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MEINUNG/082: Mit "Sozialen Innovationen" die Welt verbessern? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 209 - April / Mai 2019
Die Berliner Umweltzeitung

Mit "Sozialen Innovationen" die Welt verbessern?
Von der Utopie zur Sozialtechnologie: Wie soziale Fragen mit Mitteln der Marktwirtschaft gelöst werden sollen

von Elisabeth Voß


Seit etwa zehn Jahren ist in Wissenschaft und Politik zunehmend von "Sozialer Innovation" die Rede. Das klingt gut, auch wenn es keine eindeutige Definition gibt, was damit gemeint ist. Die Europäische Kommission versteht unter Sozialer Innovation "die Entwicklung neuer Ideen, Dienste und Modelle zur besseren Bewältigung gesellschaftlicher Probleme". Dazu sollen "sowohl öffentliche als auch private Akteure und die Zivilgesellschaft" beitragen. Das Thema ist europapolitisch hochrangig angesiedelt und hat Eingang in einige Förderprogramme gefunden. Die "Europa-2020-Strategie" der EU-Kommission folgt der "Vision einer europäischen Sozialen Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts". Nach wie vor wird das Wachstumsdogma verfolgt, jedoch soll dieses Wachstum "intelligent", "nachhaltig" und "integrativ" sein.

Kritik am Bestehenden und Utopie

Soziale Innovationen strebten schon einige soziale Bewegungen nach 1968 an. Dafür nutzten sie häufig die Methode der Zukunftswerkstatt, die von Robert Jungk (1913-1994) und weiteren Zukunftsforschern entwickelt worden war. Diese umfasst drei Phasen: Auf die Kritik am Bestehenden folgt die Ausmalung einer Utopie, um am Schluss Umsetzungsschritte auszuarbeiten. Das waren beispielsweise Verabredungen zu Aktivitäten für den Frieden oder gegen Atomkraftwerke, aber auch zur kollektiven Verbesserung der eigenen Lebenssituation.

Der Theoretiker der Alternativenbewegung und Professor für Devianz-Forschung an der Universität Kassel, Rolf Schwendter (1939-2013), fand Ende der 1990er Jahre in einer kleinen Umfrage heraus, dass Soziale Innovation häufig im Zusammenhang mit alternativen Ökonomien genannt wurde, beispielsweise "Wohngemeinschaften, Genossenschaften, Selbsthilfe, Grundsicherung, Netzwerk Selbsthilfe, Ökobank, taz, Wissenschaftsläden, Jugendzentren". Schwendter zufolge definierten Jungk und andere Soziale Innovation "als Institutionen, Rechtsnormen oder Prozesse, die gesellschaftlich verändernd wirken, und zwar im Sinne einer intendierten Humanisierung der Welt". Der vorweggenommenen Idee eines ganz anderen Zustands der Welt maß Schwendter große Bedeutung bei und betonte, dass "Soziale Innovationen nicht ohne dahinterliegende Utopien zustandekommen" und dass "keine Reform, die den Namen verdient, ohne Soziale Innovationen, folglich ohne Utopien, auskommt".

Mit Weltverbessern Karriere machen

Auch heute soll mit Sozialen Innovationen die Welt verändert werden. "Wir glauben an eine bessere Zukunft" verkündet "tbd*", ein Projekt der Berliner Personaldienstleistungsfirma The Changer GmbH. Das Online-Portal "unterstützt alle, die mit Weltverbessern Karriere machen". Sein Engagement begründet es mit der unsicheren, beängstigenden Gegenwart: "Trump, Brexit, Klimawandel, Massenmigration ­...". Der Name tbd* steht für "to be determined", was sowohl "wild entschlossen sein" bedeuten kann als auch eine Zukunft, die noch offen ist. Als potenzielle Arbeitgeber werden "wirkungsorientierte Organisationen" vorgestellt.

"Wirkungsorientierung" ist ein häufig benutzter Begriff: Es reicht nicht aus, etwas zu tun, sondern es soll damit eine messbare Wirkung erzeugt werden - sowohl bei der jeweiligen Zielgruppe als auch in der Gesellschaft. Die gesellschaftliche Wirkung wird auch als "Impact" bezeichnet. Nicht die Politik soll die Gesellschaft verändern, sondern Unternehmen mit ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit. Als Alternative zu einem Job mit Sinn entscheiden sich viele, vor allem junge Leute, selbst ein "Social Start-up" zu gründen.

