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WOHNEN/228: Neues kommunales Eigentum (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 206 - Oktober / November 2018
Die Berliner Umweltzeitung

Neues kommunales Eigentum
Beginnt eine bodenpolitische Wende in Berlin?

von Elisabeth Voß


Die Mieten in Berlin steigen immer weiter, Umzüge sind kaum noch möglich, Wohnungssuchende verzweifeln. Wer gekündigt oder gar zwangsgeräumt wird, verliert nicht nur die Wohnung, sondern auch das soziale Umfeld, denn in der Innenstadt ist es so gut wie ausgeschlossen, bezahlbare Wohnungen zu finden, und auch in den Randlagen der Stadt wird es eng.

Das private Eigentum an Immobilien verliert zunehmend an Legitimation in einer Situation, in der die vom Grundgesetz geforderte Bindung des Eigentums an das Allgemeinwohl längst verloren gegangen ist. Dabei ist das Recht auf angemessenes Wohnen sowohl in den allgemeinen Menschenrechten als auch im UN-Sozialpakt verankert. Was als "angemessen" zu gelten hat, wird sich auch an den Umgebungsbedingungen orientieren - eine Notunterkunft oder eine Parkbank sind jedoch mit Sicherheit nicht damit gemeint.

"Deutsche Wohnen enteignen!"

Um politisch Druck zu machen, ist ein Volksentscheid "Deutsche Wohnen enteignen!" in Vorbereitung, im kommenden Frühjahr soll er starten. Laut Geschäftsbericht 2017 hat die Deutsche Wohnen mehr als 114.000 Wohnungen in Berlin - die meisten davon aus den Beständen ehemals öffentlicher Wohnungsgesellschaften. Das private Immobilienunternehmen steht symbolisch dafür, dass Häuser nur noch dazu dienen, die Rendite der Aktionäre zu bedienen. Der Volksentscheid möchte die Spekulation mit Wohnraum beenden und die Politik dazu bewegen, bei überzogenen Mieterhöhungen notfalls auch mit Enteignungen einzuschreiten.

Es sind vor allem die steigenden Bodenpreise, die institutionelle, aber auch private Anleger zur Spekulation einladen. In begehrten Lagen liegt der Marktwert eines Grundstücks oft deutlich über dem Wert des darauf befindlichen Hauses. Immerhin hat das Land Berlin seine Ausverkaufspolitik aufgegeben - zugunsten einer strategischen Immobilienbewirtschaftung. Grundstücke im öffentlichen Eigentum werden nicht mehr verkauft, sondern im Erbbaurecht vergeben. Die Erbbaurechtsnehmenden erwerben nur noch die bereits darauf stehenden Gebäude oder bauen neu auf dem für mehrere Jahrzehnte gepachteten Boden. Der Erbbauzins bietet den öffentlichen Kassen eine dauerhafte Einnahmequelle, und in der Vertragsgestaltung lässt sich die Nutzung der Immobilie verbindlich festlegen.

Bodenreform damals und heute

Diese Wende ist nicht zuletzt auf die Diskussionen am "Runden Tisch zur Neuausrichtung der Berliner Liegenschaftspolitik" zurückzuführen, bei dem seit Ende 2012 stadtpolitisch Aktive, Politiker*innen, Mitarbeiter*innen von Senatsverwaltungen und Vertreter*innen der städtischen BIM (Berliner Immobilienmanagement GmbH) zusammenkommen. Die Sitzungen im Abgeordnetenhaus sind öffentlich, und dort werden auch regelmäßig Liegenschaftsfälle von Betroffenen vorgetragen, die damit öffentliche Aufmerksamkeit, mitunter auch Unterstützung bekommen.

Die Frage, ob Boden überhaupt privates Eigentum sein darf oder ob er nicht allen zusteht, ist nicht neu. Im Zusammenhang mit der Lebensreformbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten sich auch bodenreformerische Ideen und Organisationen. Die Bestrebungen, den Boden der privaten Verfügungsmacht und Profiterzielung zu entziehen, waren jedoch damals häufig verbunden mit antisemitischen und völkischen Ideologien, wie beispielsweise Peter Bierl in seinem 2012 erschienenen Buch "Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn" darlegt. Wer im Internet nach "Bodenreform" sucht, findet vor allem Einträge zu Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone (später DDR), wo direkt nach dem Zweiten Weltkrieg Nazis und Großbauern gleichermaßen enteignet wurden.

