Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


REDE/515: Merkel beim Jahrestreffen des World Economic Forum am 24. Januar 2018 in Davos (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel beim Jahrestreffen des World Economic Forum am 24. Januar 2018 in Davos:


Sehr geehrter Herr Professor Schwab,
liebe Kollegen,
meine Damen und Herren,

ich freue mich, wieder in Davos dabei zu sein - in diesem Jahr in einer ganz speziellen Situation; aber darauf komme ich noch.

Ich will an diesem Tag, an dem Europa ja sehr im Zentrum der Diskussionen dieses Davoser Forums steht, daran erinnern, dass 1918, vor hundert Jahren, der Erste Weltkrieg endete. Er wird auch als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Ihm folgten noch schlimmere Katastrophen. Schlafwandlerisch sind damals die politischen Akteure in eine schreckliche Situation hineingeraten. Wir müssen uns heute, hundert Jahre später, nachdem auch die Zeitzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg immer weniger werden, fragen: Haben wir aus der Geschichte wirklich gelernt oder haben wir es nicht? Ich denke, die Generationen derer, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, wird beweisen müssen, ob sie wirklich etwas gelernt haben.

Die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg war die Gründung der Vereinten Nationen. Das war eine multilaterale Antwort, eine Antwort der Kooperation. Wir haben vor gut einem Vierteljahrhundert das Ende des Kalten Krieges und der Aufteilung der Welt in zwei Blöcke erlebt und damit zum ersten Mal die Chance, dass sich Multilateralismus und Kooperation wirklich entwickeln können.

Auf die große Herausforderung 2007 und 2008, die internationale Finanzkrise, gab es eine multilaterale Antwort, um diese Krise zu lösen. Als Antwort gab es Treffen der Staats- und Regierungschefs der G20, in der Argentinien in diesem Jahr die Präsidentschaft hat. Wir hatten die Präsidentschaft im vergangenen Jahr; wir hatten als deutsche Präsidentschaft das Motto "Eine vernetzte Welt gestalten". Wir haben versucht, globale Kooperationen in einer nicht ganz einfachen Zeit voranzubringen. Wir haben Fortschritte bei der globalen Kooperation im Gesundheitsbereich, bei der Partnerschaft mit Afrika und beim weltweiten Stahlforum, bei dem es um Dumping und fairen Handel geht, gemacht. Wir haben versucht, die Rolle der multilateralen Organisationen zu stärken, und uns für ein offenes Welthandelssystem eingesetzt. Bei der großen Menschheitsherausforderung, dem Klimaschutz, haben wir - leider ohne die Vereinigten Staaten von Amerika - unsere Schlussfolgerungen ziehen müssen. Trotzdem bleibt der Klimawandel eine große Gefahr.

Wir sehen, dass es nationale Egoismen gibt. Wir sehen, dass es Populismus gibt. Wir sehen, dass in vielen Staaten eine polarisierende Atmosphäre herrscht. Vielleicht gibt es an vielen Stellen auch die Sorge, ob multilaterale Kooperation wirklich in der Lage ist, die Probleme der Menschen ehrlich und fair zu lösen, und ob es angesichts der großen technologischen Herausforderungen der Digitalisierung und der disruptiven Veränderungen gelingt, alle Menschen mitzunehmen. Daran gibt es in allen Ländern Zweifel. Deshalb finde ich, Herr Professor Schwab, dass "Creating a Shared Future in a Fractured World" genau das richtige Motto für das Jahr 2018 ist.

