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REDE/412: Bundesfinanzminister Schäuble in der Schlußrunde zum Haushaltsgesetz 2010, 22.10.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, in der Schlussrunde zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 22. Januar 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen!

Ich würde gerne noch einmal mit dem ersten Satz, den ich in dieser Haushaltsdebatte gesagt habe, beginnen: Der Haushalt 2010 ist durch die tiefgreifende Bankenkrise und durch den schwersten Wirtschaftseinbruch der Nachkriegszeit geprägt. - Das betrifft übrigens auch die Haushalte der kommenden Jahre, 2011, 2012, 2013, 2014 und folgende. Auch sie werden davon geprägt und getragen sein; das ist überhaupt keine Frage. In der Debatte wurde gelegentlich versucht, das hin- und herzuschieben. Das nützt doch gar nichts. Ich glaube, es war notwendig und richtig - es ist eigentlich unstreitig -, dass wir, Deutschland, unsere damalige Regierung und Teile der damaligen Opposition, in Europa und weltweit so reagiert haben, wie wir reagiert haben. Wir haben verhindert, dass es noch schlimmer gekommen ist - bis auf den heutigen Tag. Deswegen sollte man, Herr Kuhn - wir brauchen unsere baden-württembergischen Späße nicht zu sehr miteinander zu betreiben; das ist in Ordnung -, das, was notwendig und richtig war, nicht plötzlich als Horrorzahlen interpretieren.

Man muss sich überlegen, ob man seriös sein will oder nicht. Ich rate dazu, in ernsten Zeiten seriös zu sein. Nun ist, wenn ich das richtig verstanden habe, der Kern der Kritik an diesem Haushaltsentwurf gewesen, wir hätten angesichts einer besseren Entwicklung, angesichts besserer Zahlen seit der Aufstellung des ersten Regierungsentwurfs Anfang Juli vergangenen Jahres einen Spielraum von etwa zehn Milliarden Euro gehabt.

Ich möchte zunächst einmal herausarbeiten, was Ihr Vorwurf ist. Dann möchte ich meine Antwort darauf geben.

Erstens einmal glaube ich, dass es in dieser ungewissen Zeit, im zweiten Halbjahr 2009, ökonomisch richtig war - es ist übrigens international völlig unstreitig, europäisch wie weltweit -, die automatischen Stabilisatoren noch wirken zu lassen. Das haben wir getan. Wir haben gesagt: Okay, wir erhöhen die Neuverschuldung nicht, aber wir nutzen den Spielraum. - Wir haben ihn übrigens zu einem erheblichen Teil dazu genutzt - das werden Sie nicht kritisieren -, einen einmaligen Zuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung zu geben, damit die gesetzliche Krankenversicherung nicht die krisenbedingten Mindereinnahmen tragen muss. Ich glaube, das war richtig. Damit sind 3,9 von den zehn Milliarden Euro weg. Das sage ich nur, damit wir wissen, worüber wir reden.

Ich glaube, dass auch das Sofortprogramm für die Landwirtschaft notwendig und richtig war. Es ist uns viel vorgehalten worden, und wer hat alles was zur Lage der Milchbauern gesagt. Wir sollten das nicht ganz vergessen.

Nächster Punkt. Wenn wir neue Prioritäten setzen, dann ist es richtig, in einer ersten Tranche unter Nutzung dieses Spielraums das Zwölf-Milliarden-Euro-Programm zur Förderung von Bildung und Forschung in unserem Lande, dessen Realisierung wir für diese Legislaturperiode verabredet haben, umzusetzen; auch dies ist darin enthalten.

Dann bleibt noch ein wesentlicher Teil, der für die Entlastung von Familien mit Kindern verwendet wurde; darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Ich halte es für richtig und notwendig, dass wir diesen Schritt getan haben. Ökonomisch war er wohl auch richtig.

Am Ende bleibt die Debatte über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für Beherbergungsleistungen; wir haben schon Strichlisten geführt, wie viele Redner darauf nicht zu sprechen gekommen sind. Dabei geht es um einen Betrag in der Größenordnung von einer Milliarde Euro, und auch dafür gibt es gute Argumente, insbesondere in Europa.

