandelszone für Agrarprodukte. Im Dezember hieß es in - unbestätigten - Berichten, der syrische Öl- und Gasminister Ali Ghanem habe dem russischen Unternehmen Stroitransgaz 25 Prozent der gesamten syrischen Öl- und Gasproduktion übertragen. Moskau lässt zudem die berühmte Umayyaden-Moschee in Aleppo und die Khalid-ibn-al-Walid-Moschee in Homs wiederaufbauen. Beide Projekte werden über Russlands autonome Republik Tschetschenien finanziert: Dort dominiert der sunnitische Islam - ganz wie in Syrien.

Nothilfe zum Umsturz

Deutsche Unternehmen haben weniger gute Aussichten. Berlin hat seit Mitte 2011 auf einen Umsturz in Syrien gesetzt und zwar humanitäre Hilfe und erste Unterstützung beim Wiederaufbau geleistet - dies allerdings ausschließlich in rebellenkontrollierten Gebieten. Bereits im Mai 2012 beteiligte sich die Bundesrepublik dazu an der Gründung einer multinationalen "Arbeitsgruppe" ("Working Group on Economic Recovery and Development of the Friends of the Syrian People"), die unter Leitung Deutschlands und der Vereinigten Arabischen Emirate Nothilfe für aufständische Gebiete organisierte. Die bundeseigene Entwicklungsagentur GIZ etwa sorgte, wie im Mai 2013 berichtet wurde, vom türkischen Gaziantep aus für Hilfe zum "Wiederaufbau von Krankenhäusern, Schulen und der Wasserversorgung" in nordsyrischen Regionen, die der Kontrolle der Regierung entrissen waren. Das sei nötig, weil die Aufständischen "nur dann den Respekt der Bevölkerung gewinnen" könnten, wenn sie "sichtbar" dabei hälfen, "die drängendsten Probleme in den befreiten Gebieten anzupacken", erläuterte Außenminister Guido Westerwelle damals.[5] Zugleich führten die von EU und USA verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Syrien zu gravierenden Mängeln in der Versorgung der Bevölkerung in regierungskontrollierten Gebieten mit Medizin, Nahrung und Treibstoff. Unter den Sanktionen leide vor allem die einfache Bevölkerung, bestätigte eine im Sommer 2016 im Auftrag der Vereinten Nationen erstellte Studie.[6]

Terroristische Vereinigungen

Vieles spricht dafür, dass die deutsche Unterstützung - anders als es die Bundesregierung bekräftigt - nicht nur sogenannten gemäßigten Aufständischen zugute gekommen ist. So kündigte etwa das Entwicklungsministerium zu Jahresbeginn an, 15 Millionen Euro "für Evakuierte aus Aleppo-Stadt" zur Verfügung zu stellen; die "Regionen Aleppo, Hama und Idlib" sollten das Geld erhalten, hieß es.[7] In die genannten Gebiete, die teilweise von Jihadisten kontrolliert wurden, wurden vor allem salafistisch-jihadistisch orientierte Bewohner Ost-Aleppos evakuiert. Das Entwicklungsministerium hat darüber hinaus ein Krankenhaus in einer Stadt, in der laut Informationen der Linksfraktion im Bundestag die salafistisch-jihadistische Miliz Ahrar al Sham und der Al Qaida-Ableger Jabhat Fatah al Sham um die Herrschaft kämpften, mit 450.000 Euro finanziert.[8] Ahrar al Sham wie auch Jabhat Fatah al Sham (Ex-Al Nusra) werden von den deutschen Behörden offiziell als terroristische Vereinigungen eingestuft.[9] Das Krankenhaus in Ariha ist auch vom Auswärtigen Amt unterstützt worden; noch im März wurde mit einem Benefizkonzert der Bundeswehr und der Bundespolizei Geld für die Einrichtung gesammelt.[10]

Rückzugsort für Al Qaida

Inzwischen hat sich in den internen salafistisch-jihadistischen Machtkämpfen in der Region Idlib der Al Qaida-Ableger durchgesetzt, der mittlerweile - nach diversen verwirrenden Umbenennungen - als Tahrir al Sham firmiert. Über das Gebiet, in das Berlin kräftig investiert hat, um dem Aufstand gegen die Regierung Assad zum Erfolg zu verhelfen, urteilt der US-Sonderbeauftragte für die Anti-IS-Koalition, Brett McGurk: "Die Provinz Idlib ist der größte sichere Rückzugsort für Al Qaida seit 9/11."[11]


Anmerkungen:

[1] DIHK: Syrien bietet "eigentlich Potenzial".
www.dihk.de 23.08.2017.

[2] Lebanon Prepares for Syria's Post-war Construction Windfall.
www.voanews.com 20.08.2017.

[3] Hannah Lucinda Smith: Assad invites friendly nations to rebuild Syria.
www.thetimes.co.uk 17.08.2017.

[4] Neil Hauer: To the victors, the ruins: the challenges of Russia's reconstruction in Syria.
www.opendemocracy.net 18.08.2017.

[5] S. dazu Im Rebellengebiet (IV).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58605

[6] Rania Khalek: U.S. and EU Sanctions Are Punishing Ordinary Syrians and Crippling Aid Work, U.N. Report Reveals.
theintercept.com 28.09.2016.
S. auch Auf die Flucht getrieben (I)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59156 und Gezielt ausgehungert
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59155

[7] Karin Leukefeld: Deutsche Hilfe für Syrien. Neues Deutschland 06.01.2017.

[8] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/12280 vom 09.05.2017.

[9] S. dazu Steinmeier und das Oberlandesgericht
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59296
und Terrorunterstützer
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59489

[10] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Annette Groth, Heike Hänsel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/12280 vom 09.05.2017.

[11] Aron Lund: New order on the border: Can foreign aid get past Syria's jihadis?
www.irinnews.org 15.08.2017.
S. auch Das Al Qaida-Emirat
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59369

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2017

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