Ehrlich gesagt, hat auch das Land, aus dem ich komme und in dem ich Bundeskanzlerin bin, Schwierigkeiten und erlebt eine Polarisierung, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht hatten - herausgefordert durch zwei Ereignisse, die im Grunde auch Ausdruck der Globalisierung sind: zum einen durch die Eurokrise, die wir inzwischen gut bewältigt haben, und zum anderen durch die Migration in den letzten Jahren. Aber ich darf Ihnen sagen: Deutschland will - das haben auch die Gespräche, die ich zur Bildung einer Regierung geführt habe und die ich jetzt führe, immer wieder gezeigt - ein Land sein, das auch in Zukunft seinen Beitrag leistet, um gemeinsam in der Welt die Probleme der Zukunft zu lösen. Wir glauben, dass uns Abschottung nicht weiterführt. Wir glauben, dass wir kooperieren müssen, dass Protektionismus nicht die richtige Antwort ist. Und wir glauben, dass wir dann, wenn wir der Meinung sind, dass untereinander die Dinge nicht fair zugehen und dass die Mechanismen nicht reziprok sind, multilaterale Lösungswege suchen sollten und nicht unilaterale, die letztlich Abschottung und Protektionismus nur fördern.

Deshalb ist es so nötig, dass Deutschland schnell eine Regierung bildet. Ich hoffe, dass uns das gelingt. In den Gesprächen, die wir führen, sind zwei Leitgedanken wichtig. Der erste ist: Wie können wir für unser Land, für die Menschen in Deutschland, Wohlstand sichern? Wir sind in Deutschland momentan in einer Situation, in der wir sagen können: Uns geht es gut, uns geht es sehr gut. Aller Voraussicht nach könnten wir 2020 dann elf Wachstumsjahre in Folge hinter uns haben. Das gab es zuletzt in den 50er Jahren. Wir haben mehr Menschen in Arbeit als jemals zuvor. Wir haben eine solide Finanzsituation. Wir haben gute Fortschritte bei der Digitalisierung unserer Wirtschaft mit der Industrie 4.0 gemacht. Aber - ich will das hier ganz offen ansprechen - wir sind nicht führend in anderen Bereichen der Digitalisierung, wenn es um die Gesellschaft geht, wenn es um den Staat geht.

Für die nächsten vier Jahre heißt die Aufgabe daher, Digitalisierung in unser Bildungssystem zu bringen, den Staat digital auszurichten, den Bürgern eine Möglichkeit zu geben, mit ihrem Staat im Zeitalter der Digitalisierung digital zu kommunizieren, und ein besseres Ökosystem für Start-ups zu schaffen, damit wir weiter ein Ort der Innovation sind. Ich nehme diese Herausforderung sehr, sehr ernst. Wir haben keine Zeit zu verlieren, denn wir wissen, dass sich andere Teile der Welt hierbei sehr schnell entwickeln. Wir sehen auch, dass Länder wie zum Beispiel Estland, das gerade die europäische Ratspräsidentschaft innehatte, weit fortgeschritten sind gegenüber einem Land wie Deutschland, das in seinem Handeln hierbei nicht an der Spitze Europas liegt.

Wir wissen, dass die Digitalisierung bedeutet: Wir müssen uns mit lebenslangem Lernen beschäftigen und wir müssen uns mit völlig neuen Lösungsmöglichkeiten beschäftigen, was unsere sozialen Systeme anbelangt. Das heißt, die Erkenntnis ist und muss sein: Disruptive technologische Veränderungen verändern unsere Gesellschaften. Die Bereitschaft gerade in einem alternden Land wie Deutschland, hierauf wirklich Bezug zu nehmen und sich hierauf einzulassen, ist - um es einmal vorsichtig zu sagen - nicht überausgeprägt. Das heißt, die Frage "Was kann ich jetzt noch verteilen?" und die Frage "Was investiere ich in die Zukunft?" beschäftigen uns sehr in unseren Gesprächen.

Wir wissen: Wenn wir das Wohlstandsversprechen für alle in der Zeit der Digitalisierung einlösen wollen - auch für unsere Menschen in Deutschland - , dann bedeutet das: Wir brauchen eine Soziale Marktwirtschaft 4.0, nicht nur eine Industrie 4.0. Das heißt, wir müssen uns auch mit der Frage beschäftigen: Wie nehmen wir alle mit? Ich glaube, das ist eine der drängenden Fragen. Denn Länder, die in sich gespalten sind, sind viel weniger fähig, multilateral zu agieren, kooperativ zu agieren. Vielmehr ist die Gefahr, dass sie sich in sich zurückziehen, sehr groß.