Im "Social Innovation Center" der städtischen Wirtschaftsförderung Hannover präsentierten im Februar 2019 die ersten Absolvent*innen eines dreimonatigen Gründungsprogramms ihre Geschäftsmodelle. Für die Teilnahme am Programm waren sie von einer Jury ausgewählt worden. "Bei der Bewertung ging es um die Relevanz des Problems, den Neuigkeitswert der Idee, den sozialen Mehrwert, das Ertragsmodell und das damit verbundene Marktpotenzial, den Wettbewerb sowie die vorhandenen Kompetenzen im Team." Die vorgestellten Konzepte wollen "eine Antwort auf gesellschaftliche Probleme geben und die Welt ein Stück besser machen". Sie beruhen auf digitalen Lösungen und sollen zum Beispiel mit Apps oder Onlineplattformen Ältere und Jüngere zusammenbringen, digitale Kompetenzen stärken oder den Austausch zwischen Menschen mit seltenen Krankheiten unterstützen.

Wenn es damit wirklich gelingt, das Leben wenigstens für einige Menschen zu verbessern, ist das schwer zu kritisieren, und das gute Wollen der Gründer*innen verdient Wertschätzung. Allerdings darf darüber nicht vergessen werden, dass soziale Leistungen eine öffentliche Aufgabe sind. Es ist schon sehr fragwürdig, wenn es ins Belieben privatwirtschaftlicher Unternehmen gestellt ist, welche Probleme welcher Zielgruppen gelöst werden, und auf welche Weise dies geschieht.

Profitable Wohltaten

Während den Zukunftswerkstätten ein kritischer Impuls innewohnte und die Sozialen Innovationen auch darauf zielten, gesellschaftliche Bedingungen zu verändern, beschränken sich die Geschäftsmodelle des "Social Entrepreneurship" meist darauf, Symptome zu lindern. Wenn Start-ups im Sozialbereich tätig sind, dann werden die Leistungen privatisiert und marktwirtschaftlicher Gewinnerzielungslogik unterworfen. Der öffentlichen Steuerung und Kontrolle sind sie somit weitgehend entzogen.

Längst haben Investoren das Feld des Sozialen als lukrative Anlageklasse entdeckt. Mit "Impact Investment" sollen gesellschaftliche Wirkungen erzielt und mit neuartigen Finanzprodukten Gewinne generiert werden. So werden in Großbritannien beispielsweise "Social Impact Bonds" eingesetzt. Aus diesen Geldanlagen werden soziale Leistungen privater Anbieter finanziert. Wenn die gewünschten Ergebnisse nicht erreicht werden, verlieren die Investoren ihr Geld. Im Erfolgsfall bekommen sie ihre Anleihe von der öffentlichen Hand ausgezahlt, zuzüglich einer guten Verzinsung. Erfolgskriterien können beispielsweise niedrige Rückfallraten von Haftentlassenen oder die Zahl von abgeschlossenen Arbeitsverträgen für ehemals Erwerbslose sein. In solcherart finanzierter Sozialarbeit werden die sozialen Beziehungen und Prozesse einem betriebswirtschaftlichen Kalkül untergeordnet. Eine Finanzierung von Tätigkeitsfeldern mit problematischen Zielgruppen wird dann unwahrscheinlich und am Ende zahlt die öffentliche Hand mehr, als wenn sie die Leistungen in eigener Regie erbringen ließe.

Neoliberale Kampfbegriffe

Was bedeutet "Soziale Innovation" in der Welt des Social Business? Der angestrebte gesellschaftliche "Impact" wird aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen gesteuert und ist der gesellschaftspolitischen, demokratischen Kontrolle entzogen. Die geforderte "Wirkungsmessung" folgt einem rein erfolgsorientierten, technokratischen Menschenbild ohne emanzipatorische oder gar utopische Ideen.

Der irrsinnige Ressourcenhunger einer Durchdigitalisierung aller Lebensbereiche wird von den technischen Scheinlösungen weiter angeheizt. Dafür werden weltweit die Lebensgrundlagen von unzähligen Menschen zerstört - sie werden in die Flucht getrieben und kommen millionenfach ums Leben. Die digitalen "Lösungen" können bestenfalls einen kleinen Teil der Schäden reparieren und sind insofern ein Teil des Problems, statt zur Bekämpfung der Ursachen beizutragen. All die wohlklingenden Plastikwörter der vermeintlich sozialen neuen Ökonomie sind daher kaum mehr als neoliberale Kampfbegriffe.

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Quelle:
DER RABE RALF
30. Jahrgang, Nr. 209, Seite 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2019

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