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MEINUNG/042: Irrtum beim Geldkapital im Wirtschaftskreislauf? (Karl Mai)


Irrtum beim Geldkapital im Wirtschaftskreislauf?

von Karl Mai, 15. Juni 2014



Jetzt überraschte Peter Bofinger die "Spiegel"-Leser (1) mit seiner Kritik an Thomas Piketty, einem TOP-Kollegen aus Frankreich. Zitat: "Piketty setzt zum Beispiel Sparen und Investieren gleich." (!) Er sollte dies aber nach Bofinger nicht gleichsetzen, da dies den Eindruck erweckt, dass "Investieren = materiell-physisch investieren" bedeutet. Das wäre dann jedoch falsch! Offensichtlich ist die Rolle von Geldkapital als Ausdruck von "Sparen" und dann von "Investieren" nicht vollständig eindeutig!

Zunächst verweisen wir auf die makroökonomische Lehrbuchmeinung, wonach in einer modernen Volkswirtschaft mit Außenhandel die Investitionen der Unternehmen(IU ) identisch sind mit den folgenden Ersparnissen: der privaten Haushalte (SH) + der wirtschaftlichen Unternehmen (SU) + des Staates(SSt) + der Außenwirtschaft(SA) - also der Ersparnisse aller Wirtschaftssektoren: es gilt hier immer "Sparen = Investieren" in umfassenden Sinne.(2) Aber wieso sollte dies Piketty nicht wissen?


Im volkswirtschaftlichen Regelfall

Wenn Unternehmen selbst nicht investieren, so lassen sie heutzutage ihr Geld ganz einfach als Geldkapital auf ihrer Bank, die es im Regelfalle gewinnbringend ausleiht - ebenfalls als Geldkapital, und zwar an andere Unternehmen im In- oder Ausland, die es wiederum in Sachkapital investieren. Das weiß jedoch Bofinger selbst ganz genau - wieso dann die undifferenzierte bzw. unhistorische Kritik an Piketty?

In Wirklichkeit jedoch existieren in der Volkswirtschaft die beiden Kreisläufe von Sachkapital (Realinvestitionen) und Geldkapital (Leihkapital = zinstragende Finanzinvestitionen) nebeneinander und miteinander verschlungen. Sie bilden ein Konglomerat des Kapitals in zwei Formen, die ständig wechseln können - als die Daseinsweise von Kapital schlechthin. Allerdings schwanken die Erträge aus beiden Wirtschaftskreisläufen in Abhängigkeit von strukturellen Änderungen der nationalen Wirtschaften im Gefolge der generellen Ungleichgewichte in der globalen Gesamtwirtschaft (einschließlich der Außenwirtschaft). Solche unterschiedlichen Ertragsschwankungen (Renditen, Gewinne) zwischen realer Wirtschaftssphäre und reiner Finanzsphäre bleiben oftmals in Medien unerwähnt. Inzwischen haben sich die jeweiligen Gewinn-Relationen dieser beiden Sphären massiv, ja erdrückend zu Gunsten der Finanzsphäre verschoben. Über diese doppelte Existenzweise des Kapitals und deren unterschiedliche Gewinne/Erträge - in Abhängigkeiten von den entstehungsfunktionellen Geldarten bzw. "Geldmengen" M1 bis M3 - gibt es hinreichende Erläuterungen in den Lehrbüchern der volkswirtschaftlichen Geldtheorie. (3)

Bei Bofinger heißt es dann weiter: (Zitat) "Aber man kann auch sparen, indem man Geld hortet: Genau das geschieht derzeit. Die Vermögenden und viele Unternehmen investieren nicht. Stattdessen sitzen sie auf ihrem Geld wie Dagobert Duck." Dieses Geiz-Symbol Dagobert Duck ist ein arg populistisches Bild, das im Regelfall fiktiv ist, da es die Sichtweise von der volkswirtschaftlichen auf die Ebene der Betriebswirtschaft zurückführt und die allgegenwärtige volkswirtschaftliche Rolle der Banken übergeht.


Im kriminellen "Sonderfall"

Allerdings hat Bofingers "Geiz-Geldsack" eine reale Funktion im kriminellen Bereich - als Sonderfall der maffiosen Steuerhinterziehung - hier wird tatsächlich Geld im Koffer durch die Lande getragen, bis es seine (Bank-)Anleger im In- oder Ausland bzw. in Steueroasen findet. Diese Form der "stockenden" Geldzirkulation ist jedoch wenig geeignet, das typische Funktionieren des Geldkapitals im volkswirtschaftlichen Kreislauf zu demonstrieren: es ist das Kuriosum des Niedergang der sozialgerechten Steuerpolitik im Lande, die ihr materielles Gegenstück in der maroden Infrastruktur findet.

In diesem besonderen Sinne ist es jedoch wenig ratsam, in gewisser Weise einen logischen Bezug auf den französischen TOP-Ökonomen Thomas Piketty herzustellen und ihm vorzuwerfen, "Sparen und Investieren" seien ja nicht identisch. Dies kann durchaus zu Verwirrungen im Kreis von manchen vertrauensseligen Nichtökonomen beitragen.


Fazit

Peter Bofinger hat den Finger in eine blutende Wunde der modernen Geldzirkulation gelegt, die angeprangert werden darf - die "Schattenwirtschaft" der modernen Geldwäscher und Geld-Maffia schlechthin. Für den volkswirtschaftlichen Regelfall gibt es jedoch keinen Anlass, das Geiz-Symbol des "Dagobert Duck" anzuprangern. Die Erwartung und der Drang der Geldvermögens- und privilegierten Geldeinkommensbesitzer auf profitable Geldkapitalanlage ist unauslöschlich - gleichgültig, ob sie durch Investitionen in der Realwirtschaft oder durch Finanzinvestitionen in der "reinen Finanzsphäre" bedient wird.


Anmerkungen:

(1) Siehe: "Der Spiegel", Nr. 23/2014, S. 73. Die Aufmachung und der Stil der Veröffentlichung im "Spiegel" geben zu bedenken, ob dies letztlich im Sinne von Peter Bofinger zustande kam.

(2) Siehe z. B. das Lehrbuch "Grundlagen der angewandten Makroökonomie" von Clement, Terlau, Kiy; Seite XXXVII (3. Auflage): SH + SU + SSt + SA = IU , wobei SA = (Import - Export ). (Seite 35)

(3) So z.B. bei Duwendag u.a. in "Geldtheorie und Geldpolitik in Europa", 5. Auflage, Springer-Verlag.

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Quelle:
© 2014 by Karl Mai
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2014