All diese Fragen sind national nicht zu lösen. Deshalb ist mit der Frage "Wie geht es in Deutschland weiter?" untrennbar die Frage verbunden: Wie geht es in Europa weiter? Viele Probleme sind mit Blick auf große Länder wie China und Indien überhaupt nur in einer europäischen Kooperation, in der Europäischen Union, zu lösen. Interessanterweise kann man sagen: So bedauerlich die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens war, die EU zu verlassen, so sehr hat sie uns doch auch Mut gegeben, uns auf die wirklich großen Aufgaben zu konzentrieren. Ich sage ausdrücklich: Mit der Wahl des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist noch einmal zusätzlich Schwung in die Europäische Union gekommen; und das wird uns stärken.

Was müssen wir leisten? In einer Zeit, in der nicht alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sagen "Eine 'ever closer union' ist genau das, was wir uns vorstellen", müssen wir lernen, auf die großen Fragen in Europa Antworten zu finden und die Fragen, die vor Ort zu lösen sind, die Menschen vor Ort lösen zu lassen. Ansonsten gibt es kein gutes Klima in Europa. Wir müssen vor allen Dingen auch unsere ökonomische Stärke entwickeln. Das heißt, nachdem wir die Eurokrise relativ gut überwunden haben und jetzt wieder alle Mitgliedstaaten des Euroraums wachsen und die Beschäftigung zunimmt, müssen wir uns auf die Zukunft ausrichten. Da ist für mich der wesentliche Punkt, den digitalen Binnenmarkt auszubauen. Hierbei stehen wir in der Europäischen Union nach meiner Auffassung unter einem doppelten Druck.

Erstens: Es gibt große amerikanische Unternehmen, die Zugriff auf Daten haben - Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Die Antwort auf die Frage "Wem gehören diese Daten?" wird letztendlich darüber entscheiden, ob Demokratie, Partizipation, Souveränität im Digitalen und wirtschaftlicher Erfolg zusammengehen. Auf der anderen Seite gibt es Länder - beispielsweise China -, in denen es eine sehr enge Kooperation von staatlichen Autoritäten mit den Sammlern von Daten gibt, in denen es fast eine Einheit von beidem gibt. Die Europäer haben sich noch nicht richtig entschieden, wie sie mit Daten umgehen wollen. Die Gefahr, dass wir zu langsam sind, dass die Welt über uns hinwegrollt, derweil wir philosophisch über die Frage der Datensouveränität debattieren, ist groß. Das heißt, es muss Aktion erfolgen. Ich glaube, mit unserem europäischen Modell der Sozialen Marktwirtschaft haben wir auch eine Chance, einen Beitrag zu einem gerechten digitalen Zeitalter zu leisten, in dem eben nicht die Privatisierung aller Daten über die Persönlichkeit die Normalität ist, aber in dem wir akzeptieren und annehmen, dass, um das Beste für die Menschen daraus machen, Daten die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts sind.

Zweitens: Wir müssen unsere Eurozone festigen. Das heißt, wir brauchen eine Kapitalmarktunion - im Kapitalmarkt sind wir immer noch zersplittert. Wir müssen die Bankenunion vollenden. Wir müssen uns überlegen, wie wir uns auf zukünftige Krisen, die von außen auf uns einstürzen, so wappnen, dass nicht auf der einen Seite das Risiko einfach vergemeinschaftet wird und die Haftung bei allen liegt, obwohl jeder Einzelne seine Risiken managen müsste. Und wir müssen andererseits auch schauen, dass wir ein interessanter Investitionsstandort sind. Wir dürfen uns deshalb auch nicht abschotten, sondern wir müssen mit den Besten der Welt Schritt halten und wir müssen für unseren multilateralen Ansatz werben.