Jetzt stellt sich die Frage: Wie gehen wir in diesem Jahr vor? Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen kann, am Ende mit einer geringeren Neuverschuldung auszukommen, als in dem am 16. Dezember letzten Jahres im Kabinett verabschiedeten Haushaltsentwurf vorgesehen war.

Ich bin für die Ankündigung aller Redner - sowohl der Koalitionsfraktionen als auch der anderen Fraktionen - dankbar, sich in den Beratungen im Haushaltsausschuss zu bemühen, die Neuverschuldung weiter zu senken. Ich glaube, im Jahre 2010 brauchen wir nicht mehr mit automatischen Stabilisatoren zu arbeiten, sondern jetzt können wir mögliche Spielräume für Einsparungen nutzen.

Ich will noch eine Bemerkung machen - ich weiß, dass Sie gerne über all die Themen diskutieren würden, die Mitte dieses Jahres und in den Haushaltsberatungen des Jahres 2011 folgende anstehen -: Herr Kuhn, die mittelfristige Finanzplanung können Sie mir nicht ernsthaft vorwerfen; denn ich habe sie, wie gesagt, nicht gemacht. Die Gründe, aus denen wir sie nicht fortgeschrieben haben, habe ich dargelegt. Im Herbst können wir gerne darüber diskutieren. Das wird nicht einfach. Das ist bitterernst. Aber es ist zu leisten, es ist zu schaffen.

Jetzt will ich etwas zur Bundesagentur für Arbeit und zum Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung sagen. Wir alle wissen - trotzdem muss ich es immer wieder betonen -: Die Gesetzeslage sieht so aus, dass der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung ab dem 1. Januar 2011 von 2,8 auf 3,0 Prozent steigt; denn er wurde nur vorübergehend durch Rechtsverordnung gesenkt. Dabei soll es auch bleiben.

Die Gesetzeslage sieht für den 1. Januar 2011 einen Anstieg des Arbeitslosenversicherungsbeitrags vor. Wir haben uns nämlich in diesem Jahr entschieden. Sie haben mir ja alles Mögliche unterstellt - manchmal habe ich gedacht, das seien Karikaturen -, zum Beispiel, wir hätten die Rampe angehoben. Ich zeige Ihnen einmal die Pressemitteilungen, in denen steht, was Sie uns während der Koalitionsverhandlungen alles unterstellt haben, unter anderem wie hoch die Neuverschuldung sein würde. Sie waren doch baff und erstaunt, dass der Bundesfinanzminister, der auch baff und erstaunt war, dass er Bundesfinanzminister wurde, gesagt hat: Die Regierung legt noch vor Weihnachten einen Haushaltsentwurf vor, und wir werden die Höhe der Neuverschuldung, die im Haushaltsentwurf vom Juli letzten Jahres vorgesehen war, auf keinen Fall überschreiten. Fast alle haben doch gesagt: Die gehen auf 100 Milliarden, um es sich leicht zu machen. Ich habe allerdings gesagt: Wir machen keine Tricks. - Und wir haben auch keine gemacht.

Wir haben das Darlehen für die Bundesagentur für Arbeit, dem einmaligen Zuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung entsprechend, in einen Zuschuss umgewandelt, weil es richtig ist, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmer, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen, die krisenbedingten Mehrbelastungen nicht allein tragen müssen. Diese Maßnahme haben auch Sie nicht ernsthaft infrage gestellt.

Jedermann, der ein bisschen ökonomische Ahnung hat - als Bundesfinanzminister werde ich jetzt ja immer belehrt; ich lerne gerade -, weiß, dass Entwicklungen am Arbeitsmarkt in der Konjunkturabfolge fast als letzte zu beobachten sind. Deswegen müssen wir ganz genau im Blick haben, ob das, was ich gesagt habe, zutrifft: dass die Arbeitslosenquote in diesem Jahr, im Jahr 2010, steigen wird. Für diesen Fall haben wir Vorsorge getroffen. Ich hoffe allerdings, dass die Arbeitslosenquote im Jahre 2011 sinkt.

