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WOHNEN/245: Zur Entscheidung zum Mietendeckel, zur Kampagne "Deutsche Wohnen & Co. Enteignen" und der linken Perspektive (spw)


spw - Ausgabe 2/2021 - Heft 243
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Zur Entscheidung zum Mietendeckel, zur Kampagne Deutsche Wohnen & Co. Enteignen und der linken Perspektive

von Franziska Drohsel


Die Veröffentlichung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts am 15.05.2021, in der der Mietendeckel (Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin - MietenWoG Bln) rückwirkend für nichtig erklärt wurde,(1) hat viele in Berlin konsterniert zurückgelassen. An dem Beschluss ist viel zu kritisieren. 2006 ist der Kompetenztitel "Wohnungswesen", zu dem viele Jahre auch eine öffentlich-rechtliche Mietpreisbegrenzung zählte, an die Länder gegangen.(2) Aus dem Umstand, dass der Bund sich auf das bürgerliche Recht zur Gestaltung der Mietverhältnisse und damit der Mietpreise gestützt habe, sei die Kompetenz des Wohnungswesens um eben diese Mietpreisbegrenzung "verkürzt".(3) Wie sich ein Kompetenztitel durch die "Staatspraxis" verändert und hierfür nicht mehr eine Änderung des Grundgesetzes erforderlich ist, bleibt das Geheimnis des Zweiten Senats.(4) Auch die Annahme des Gerichts, dass der bundesrechtlichen Mietpreisbremse ein abschließender Charakter zukomme und dabei zur Begründung auf die Äußerung des Obmanns der CDU/CSU-Fraktion (Rn. 158 des Beschlusses des BVerfG) verwiesen wird, überzeugt nicht - weder vom Ergebnis noch von der Art und Weise der Herleitung. Und - als letzte Anmerkung - überrascht die Kaltschnäuzigkeit, mit der am Ende festgehalten wird, dass "kein Anlass" bestehe darüber nachzudenken, ob ein Außerkraftsetzen mit Wirkung für die Zukunft gegenüber der rückwirkenden Nichtigkeit in Betracht kommen könnte. Die Not vieler Mieter*innen über die anstehenden Rückzahlungen - nicht zuletzt in Zeiten von Corona - damit als derart unbedeutend zu bezeichnen, verwundert.

Und die Antwort in Berlin ließ nicht lange auf sich warten: um 18.00 Uhr desselben Tages strömten nach Veranstalter-Angaben an die 20.000 durch die Straßen Berlins und protestierten mit Töpfen und Pfannen. Vermutlich gibt der Beschluss der Dynamik für das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. Enteignen nochmals Aufwind.

Die Initiative fordert die Vergesellschaftung der Bestände aller privatwirtschaftlichen Wohnungsbauunternehmen, die über 3.000 Wohnungen verfügen. Gegenwärtig läuft die zweite Phase des Volksbegehrens.(5) Wenn es gelingt, bis zum 25. Juni 2021 175.000 Unterschriften wahlberechtigter Berliner*innen zusammenzubekommen, startet die dritte Stufe und die Berliner*innen können über den Vorschlag abstimmen. Die Initiative beruft sich bei ihrem Vorschlag auf Art. 15 GG. Art. 15 S. 1 GG besagt, dass Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Nach Art. 15 S. 2 GG gelten für die Entschädigung Art. 14 Abs. 3 S. 3 und 4 entsprechend.

Zusammen mit dem Professor für Immobilienbewertung Fabian Thiel habe ich ein Werkstattgespräch durchgeführt und ein Thesenpapier veröffentlicht, in dem wir uns mit der Frage der Entschädigung auseinandergesetzt haben. Sowohl hinsichtlich des Art. 15 GG als auch der Entschädigung im Rahmen des Art. 15 GG gibt es bisher wenig wissenschaftliche Ausarbeitungen. Umso verwunderlicher ist es, dass es in der öffentlichen Debatte oft so dargestellt wird, als sei eine Entschädigung in Form einer Einmalzahlung und in Höhe des Verkehrswertes zwingend. Dies wird von den Gegner*innen des Begehrens dann als zu teuer und als mit dem Berliner Haushalt nicht realisierbar dargestellt. Dem ist aber keinesfalls so. Der Wortlaut des Art. 15 GG besagt nicht, dass die Entschädigung in Form von Einmalzahlungen zwingend sei. In der juristischen Fachliteratur werden dann auch verschiedene andere Varianten wie z.B. Schuldverschreibungen (6), Ersatzland oder Wertpapiere (7) genannt. Auch die Entschädigung zum Verkehrswert ist nicht zwingend. Selbst bei der Entschädigung im Rahmen des Art. 14 GG hat das Bundesverfassungsgericht festgehalten, dass eine starre und nur am Marktwert orientierte Entscheidung hinsichtlich der Entschädigung nicht geboten sei. (8) Bei Art. 15 GG folgt dies schon aus dem Sinn und Zweck. Die Vergesellschaftung erfolgt gerade, um einen Wirtschaftsbereich der Marktlogik zu entziehen. Diesen wiederum an Marktmechanismen zu koppeln und nur zum Marktwert zu entschädigen, würde das Instrument ad absurdum führen. Folglich kann nur gehofft werden, dass die öffentliche Diskussion entsprechend geweitet geführt wird und kreativ darüber nachgedacht wird, welche Form und welche Höhe der Entschädigung als angemessen erachtet wird.

Aus linker Perspektive ist die Auseinandersetzung um einen bundesweiten Mietendeckel und der Einsatz für ausreichend Unterschriften für das Volksbegehren gerade dringend geboten, denn die Explosion der Mieten, die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsschichten aus den Innenstadtbereichen und die Entwicklung des Wohnungsmarktes erfordern schnelle, soziale Antworten.


Franziska Drohsel ist Vorstandssprecherin des Instituts Solidarische Moderne, stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD Steglitz-Zehlendorf und Rechtsanwältin (Berlin). Sie war Juso-Bundesvorsitzende (2007-2010).


Anmerkungen:

(1) Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.02.2021 zum Aktenzeichen 2 BvF 1/20; 2 BvL 4/20; 2 BvL 5/20.

(2) Vgl. Gather, Selma; Rödl, Florian: Formlos verfassungsändernde 'Staatspraxis' und Gesetzesauslegung nach Parlamentsrede: Zum Mietendeckel-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, VerfBlog, 2021/4/15, https://verfassungsblog.de/formlos-verfassungsandernde-staatspraxis-und-gesetzesauslegung-nachparlamentsrede/, DOI: 10.17176/20210416-101326-0.

(3) Vgl. ebenda; zur Frage der Kompetenzen auch: Wihl, Tim: Zur Nichtigkeit des Berliner Mietendeckels: Erste Anmerkungen zu einem eklatanten Fehlurteil, VerfBlog, 2021/4/15, https://verfassungsblog.de/zur-nichtigkeit-des-berliner-mietendeckels/, DOI: 10.17176/20210415-171802-0.

(4) S.a. Gather/Rödl (s.o.).

(5) Länger hierzu Drohsel/Karnetzki/Siebert, Sozialisierung und Sozialdemokratie - am Beispiel "Deutsche Wohnen & Co. Enteignen in Berlin", spw 4/2019, S. 81 ff.

(6) Berkemann, in: Umbach/Clemens, 2002, Art. 15, Rn. 94.

(7) Schliesky, in: Bonner Kommentar 2011, Art. 15, Rn. 56.

(8) BVerfG, Urteil vom 18.12.1968 - 1 BvR 638, 673/64 und 200, 238, 249/65.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 2/2021, Heft 243, Seite 5-6
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2021

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