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INTERNATIONAL/019: Libyen - ICC-Chefankläger droht Regierungsvertretern mit Haftbefehl (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Mai 2011

Libyen:
ICC-Chefankläger droht Regierungsvertretern mit Haftbefehl

Von Haider Rizvi


New York, 5. Mai (IPS) - Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag wird Haftbefehl gegen drei namentlich nicht genannte Vertreter der libyschen Regierung erlassen. Chefankläger Luis Moreno-Ocampo kündigte an, das ICC-Räderwerk in Gang zu setzen, sobald der Ende Mai erwartete Bericht des UN-Ermittlungsausschusses vorliegt.

"Auf politische Färbungen werde ich keine Rücksicht nehmen", versicherte Moreno-Ocampo im Anschluss an eine Pressekonferenz am 4. Mai in New York auf die Frage, ob sich der ICC auch mit den Menschenrechtsverbrechen der libyschen Opposition befassen wird.

Ebenfalls am 4. Mai hatte Moreno-Ocampo dem 15 Mitglieder zählenden UN-Sicherheitsrat einen Bericht über Kriegsverbrechen an libyschen Zivilisten vorgelegt. Darin heißt es, dass Streubomben, multiple Raketenwerfer, Mörser und anderes schweres Geschütz in belebten Vierteln insbesondere der libyschen Stadt Misurata zum Einsatz kamen.

"Das Belastungsmaterial zeigt, dass die Ereignisse in den Nachbarländern Ägypten und Tunesien die libyschen Sicherheitskräfte veranlassten, Vorbereitungen für mögliche Demonstrationen in Libyen zu treffen. Bereits im Januar wurden Söldner angeheuert und nach Libyen gebracht", so Moreno-Ocampo vor dem UN-Sicherheitsrat.


ICC-Chefankläger fordert Verhandlungen

Wie Moreno-Ocampo ferner erklärte, wurden auch im Zuge der von den Vereinten Nationen autorisierten NATO-Militäraktionen zur Einhaltung einer Flugverbotszone über Libyen Zivilisten getötet. Die fortgesetzte Gewalt lasse sich nur durch eine unverzüglichen Waffenstillstand und einer politischen Beilegung der Krise beenden.

Moreno-Ocampo äußerte sich nicht zu der Frage, ob auch gegen Libyens Präsident Muammar Gaddafi Haftbefehl erlassen werden wird. Gaddafi hat die NATO inzwischen zum Dialog aufgefordert, um die politische Krise im Lande zu beenden. Medienberichten zufolge sind USA und Europäer nicht geneigt, dem Ruf des Revolutionsführers zu folgen.

"Das Gespenst der ICC-Strafverfolgung ist ernst zu nehmen und bedeutsam und sollte all jenen im Umfeld Gaddafis warnen, ihr Schicksal weiter an das von Gaddafi zu knüpfen", erklärte Susan Rice, Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen, vor dem UN-Sicherheitsrat am 4. Mai.

Doch China, das wie die USA zu den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats gehört, nimmt eine andere Haltung in der Libyen-Frage ein. "Wir favorisieren weder willkürliche Interpretation der UN-Sicherheitsresolutionen noch Aktionen, die über das Libyen betreffende UN-Sicherheitsrat-Mandat hinausgehen", betonte Li Baodong, Chinas ständiger Vertreter bei den UN im Anschluss an die Ausführungen von Moreno-Ocampo. "Wir hoffen, dass der ICC die Notwendigkeit erkennt, dass die Libyen-Krise angemessen gelöst werden muss."

Dem chinesischen Diplomaten zufolge sollte die internationale Gemeinschaft die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität Libyens respektieren. Libyens innere Angelegenheiten und Zukunft seien Sache des libyschen Volkes. Wie die USA und Russland hat auch China das ICC-Gründungsstatut nicht ratifiziert.

Wie Richard Dicker von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' betonte, dürfen sich die Ermittlungen des ICC zu Menschenrechts- und Kriegsverbrechen nicht allein auf die libysche Regierung konzentrieren. "Der ICC sollte die von allen Parteien begangenen Verbrechen untersuchen."


Glaubwürdigkeitsdefizite

Michael Ratner vom New Yorker 'Center for Constitutional Rights' zufolge steht außer Frage, dass es sich bei den tödlichen Übergriffen auf libysche Zivilisten um Kriegsverbrechen handele. Auch das Töten von Demonstranten sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und falle in den Zuständigkeitsbereich des ICC.

Dass der UN-Sicherheitsrat und insbesondere die USA ihren Zorn auf Libyen lenkten, sei eine wenig überzeugende Vorstellung, sagte Ratner unlängst gegenüber IPS. Der Sicherheitsrat habe seine Glaubwürdigkeit in der Libyen-Frage aufgrund der US-Weigerung verspielt, das Abschlachten der Palästinenser im Gazastreifen durch Israel zu verurteilen. "Warum Libyen jetzt und warum nicht Israel 2009?" (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.icc-cpi.int/NR/exeres/DCBD3E2C-C592-4FB8-B7CB-E18E67F692D1.htm
http://www.hrw.org/de
http://ccrjustice.org/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=55498

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Mai 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2011