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MELDUNG/666: Konjunktur - Brexit dämpft nur vorübergehend (idw)


Institut für Weltwirtschaft (IfW) - 08.09.2016

Konjunktur: Brexit dämpft nur vorübergehend


Die Konjunkturforscher des IfW halten in ihrer aktuellen Deutschland-Prognose am BIP-Zuwachs von 1,9 Prozent für 2016 fest. Zwar dämpft das Brexit-Votum die Wirtschaftsleistung auch hierzulande, der Aufschwung setzt sich aber fort. Die Arbeitslosenquote sinkt weiter, die Verbraucherpreise ziehen an, der Haushaltsüberschuss wird bis 2018 auf über 25 Mrd. Euro steigen. Die Weltwirtschaft legt nur moderat zu, auch wenn sich die Situation in den Schwellenländern stabilisiert.

In ihrer aktuellen Konjunkturprognose rechnen die Forscher des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Deutschland um 1,9 Prozent für 2016, um 1,7 Prozent für 2017 und um 2,1 Prozent für 2018. Damit nehmen sie ihre Prognose für 2017 um 0,4 Prozentpunkte zurück. Grund sind vor allem temporär dämpfende Faktoren wie der Ausgang des Referendums im Vereinigten Königreich. "Das Brexit-Votum dämpft auch hierzulande etwas, aber es würgt die Konjunktur nicht ab. Bis zum Jahr 2018 dürfte dieser Effekt das Bruttoinlandsprodukt um gut 0,5 Prozent schmälern", sagte Stefan Kooths, Leiter des IfW-Prognosezentrums. Auch die im Vergleich zum laufenden Jahr deutlich geringere Zahl der Arbeitstage trägt zur leichten Verlangsamung des BIP-Zuwachses 2017 bei, arbeitstäglich bereinigt legt das Expansionstempo in allen drei Prognosejahren zu.

"Wir erleben in Deutschland seit drei Jahren einen ungewöhnlich gedehnten Aufschwung. Die erhöhte Gangart ist nicht so ausgeprägt wie sonst, hält aber länger an. Im Prognosezeitraum driften wir allmählich in die Hochkonjunktur", so Kooths weiter. Angetrieben wird diese Entwicklung maßgeblich von binnenwirtschaftlichen Faktoren, vor allem von der lebhaften Bautätigkeit. Aber auch das Auslandsgeschäft dürfte mit der allmählichen Belebung der Konjunktur in wichtigen Absatzmärkten nach einer Flaute im laufenden Halbjahr den Aufschwung stützen.

Arbeitsmarkt weiterhin sehr aufnahmefähig, Verbraucherpreise steigen

Der private Konsum wird im gesamten Prognosezeitraum kräftig zulegen, so die Forscher. Ursache sind die hohen Realeinkommenszuwächse als Folge der guten Arbeitsmarktlage, merklich höherer monetärer Sozialleistungen sowie eines geringen Preisauftriebs. Die Teuerungsrate steigt von 0,4 Prozent in diesem Jahr bis auf 1,6 Prozent im Jahr 2018. Der Wohnungsbau wird die am stärksten zunehmende Einzelkomponente sein, aber auch die Investitionen in Ausrüstungen, Software, Forschung und Entwicklung dürften deutlich anziehen. Neben zyklischen Kräften wirken vor allem die günstigen Finanzierungskonditionen als Konjunkturtreiber. Die Arbeitslosenquote sinkt weiter von 6,1 Prozent im laufenden Jahr auf 5,8 Prozent im Jahr 2018. Damit geht die Arbeitslosigkeit aber in geringerem Tempo zurück, als die Beschäftigung zulegt. Grund dafür ist, dass das Erwerbspersonenpotenzial vor allem aufgrund der hohen Zuwanderung kräftig steigt.