Stadtentwicklung von unten

In den aktuellen Diskussionen zur Bodenfrage in Berlin geht es nicht um landwirtschaftliche Flächen, sondern um Wohnimmobilien, Grundstücke für Gewerbe und soziale Projekte. Die BIM hält insgesamt 5,9 Millionen Quadratmeter Boden auf Vorrat im sogenannten Sondervermögen Daseinsvorsorge (SODA). Im Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain soll ein Bodenfonds nach dem Muster der Community Land Trusts (CLT) entstehen. Der bündnisgrüne Bezirksstadtrat Florian Schmidt, der 2012 auch den "Runden Tisch Liegenschaften" mitinitiierte, hat mit einer Arbeitsgruppe erste Anforderungen an ein solches Vorhaben formuliert. Die Begleitung des CLT "mit weiterbildenden Maßnahmen, Infomationsveranstaltungen und Machbarkeitsstudie" wurde ausgeschrieben. Zur Unterstützung des Bezirks bei dieser "neuen gemeinwohlorientierten Stadtentwicklungsstrategie" soll darüber hinaus eine strategische Plattform mit dem Namen LokalBau "eine enge Kommunikation mit der Öffentlichkeit und den zentralen Berliner Akteuren der Immobilienwirtschaft und den Initiativen" aufbauen.

Dieser neue Umgang mit städtischem Boden verbindet sich mit dem Wunsch nach einer Demokratisierung und der stärkeren Einbeziehung von Nachbarschaften in die Stadtentwicklung. Dabei wird die Frage aufgeworfen, wer denn eigentlich das Öffentliche repräsentiert. So wichtig Unternehmen in öffentlichem Eigentum sind, so wenig werden sie in der jetzigen Form diesen neuen Anforderungen gerecht. Die sechs verbliebenen städtischen Wohnungsbaugesellschaften sind als privatwirtschaftliche GmbHs und AGs verfasst. Sie handeln oft wie profitorientierte Unternehmen und traktieren ihre Mieter*innen mit Mieterhöhungen und teuren Modernisierungen. Selbst vor Zwangsräumungen schrecken sie nicht zurück. Immer wieder muss die Politik mäßigend einschreiten. Auch Demokratie und Mitbestimmung der Mieter*innen lassen zu wünschen übrig.

Eine neue Bodenbewirtschaftung wird in neuen rechtlichen Strukturen eine stärkere Demokratisierung verankern und gleichzeitig Vorsorge treffen müssen, dass nicht diejenigen mit dem stärksten Durchsetzungsvermögen ihre Einzelinteressen darin verankern, sondern das Ziel einer dauerhaft günstigen Versorgung mit Wohn-, Gewerbe- und Projekträumen abgesichert wird.

Demokratischer und transparenter

Bei der Entwicklung neuer Formen kommunalen Eigentums sollten darüber hinaus ebenso die Erfahrungen der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft einbezogen werden, insbesondere das Scheitern der DGB-eigenen "Neuen Heimat" in den 1980er Jahren. Auch Genossenschaften und selbstverwaltete Hausprojekte wie das Mietshäuser Syndikat (siehe Rabe Ralf August/September 2018, S. 20/21) mit ihren positiven und negativen Erfahrungen wären zu berücksichtigen.

Die Immobilienwirtschaft ist eine besonders umkämpfte und korruptionsanfällige Branche, auch das sollten Gutmeinende, die eine neue Bodenpolitik umsetzen möchten, nie aus dem Blick verlieren. Jede Innovation zieht potenzielle Profiteure an, das war schon immer so. Umfassende Transparenz ist hier ein Muss und eine didaktische Herausforderung, damit Informationen und Daten so aufbereitet werden, dass sie das Wesentliche ausdrücken und nicht verschleiern. Nicht nur Offenlegungspflichten, sondern auch stabile Auskunftsrechte sind dabei unverzichtbar.


Weitere Informationen:

stadt-neudenken.tumblr.com
(Runder Tisch)
Volksentscheid: www.dwenteignen.de

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Quelle:
DER RABE RALF
29. Jahrgang, Nr. 206, Seite 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2018

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