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INTERNATIONAL/010: Trotz Freispruch für Pinar Selek bleibt Verfahrensausgang ungewiss (RAV)


Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
Pressemitteilung vom 10. Februar 2011

Freispruch für Pinar Selek


Am 9. Februar 2011 ist vor dem "Gericht für schwere Straftaten" in Istanbul nach 2 erfolgten Freisprüchen erneut gegen die türkische Schriftstellerin und Soziologin Pinar Selek verhandelt worden. Ihr wurde vorgeworfen, 1998 an einem Anschlag auf den Istanbuler Gewürzbasar beteiligt gewesen zu sein, der der PKK zugeschrieben wurde.

Der Kassationsgerichtshof hatte 2010 den 2. Freispruch mit der Begründung aufgehoben, die Beteiligung von Pinar Selek an dem Anschlag sei durch die Beweisaufnahme nachgewiesen. Dabei hatte der Gerichtshof Aussagen verwertet, die durch Folter erlangt wurden. Auch wurde außer Acht gelassen, dass bereits die überwiegende Anzahl der im Verfahren eingeholten Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass die Explosion auf dem Basar nicht durch eine Bombe verursacht wurde. Diese Entscheidung des Kassationsgerichts hatte international große Empörung hervorgerufen. "Es entstand der Eindruck, dass das Kassationsgericht die Verurteilung einer politisch unbequemen Persönlichkeit um jeden Preis herbeiführen wollte", so Rechtsanwältin Gilda Schönberg, die das Verfahren für den RAV beobachtet.

In dem Staatsschutzverfahren hatte die Verteidigung heute die Gelegenheit, ausführlich die Fehlerhaftigkeit und Einseitigkeit der rechtlichen Vorgaben des Kassationsgerichts darzulegen. Ungeachtet dessen forderte die Staatsanwaltschaft die Verurteilung Pinar Seleks zu lebenslanger Haft. Nach nur 2-stündiger Hauptverhandlung bestätigte das Istanbuler "Gericht für schwere Straftaten" seinen Freispruch aus dem Jahr 2008. Es führte aus, es sei nicht an die Vorgaben des Kassationsgerichtshofs gebunden. Eine ausführliche Begründung dieser Entscheidung steht noch aus.

In überraschender Klarheit hat sich das Gericht damit gegen die Entscheidung des Kassationsgerichts gestellt und auf seiner Unabhängigkeit beharrt. "Auch wenn dies die bestmögliche Entscheidung ist, die das Gericht heute hat treffen können, muss damit gerechnet werden, dass dieses Urteil erneut vom Kassationsgericht überprüft wird", erklärten die Rechtsanwälte von Pinar Selek.

Damit bleibt nach 3 Freisprüchen und einer Verfahrensdauer von über 12 Jahren der Ausgang des Verfahrens für Pinar Selek weiterhin ungewiss.

Berlin/Istanbul, 9.2.2011


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Quelle:
Pressemitteilung vom 9. Februar 2011
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e. V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2011