20 Mrd. Euro für Flüchtlinge, Haushaltsüberschuss nimmt aber weiter zu

Die öffentlichen Haushalte dürften aufgrund der konjunkturellen Dynamik im gesamten Prognosezeitraum weiterhin Überschüsse einfahren, die in der Größenordnung des Wertes im vergangenen Jahr liegen. Die IfW-Forscher erwarten ein Plus von 16,7 Mrd. Euro im Jahr 2016, das bis auf 26 Mrd. Euro im Jahr 2018 ansteigt. "Angesichts der monetären Ausnahmesituation, die diese Überschüsse überhaupt ermöglicht, und der demografischen Herausforderungen, die Deutschland im kommenden Jahrzehnt ins Haus stehen, wäre es angebracht, die Überschüsse zum Schuldenabbau zu nutzen, um die Staatsfinanzen wetterfest zu machen", sagte Kooths. Die Ausgaben für Flüchtlinge schätzen die Forscher für das laufende Jahr auf rund 20 Mrd. Euro, der konjunkturelle Impuls liegt aber deutlich darunter, da zum Beispiel ein Teil des Geldes in zusätzliche Importe fließt oder andere Ausgaben dafür entfallen (siehe Medieninformation "2016 rund 20 Mrd. Euro für Flüchtlinge").

Weltwirtschaft verhalten, Schwellenländer stabilisiert

In den kommenden beiden Jahren dürfte die Weltwirtschaft zwar allmählich wieder an Fahrt gewinnen, doch ist ein kräftiger globaler Aufschwung in Sicht. Den Anstieg der Weltproduktion - gerechnet auf Basis von Kaufkraftparitäten - sehen die Experten mit 3,1 Prozent in diesem Jahr genauso schwach wie 2015, für 2017 rechnen sie mit einem Anstieg um 3,5 Prozent, für 2018 mit 3,7 Prozent.

"In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften gehen zwar Impulse von der weiter sehr expansiven Geldpolitik aus, dem stehen aber strukturelle Hemmnisse und politische Unsicherheiten entgegen. Dazu zählen geopolitische Spannungen sowie zunehmende isolationistische und protektionistische Tendenzen, die beispielsweise im Brexit-Votum zum Ausdruck kamen, sich aber auch in der ablehnenden Haltung beider US-Präsidentschaftskandidaten gegenüber TTIP zeigen", so Kooths. Mit der Stabilisierung der Rohstoffpreise und der Festigung der Konjunktur in China haben sich die Aussichten für viele Schwellenländer aufgehellt. Die Erholung wird aber angesichts der geringen Dynamik in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften und vielfach gravierender struktureller Probleme auch hier moderat ausfallen.

Tabelle: Eckdatentabelle für die wirtschaftliche Entwicklung 2015-2018 (siehe pdf-Anhang)

Kommentar von Stefan Kooths zur aktuellen Prognose: "Weltwirtschaft vor den Protektionisten schützen"

"Die Wirtschaftspolitik rund um den Globus wird zusehends anfällig für protektionistische Versuchungen, nachdem die fiskalischen und geldpolitischen Möglichkeiten zur kurzfristigen Stimulierung vielerorts ausgereizt sind. Damit droht zusätzlicher Sand im Getriebe der Weltwirtschaft, der letztlich allen schadet und die zugrundeliegenden Strukturprobleme ebenso wenig lösen kann wie immer neue Konjunkturprogramme. Hinzu kommen erhebliche politische Spannungen, auch innerhalb der Europäischen Union. In Deutschland besteht die Gefahr, dass der Rückenwind des Aufschwungs allzu sorglos macht und neue Ansprüche ins Kraut schießen, die langfristig die Verteilungskonflikte anheizen und damit die Wachstumsperspektiven schmälern."


Weitere Informationen unter:
https://www.ifw-kiel.de/wirtschaftspolitik/prognosezentrum/konjunkt
Zur vollständigen Prognose
https://www.ifw-kiel.de/medien/medieninformationen/2016/2016-rund-20-mrd-euro-fur-fluchtlinge
Zur Medieninformation "2016 rund 20 Mrd. Euro für Flüchtlinge"

http://idw-online.de/de/attachment50812
Eckdatentabelle für die wirtschaftliche Entwicklung 2015-2018

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution2084

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Jörg Schäfer, 08.09.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. September 2016

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