Wir haben, wenn wir als Europäer ernst genommen werden wollen, eine weitere große Aufgabe, nämlich im Bereich der Außenpolitik zusammenzuarbeiten. Die einheitliche europäische Außenpolitik ist noch nicht ausreichend entwickelt. Wenn Europa mit seinen zukünftig 27 Mitgliedstaaten nicht in der Lage sein wird, ein einheitliches Signal an große Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten von Amerika oder Russland zu senden, sondern wenn Außenpolitik national gemacht und so versucht wird, ein Player in der Welt zu sein, dann wird das misslingen. Hierbei haben wir noch ein großes Stück Arbeit vor uns, weil wir untereinander noch nicht sicher sein können, ob wir uns wirklich aufeinander verlassen können.

Dabei gibt es einen großen Fortschritt - und ich freue mich, dass die deutsche Verteidigungsministerin hier ist -: Nach Jahrzehnten europäischer Diskussionen ist es uns angesichts der Herausforderungen, die wir sehen, gelungen, eine europäische Verteidigungszusammenarbeit auf die Beine zu stellen. Dabei ist zweierlei sehr wichtig. Erstens ist dies keine Zusammenarbeit, die gegen die Nato gerichtet ist, sondern wir sind sehr froh, dass der Nato-Generalsekretär bei der Gründung der gemeinsamen Verteidigungspolitik dabei war und ausdrücklich gesagt hat, er verstehe das als eine Ergänzung. Zweitens sind wir in der Lage, einen politischen Ansatz in Bezug auf dritte Länder durchzusetzen, der uns sehr wichtig ist: nämlich einen gemeinsamen Ansatz von sicherheitspolitischen Fragen, von Fragen der Entwicklungskooperation und von Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung. Damit können wir ein Signal für ein kohärentes Modell gerade auch im Hinblick auf Afrika aussenden, was sehr wichtig ist.

Warum sind die gemeinsame Außenpolitik, die gemeinsame Verteidigungspolitik und die gemeinsame Entwicklungspolitik von so großem Interesse? Wenn Sie sich die Umgebung Europas anschauen, dann wissen Sie, dass vor unserer Haustür ein Großteil der globalen Konflikte stattfindet. Wir haben es 2015 erlebt: Da ist im Grunde die Globalisierung nach Europa gekommen in Form von Menschen, von Flüchtlingen, als wir uns eben nicht um den Bürgerkrieg in Syrien gekümmert haben, als wir uns nicht um den IS im Irak gekümmert haben. Mein Kollege aus Italien hat hier gerade sicherlich über die Herausforderungen mit Blick auf die Migration aus Afrika berichtet. Wir haben im Grunde die sunnitisch-schiitischen Konflikte vor unserer Haustür. Wir haben den IS vor unserer Haustür. Unser Nachbar ist Afrika, nur wenige Kilometer von den südlichen Teilen Europas getrennt. Syrien ist der Nachbar von Zypern.

Das heißt, die Tatsache, dass Europa außenpolitisch nicht der aktivste Kontinent war, sondern wir uns oft auf die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen haben, die sich jetzt aber auch mehr auf sich konzentrieren, muss uns dazu bringen, dass wir sagen: Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen; wir müssen unser Schicksal mehr in die eigene Hand nehmen. Das tun wir, indem wir eben eine gemeinsame Verteidigungspolitik gegründet haben und indem wir auch eine gemeinsame Anstrengung im Hinblick auf die Herausforderung der Migration entwickelt haben, obwohl es hierbei auch noch viele Widersprüche innerhalb der Europäischen Union gibt.