Sollte sie trotz eines Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung von 3,0 Prozent krisenbedingt noch zu einem Defizit führen, werden wir zu entscheiden haben, ob wir im Jahre 2011 noch einen Zuschuss gewähren. Diese Entscheidung werden wir auf Basis derselben Argumente wie in diesem Jahr treffen; so weit zu Ihrer Frage. Über alles Weitere diskutieren wir im Juni dieses Jahres.

Was werden wir jetzt tun? Die Bundeskanzlerin hat am Mittwoch gesagt - angesichts Ihrer Kritik ist es wichtig, das gelegentlich zu wiederholen -: Es gilt das Grundgesetz. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes ist die Leitplanke. - Das ist innerhalb der Koalition völlig selbstverständlich. Das muss eigentlich auch nicht extra betont werden. Wir alle halten uns schließlich an das Grundgesetz. In diesem Rahmen werden wir für die notwendigen strukturellen Verbesserungen, Vereinfachungen und Entlastungen im Steuerrecht sorgen, und zwar Schritt für Schritt, so wie es möglich ist.

Wissen Sie, wo wir anfangen werden? Ich habe die Absicht, noch im Februar dieses Jahres die kommunalen Spitzenverbände und die Länder einzuladen - das haben wir im Koalitionsvertrag verabredet -, damit wir uns gemeinsam mit der Problematik der Gemeindefinanzen befassen. Im Sinne der Subsidiarität, vor allen Dingen aber im Sinne der Stabilität unserer politischen Ordnung ist es notwendig, dass wir die kommunale Selbstverwaltung stärken. Deswegen stehen im Koalitionsvertrag die Formulierungen, die die Arbeitsgruppe, in der Frau Leutheusser-Schnarrenberger und ich so erfolgreich zusammengearbeitet haben, entwickelt hat. Ich bin davon überzeugt, dass die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung eine Voraussetzung dafür ist, dass uns in wirtschaftlich labileren Zeiten, als wir sie in den 60 Jahren Nachkriegsgeschichte gewohnt waren, in sozial gefährdeteren Zeiten, in schwierigeren Zeiten die Stabilität unserer demokratischen verfassungsmäßigen Ordnung nicht verloren geht. Deswegen werden wir genau an diesem Punkt ansetzen.

Wir werden das Schritt für Schritt machen. Sie werden uns dabei - darum bitte ich - im politischen Wettbewerb begleiten, kritisieren, überwachen. Ich bleibe dabei, Herr Kollege Kuhn, dafür zu werben, dass wir unserer Bevölkerung, denjenigen, die wir vertreten, die Chance lassen, nachzuvollziehen, was wir eigentlich tun, und deswegen Schritt für Schritt vorgehen. Es tut mir furchtbar leid: Wenn Sie das, was ich hier sage, mit dem Wort "Vernebelungstaktik" bezeichnen wollen, dann haben Sie den Ernst der Zeit nicht verstanden.

Ganz im Ernst - ich will das in aller Eindringlichkeit sagen -: Wir werden alle diese Aufgaben im föderalen Verbund, Bund, Länder, Kommunen, bewältigen müssen. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass manche Dinge, die selbstverständlich geworden sind in Jahrzehnten wachsenden Wohlstands und sozialer Sicherheit - und in wachsender gesetzgeberischer und administrativer Perfektion; das nennt man normalerweise, ein bisschen vereinfacht, Bürokratisierung -, auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Aber das muss man Schritt für Schritt machen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen selber - Sie versuchen auf diesem Klavier ja auch ein bisschen zu spielen -: Jede Veränderung an einem liebgewonnenen Besitzstand muss sorgfältig begründet und erläutert sein, wenn sie die Chance haben soll, zustande zu kommen.

Man wird diese Regierung am Ende nicht daran messen, was für Vorschläge sie gemacht hat, sondern daran, was sie zustande gebracht hat. Dieser Aufgabe stellen wir uns gemeinsam. Die Leitplanken, die wir uns gegeben haben, sind das, was im Koalitionsvertrag steht, das, was in der Regierungserklärung gesagt worden ist, aber auch das, was in dieser Debatte gesagt worden ist. Dafür bitte ich Sie alle um Ihre Unterstützung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 08-1 vom 22.01.2010
Rede des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, in der Schlussrunde
zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 22. Januar 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2010