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INTERNATIONAL/032: D. R. Kongo - Streit um nationales Sondergericht für Menschenrechtsverletzungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2011

D. R. Kongo: Streit um nationales Sondergericht für Menschenrechtsverletzungen

Von Emmanuel Chaco


Kinshasa, 17. August (IPS) - In der Demokratischen Republik Kongo (DRC) sorgt die beabsichtigte Einrichtung eines für schwere Menschenrechtsverletzungen zuständigen Sondergerichts für eine juristische Kontroverse. Besonders umstritten ist der Plan, das Tribunal auch mit erfahrenen ausländischen Richtern zu besetzen.

Die Nationalversammlung des zentralafrikanischen Flächenstaates, in dem die Auswirkungen eines langen Bürgerkrieges noch längst nicht überwunden sind, hat einem entsprechenden Gesetzentwurf bereits zugestimmt. Darin heißt es: "Das neue Gericht wird für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zuständig sein. Damit seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleistet ist, werden auch einschlägig erfahrene ausländische Richter hinzugezogen."

Dazu erklärte der Minister für Justiz und Menschenrechte, Emmanuel Luzolo Bambi Lessa, gegenüber IPS: "Die ausländischen Richter werden den juristischen Kenntnisstand ihrer kongolesischen Kollegen verbessern, die bislang noch keine Erfahrung im Umgang mit derartigen Verbrechen haben." Mit der Einrichtung eines Sondergerichts werde der Wunsch von Millionen Opfern erfüllt, ihre Rechte einzuklagen, fügte der Minister hinzu, der auch an der Universität der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa strafrechtliche Vorlesungen hält. Seit 1990 forderte der Bürgerkrieg im Kongo nach offiziellen Angaben sieben Millionen Menschenleben.

Ein anderer Strafrechtsexperte der Universität von Kinshasa, Nyabirungu Mwene Songa, der am internationalen Strafgerichtshof für Ruanda als Anwalt auftritt, begrüßte die Absicht, die Richterbank des Sondergerichts auch mit ausländischen Kollegen zu besetzen. "Die kongolesischen Richter werden von den Erfahrungen der Ausländer profitieren."

Andere Rechtsexperten und Vertreter der Zivilgesellschaft äußerten Bedenken gegen das geplante Sondertribunal. Sie befürchten eine Einschränkung der Souveränität der kongolesischen Justiz. "Das Hinzuziehen von Richtern aus dem Ausland ist nicht hinnehmbar, denn das Sondergericht ist keine internationale Einrichtung", gab Maurice Mudishi, ein Experte für internationales Strafrecht, zu bedenken.

Lucien Busa, ein Vertreter der parlamentarischen Opposition, die gegen das Gesetz gestimmt hatte, betonte: "Die kongolesische Regierung äußert sich bisher nicht dazu, woher sie die Mittel nehmen will, um die Arbeit des Gerichts zu finanzieren."

Die bevorzugte Behandlung ausländischer Richter werde für Ärger bei den Kollegen an anderen Gerichten sorgen, befürchtete der an einem Revisionsgericht in Kinshasa arbeitende Richter Jean Kahozi.


Vorwurf der Praxisferne

Mit ganz anderen Einwänden meldete sich der Aktivist Jean-Luc Kahasha aus Bukawu in der bis heute von Gewalttaten besonders betroffenen Ostprovinz Süd-Kiwu zu Wort. Da das Sondergericht nur in Großstädten und Provinzhauptstädten präsent sei, fehle ihm die Nähe zu den eigentlichen Schauplätzen der Verbrechen im Hinterland. Kahasha ist Mitglied der in Bukawu ansässigen Nichtregierungsorganisation 'Haki na Amani' ('Gerechtigkeit und Frieden'). 1999 hatten Soldaten in Walungu, 60 Kilometer von Bukawu entfernt, seinen Bruder und zwei Schwestern umgebracht.

"Ich bezweifele, ob das Sondergericht jemals nach Walungu kommen wird, um die hier begangenen Verbrechen zu untersuchen", sagte Kahasha. "Ich weiß auch nicht, wie es die noch lebenden Zeugen schützen will, zumal viele ihrer Peiniger heute zur Polizei oder zur regulären Armee gehören."

Fernandez Murhola vom Nationalen Netzwerk zur Verteidigung der Menschenrechte im Kongo (RENADHOC) gibt sich dennoch zuversichtlich. "Es wird zwar etwas dauern, bis die ausländischen Richter das kongolesische Recht kennen und anwenden. Doch man sollte das Sondergericht als einen neuen Versuch akzeptieren, den Kampf gegen die Straflosigkeit im Land aufzunehmen. Und das ist jede Unterstützung wert", betonte er. (Ende/IPS/mp/2011)


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http://www.renadhoc.org/
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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2011