Wir sind uns inzwischen darüber klar, dass wir unsere Außengrenzen schützen müssen. Aber was bedeutet das? Europa ist ja ein interessanter Kontinent oder ein interessantes Gebilde. Wir haben uns eine einheitliche Währung gegeben, haben uns aber nie Gedanken darüber gemacht, was denn passiert, wenn diese Währung einmal in eine Krise gerät. Jetzt arbeiten wir nach und schaffen im Grunde das Fundament, auf dem wir das hätten aufbauen müssen. Wir waren unglaublich stolz, Freizügigkeit zu haben. Sie müssen nirgends einen Pass vorzeigen, wenn Sie im Schengen-Raum umherreisen. Aber wir haben uns keine Gedanken darüber gemacht, wie wir unsere Außengrenzen schützen, ob wir wissen, wer bei uns reinkommt und wer bei uns rausgeht. Wenn man das im Rückblick betrachtet, dann fragt man sich: Wie kann man so etwas tun, wie kann man darüber nicht nachdenken? Aber wir haben uns einfach sicher gefühlt.

Jetzt arbeiten wir an einem Ein- und Ausreisesystem. Wir haben eine gemeinsame Grenzschutzagentur gegründet. Aber eines ist auch richtig: Die Geschichte seit dem Römischen Reich und dem Bau der Chinesischen Mauer lehrt uns, dass reine Abschottung nicht hilft, Grenzen zu schützen. Ich brauche vielmehr auch immer ein gutes Miteinander mit meinen Nachbarn, ich brauche Abkommen, ich brauche staatliche Verträge, um zu wissen, wie ich die Herausforderung auch der illegalen Migration in den Griff bekomme. Genau das haben wir gelernt. Das zeigen das EU-Türkei-Abkommen und unsere Migrationspartnerschaften mit Afrika. Aber natürlich haben wir noch viel zu tun.

Wenn man darüber nachdenkt, weiß man: Wir sind mitverantwortlich. Wenn die Wohlstandsunterschiede unendlich groß werden, wird es nicht klappen, in einer offenen Welt Verträge miteinander zu schließen. Wir sind mitverantwortlich für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents. Wir sind mitverantwortlich bei der Frage, wie es im Irak weitergeht. Wir sind mitverantwortlich bei der Frage, wie es in Libyen weitergeht. Hierbei sind wir zögerlich, aber doch in den letzten Jahren schon an vielen Stellen auch erfolgreich gewesen. Aber es liegt noch sehr, sehr viel Arbeit vor uns. Darüber gibt es auch eine große Einigkeit innerhalb der Europäischen Union; und zwar sehr viel mehr Einigkeit als in der Frage, wie wir Flüchtlinge, die bei uns angekommen sind, untereinander verteilen. Darüber gibt es leider noch keine Einigkeit. Aber bei den anderen Fragen stehen wir besser da.

Wir haben natürlich auch die Herausforderung, Kooperationen mit Afrika einzugehen. Nur wenn wir selbst wirtschaftlich stark sind, werden wir dafür die Kraft haben. Dieses Miteinander mit Afrika ist mir persönlich sehr, sehr wichtig. Denn erstens haben wir Europäer eine tiefe Schuld gegenüber dem afrikanischen Kontinent aus den Zeiten der Kolonialisierung. Und zweitens haben wir ein tiefes Interesse daran, dass sich Afrika vernünftig entwickelt. Afrika ist ja ein Schlagwort. Das sind aber mehr als 50 verschiedene Staaten in ganz unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Es wird jetzt darauf ankommen, mit Afrika - deswegen haben wir unsere Initiative "Compact with Africa" genannt, nicht "for"; es ist keine paternalistische Partnerschaft, sondern eine auf Augenhöhe - daran zu arbeiten, dass auch Afrika an der Wohlstandsentwicklung teilhat. Das heißt, in Bildung zu investieren, damit das Wirtschaftswachstum nicht geringer als das Bevölkerungswachstum ist. Das heißt, vor allen Dingen ein völlig neues Modell von Entwicklungshilfe anzuwenden, das auf eine umfassende Entwicklung abstellt und eben auch die wirtschaftliche Entwicklung beinhaltet. Hier werden wir weitermachen.

Wir haben ein Problem, auf das ich mit Blick auf Europa noch zurückkommen will. Wir bedauern natürlich alle sehr, dass Großbritannien nicht mehr Teil dieser Europäischen Union sein wird. Morgen wird unsere Kollegin Theresa May hier sein. Ich will für Deutschland, aber auch für andere sagen: Wir wollen auch in Zukunft eine gute Partnerschaft mit Großbritannien. Wir werden aber auch klarmachen, dass die Frage des Zugangs zum Binnenmarkt an die Freizügigkeiten gebunden ist. Dabei können wir keine Kompromisse machen. Aber wir wissen, dass wir durch Werte, Überzeugungen und außenpolitische Interessen mit Großbritannien eng verbunden sind. Großbritannien hat es in der Hand, uns zu sagen, wie eng es die Partnerschaft haben will. Wir stehen für jede Form von Partnerschaft zur Verfügung.

Ich habe versucht, Ihnen deutlich zu machen, was aus meiner Sicht in einer "fractured world" getan werden kann. Ich glaube, es beginnt immer zu Hause. Je besser es uns zu Hause in unseren Ländern gelingt, Spaltungen zu überwinden, umso freier werden wir sein, uns der Gemeinsamkeit, der Kooperation, dem Multilateralismus zuzuwenden. Die Lösungsmethoden sind im Grunde immer wieder ähnlich: Wir dürfen niemanden zurücklassen. Gerade in der Zeit riesiger disruptiver Herausforderungen der Digitalisierung ist das Verhindern der Spaltung vielleicht eine der größten Aufgaben.

Ich freue mich sehr, Herr Schwab - wir haben im Vorgespräch darüber gesprochen -, dass Sie Netzwerke unterstützen, die die Diskussion zwischen Politik und Wirtschaft in Gang bringen: Was ist eine ethische Form des Managements disruptiver Entwicklungen? Wenn uns das nicht gelingt, wird es wie im frühen Kapitalismus kommen; dann werden wir eine Art Maschinenstürmer haben, wie es sie damals gab. Die Aufgabe heißt jetzt - und das ist meine abschließende Bitte auch an die Vertreter der Wirtschaft; Sie leben auch in Ihrem Investitionsumfeld von Voraussetzungen, die Sie selbst nicht geschaffen haben und die aus einer anderen Zeit kommen -: Bitte arbeiten Sie mit daran, dass wir diese Voraussetzungen in eine neue Zeit überführen.

Wir liegen falsch, wenn wir glauben, dass die Begeisterung von 20 oder 30 Prozent eines Landes, sozusagen eine Mega-Begeisterung, für disruptive Entwicklungen ausreicht, um ein ganzes Land mitzunehmen. Das reicht nicht aus. Es kommt auf lebenslanges Lernen an und auf vieles andere. Ich glaube, viele Menschen werden dazu auch bereit sein. Aber viele müssen auch eingeladen werden, weil sie dem wahnsinnigen Tempo nicht sofort folgen können.

Es wäre mein Wunsch an dieses Davoser Form, für diese Fragen eine Plattform zu bieten, weil es viele Menschen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammenbringt. Dann kann uns das gelingen. Dann können wir verhindern, dass sich die Fehler des 20. Jahrhunderts in irgendeiner Form wiederholen. Wir wissen, dass die Möglichkeiten, mit disruptiven digitalen Entwicklungen großen Schaden anzurichten und Gesellschaften zu verwirren, ganz anderer Natur sind, als wir sie aus dem 20. Jahrhundert kennen. Sie sind aber mindestens so schädlich. Deshalb geht es darum, auch hierbei wirklich eine Soziale Marktwirtschaft, wie wir in Deutschland sagen würden, hinzubekommen. Dann wird auch die weltweite Zusammenarbeit klappen. Deutschland möchte sich auch in Zukunft dafür einsetzen. Wenn Sie mir noch die Daumen drücken, dass wir auch eine Regierung bekommen, dann wird das noch besser gehen.

Herzlichen Dank.

*

Quelle:
Bulletin 10-1 vom 24. Januar 2018
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstr. 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-25 55
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang